Vor genau 30 Jahren wurde mit der transkraniellen Magnetstimulation (TMS) die erste kontemporäre Methode der nichtinvasiven Hirnstimulation zur diagnostischen Beurteilung der Integrität des kortikospinalen Systems vorgestellt. Seitdem hat sich die nichtinvasive Hirnstimulation durch zahlreiche methodische Neuerungen, darunter navigierte TMS und transkranielle Gleich- und Wechselstromstimulation, sowie durch eine Vielzahl neuer Anwendungsgebiete in der Diagnostik und Therapie psychischer und neurologischer Erkrankungen, aber auch als Werkzeug in den Neuro- und Kognitionswissenschaften fulminant weiterentwickelt. Arbeitsgruppen in Deutschland waren an diesen Entwicklungen oft maßgeblich beteiligt. Dieses Themenheft präsentiert drei Übersichtsartikel zu therapeutischen Anwendungen der nichtinvasiven Hirnstimulation bei psychischen Erkrankungen und drei weitere Übersichtsartikel zu neuen Entwicklungslinien in Neurologie und Neurochirurgie. Trotz aller Dynamik und Begeisterung für das diagnostische und therapeutische Potenzial der nichtinvasiven Hirnstimulation reflektieren alle Beiträge auch die gegenwärtigen Grenzen und geben Ausblicke auf emergente Strategien, um die Effektivität der Hirnstimulation in Zukunft nachhaltig und relevant zu verbessern.

Die nichtinvasive Hirnstimulation ist ein hochdynamisches Forschungsfeld

Der Artikel von Hasan und Kollegen fasst die aktuelle Studienlage zum therapeutischen Einsatz verschiedener nichtinvasiver Hirnstimulationsverfahren zur Behandlung der Schizophrenien zusammen. Metaanalytisch ergeben sich Hinweise, dass eine erregbarkeitssenkende Stimulation des temporoparietalen Kortex auditorische Halluzinationen reduzieren kann, während eine erregbarkeitssteigernde Stimulation des linkshemisphärischen dorsolateralen Präfrontalkortex Negativsymptome positiv beeinflussen kann. Der Artikel reflektiert kritisch die allerdings heterogene Studienlage und die Tatsache, dass mittlerweile zahlreiche Determinanten bekannt sind, z. B. genetische Polymorphismen, Neuropharmaka oder Aufmerksamkeit, die zu einer erheblichen Variabilität der therapeutischen Antwort führen können.

Der Artikel von Aust und Kollegen beleuchtet den therapeutischen Einsatz der Gleichstromstimulation bei Depressionen. Es wird herausgearbeitet, dass es sich noch um einen experimentellen Ansatz handelt, mit vielversprechenden initialen Resultaten. Die Autoren fokussieren auf Strategien der therapeutischen Effektivitätssteigerung und leiten die aus der Grundlagenforschung bereits gut begründete Idee ab, dass die Gleichstromstimulation des dorsolateralen Präfrontalkortex simultan mit einer depressionsrelevanten kognitiv-verhaltenstherapeutischen Intervention dazu führen könnte, kognitiv-emotionale Lernprozesse, die während der Psychotherapie stattfinden und vor allem im dorsolateralen Präfrontalkortex moduliert werden, gezielt zu augmentieren.

Mielacher und Kollegen beschäftigen sich gleichfalls mit dem therapeutischen Einsatz der nichtinvasiven Hirnstimulation bei affektiven Störungen und argumentieren, dass zur therapeutischen Effektivitätssteigung Untersuchungen an Gesunden den klinischen Studien vorangehen sollten, um die Stimulationsprotokolle und Reizorte besser zu definieren. Insbesondere kann durch navigierte nichtinvasive Hirnstimulation anhand mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) gemessener aufgabenabhängiger Hirnaktivierungskarten der Reizort individuell optimiert werden. Noch innovativer ist die Navigation mittels durch fMRT gemessener Konnektivitätskarten, da hierdurch auch die Beeinflussung von Netzwerken des Gehirns besser vorhergesagt werden kann.

Picht gibt eine Zusammenfassung über den aktuellen Wissensstand der nichtinvasiven Hirnstimulation zur Kartierung „eloquenter“ Hirnareale mit motorischer oder Sprachfunktion vor geplanter neurochirurgischer Therapie bei Hirntumorpatienten. Auch wenn die intraoperative direkte elektrische Hirnstimulation immer noch der Goldstandard zur Funktionsbeurteilung ist, liefert das präoperative nichtinvasive Mapping mittlerweile eine wichtige adjunktive Datengrundlage zur Spezifizierung von Operationsziel und -ausmaß.

Vosskuhl und Kollegen beleuchten die neue Methode der transkraniellen Wechselstromstimulation. Sie zeigen auf, dass hiermit endogene Hirnoszillationen, die das elektrophysiologische Substrat aller sensorimotorischen und kognitiven Leistungen des Gehirns sind, verstärkt (Entrainment) oder bei gegenphasiger Stimulation auch gedämpft werden können. Zum Beispiel konnte in einer ersten Studie gezeigt werden, dass der Parkinson-Tremor durch Wechselstromstimulation des Motorkortex bei Entrainment verstärkt, bei antiphasischer Stimulation aber signifikant vermindert wird. Auch wenn der therapeutische Einsatz der transkraniellen Wechselstromstimulation noch im experimentellen Stadium ist, ist die Methode konzeptuell besonders interessant, da individualisiert in pathologische Oszillationen bei neurologischen und psychischen Netzwerkerkrankungen korrigierend eingegriffen werden kann.

Zrenner und Ziemann schließlich legen in einem Konzeptbeitrag dar, dass ein weiterer wesentlicher Schritt zur Verbesserung der therapeutischen Effektivität der (nichtinvasiven) Hirnstimulation in sog. Closed-loop-Strategien liegen wird. Im Gegensatz zu traditionellen Open-loop-Ansätzen berücksichtigt die Closed-loop-Stimulation den in Echtzeit z. B. mittels Elektroenzephalographie (EEG) gemessenen instantanen Status des Gehirns, sodass nur auf festgelegte EEG-Ereignisse (z. B. nur die Gipfel einer Hirnoszillation) stimuliert wird. Zudem ermöglichen Closed-loop-Ansätze die evolutive Anpassung des Stimulationsprotokolls, sodass definierte Endpunkte (z. B. Verstärkung der Konnektivität zwischen zwei Hirnarealen) viel effektiver erreicht werden können als in Open-loop-Ansätzen. Die Implementierung von Closed-loop-Stimulationsprotokollen hat gerade erst begonnen, da erst rezent die hierfür notwendigen Rechnerleistungen verfügbar sind.

Insgesamt zeigen die Beiträge dieses Themenheftes ein hochdynamisches Feld klinischer und grundlagenorientierter Forschung im Bereich der nichtinvasiven Hirnstimulation. Viele neue Entwicklungen berechtigen zu der Hoffnung, dass derzeit existierende Grenzen vor allem mit Blick auf die therapeutische Effektivität weit überschritten werden können. Wir wünschen viel Freude bei der Lektüre.

Prof. Dr. René Hurlemann

Prof. Dr. Ulf Ziemann