Zur Zeit des Nationalsozialismus wurden in Deutschland über 360.000 Menschen auf Basis des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ zwangssterilisiert. Viele von ihnen starben bei den Eingriffen. Im Rahmen der „Euthanasie-Aktion“ wurden im Herrschaftsgebiet des Deutschen Reichs mehr als 250.000 Menschen mit psychischen und somatischen Erkrankungen ermordet. Psychiater und viele andere Ärzte haben wesentlich zu diesen Aktionen beigetragen und das ihnen entgegen gebrachte Vertrauen missachtet. Das Wohl der ihnen Anvertrauten wurde anderen Werten untergeordnet [3]. Lange hat die psychiatrische Fachgesellschaft sich zu diesen Ereignissen nicht klar und eindeutig positioniert.

Erst im Jahr 2010 hat sich die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) in einer vielbeachteten Gedenkveranstaltung zu ihrer Geschichte in der Zeit des „Dritten Reiches“ und insbesondere zu den Verbrechen bekannt, die die Psychiatrie und einzelne Psychiater während des Nationalsozialismus begangen haben [8]. In diesem Zusammenhang hat der Vorstand der DGPPN eine internationale Kommission zur Aufarbeitung der Geschichte der Vorläufergesellschaften in der Zeit des Nationalsozialismus eingerichtet, welche die wissenschaftliche Verantwortung für die von der Fachgesellschaft initiierten und finanzierten Forschungsprojekte trägt. Es wurden Symposien und Tagungen durchgeführt [6, 10], die Ehrenmitgliedschaften von Friedrich Panse und Friedrich Mauz entzogen und gegenwärtig wird eine Wanderausstellung vorbereitet, die im Januar 2014 im Deutschen Bundestag eröffnet werden soll [9].

Psychiater, die zu Tätern wurden, und die Motivationen und Rechtfertigungen, die hinter den Unrechtstaten standen, wurden bereits im Jahr 2012 in einem Schwerpunktheft in Der Nervenarzt vorgestellt und näher beleuchtet [1, 2, 4, 5, 11].

Es gab Handlungsspielräume, die genutzt werden konnten

Zur vollständigen Aufarbeitung der Geschichte gehört aber auch die Tatsache, dass sich nicht alle Psychiaterinnen und Psychiater an den Menschenrechtsverletzungen, insbesondere Tötungen, Sterilisationen und den Maßnahmen zur Stigmatisierung, Entlassung und Vertreibung von Kollegen beteiligt haben. Gegen all das Unrecht in der Psychiatrie zur Zeit des Nationalsozialismus hat es – wenngleich selten – auch Widerstand und Sabotage gegeben. Über die Hälfte der Mediziner war Mitglied einer nationalsozialistischen Organisation, der NSDAP, SA oder SS. Das heißt aber auch, dass fast die Hälfte der Ärzte gerade nicht Mitglied war. Es gab also durchaus Handlungsspielräume, die genutzt werden konnten, ohne dass Sanktionen erfolgten [3]. Das Ausnutzen von auch darüber hinaus gehenden Handlungsspielräumen, oft verbunden mit Zivilcourage hatte nicht immer negative, persönliche Konsequenzen. Dennoch waren es wenige, die Zivilcourage gezeigt haben.

Doch wer waren die Ärzte, die Widerstand gegen das Regime geleistet haben? Wie drückte sich ihr Widerstand aus und was waren die Motive und Überzeugungen?

Für dieses Schwerpunktheft wurden Biographien von Ärzten ausgewählt, die ein Beispiel für Zivilcourage gegeben haben. Der Psychiater und Medizinhistoriker Werner Leibbrand z. B. protestierte gegen den Ausschluss seiner jüdischen Kollegen durch seinen Austritt aus dem Berliner Ärztlichen Standesverein und verlor auf diese Weise seine Kassenzulassung sowie seine berufliche Position. Der Universitätspsychiater Gottfried Ewald weigerte sich, bei der „Aktion T4“ als Gutachter zu fungieren, und rettete einen Teil der ihm anvertrauten Patienten vor dem Tode, auch wenn er kein Widerstandskämpfer war. Ganz anders John Rittmeister, welcher Mitglied der von der Gestapo als „Rote Kapelle“ bezeichneten Widerstandsgruppe war und seine Aktivitäten gegen das NS-Regime als einziger der vorgestellten Mediziner mit seinem Leben bezahlte. Auch der Anstaltsdirektor Hans Roemer war einer der wenigen Ärzte, die sich explizit gegen die Krankentötungen im Rahmen der „Aktion T4“ ausgesprochen haben. Er versuchte mehrmals, die Abtransporte von Patienten zu verhindern, und suchte psychiatrische Bündnispartner, um koordiniert gegen das Tötungsprogramm vorzugehen. Walter Creutz, Medizinaldezernent in der Rheinprovinz, bremste das Euthanasie-Programm in seinem ZuständigkeitsbereichFootnote 1.

Prof. Dr. Dr. F. Schneider

Prof. Dr. V. Roelcke