Der Titel dieses Themenheftes kommt nicht von ungefähr, auch wenn er für eine wissenschaftliche Zeitschrift zunächst zu reißerisch klingen mag. Aber, diese Debatte wird in unseren Tageszeitungen und Illustrierten geführt und muss uns beschäftigen. Immer dann, wenn ein 85-Jähriger „mal wieder“ einen Mercedes 190 in ein Schaufenster donnert oder gar ein Kind durch einen Senior auf der Straße zu Schaden kommt. Reflexartig ertönt danach der Ruf nach einem generellen Entzug der Fahrerlaubnis im hohen Alter oder zumindest einer geregelten Fahreignungsuntersuchung ab einem bestimmten Alter. Auf der anderen Seite sehen wir in unseren Notaufnahmen eine zunehmende Anzahl betagter weiterer Verkehrsteilnehmer, die als Radfahrer oder Fußgänger verunglücken. Wie spiegeln sich diese Beobachtungen in der Datenlage wider? Und was machen wir Unfallchirurgen*innen als „Anwälte unserer Patienten“ oder, noch allgemeiner gesehen, als „Staatsbürger in Weiß“ daraus?

Mit den folgenden Beiträgen wollen wir Ihren Blick für die Thematik schärfen, wird sie doch angesichts der demografischen Entwicklung wohl noch lange aktuell bleiben. Wir haben ausgewiesene Experten aus der Verkehrsepidemiologie, der Verkehrssicherheit, der Altersmedizin und der Verkehrspolitik gebeten, ihre Blickwinkel hierauf einzubringen, und danken an dieser Stelle für ihre Mitwirkung.

Die Reihenfolge der Artikel ist nicht zufällig gewählt, sondern folgt einem roten Faden. Als Erster schafft U. Chiellino einen Ausgangspunkt mit seiner Betrachtung zur allgemeinen Unfallstatistik. Indem er zum einen die entsprechenden Daten im Längsschnitt über 20 Jahre darstellt und zum anderen 5 Altersgruppen bildet, die er miteinander vergleicht, gelingt ihm eine profunde Einordnung des Unfallgeschehens von Senioren*innen v. a. hinsichtlich der Todesstatistik. Demnach hat sich innerhalb des genannten Zeitraumes die Zahl der Verkehrstoten insgesamt deutlich verringert. Das Risiko von Senioren, als Kraftfahrer einen Unfall mit Todesfolge zu verursachen oder zu erleiden, ist nicht erhöht. Allerdings steigt das Todesrisiko für Senioren über 75 Jahre an, wenn sie als Fahrradfahrer oder Fußgänger unterwegs sind.

Das Todesrisiko für Senioren >75 Jahre steigt, wenn sie als Fahrradfahrer oder Fußgänger unterwegs sind

Warum das so ist, wird aus dem Beitrag von H. Liers deutlich. Er geht auf die Verletzungsschwere und die Verletzungsmuster bei älteren Verkehrsteilnehmern ein. Seine Analyse stützt sich vorrangig auf Daten von German In-Depth Accident Study (GIDAS), einer wegen ihrer interdisziplinären Detailtiefe weltweit beachteten Unfallforschungsinitiative. Auch er stellt die Daten, aufgeschlüsselt nach Altersgruppen und nach der Art der Verkehrsbeteiligung und über die Zeit, dar. Sein Fazit: Bei vergleichbarer Gewalteinwirkung erleiden die Menschen über 65 und v. a. über 75 Jahre eine höhere Anzahl an schweren Einzelverletzungen, sind häufiger polytraumatisiert, länger intensivpflichtig und folglich einem höheren Letalitätsrisiko ausgesetzt. Für besonders instruktiv und nutzbar z. B. in der Verfeinerung von Schockraumalgorithmen halten wir die Aufschlüsselung der unterschiedlichen Verletzungsmuster bei Pkw-Fahrern, Zweiradnutzern und Fußgängern.

Altersbedingte physiologische Veränderungen gehen nicht mit einem erhöhten Sicherheitsrisiko im Straßenverkehr einher, alterskorrelierte Erkrankungen dagegen schon. So fasst V. Smolka ihre geriatrische Betrachtung zusammen. In diesem Kontext kommt dann die Frage nach einer möglichen Einschränkung der Fahrtüchtigkeit und der Fahreignung auf, mit der sich auch wir Unfallchirurgen*innen in der Beratung unserer verunfallten Patienten auseinandersetzen müssten. Nur, wer kennt sich schon von uns damit aus? Die Autorin schafft hier Klarheit in den Begrifflichkeiten und gibt wertvolle, auch rechtliche Hinweise für den Umgang damit.

Mobilität (nicht nur) für Senioren sicher gestalten, ist das Thema von I. Ostermaier und VSandner. Vor allem passive und aktive Sicherheitssysteme in Pkw waren maßgeblich an dem Rückgang der Zahl von Verkehrstoten und Schwerstverletzten in den letzten Jahrzehnten beteiligt. Erinnert sei beispielhaft an die Einführung der Gurtanlegepflicht 1977 oder die Kindersitzpflicht 1993, weil sich die deutsche Ärzteschaft ihrerzeit öffentlichkeitswirksam dafür eingesetzt hatte. Heute wären ähnliche Kampagnen etwa für eine Helmpflicht bei Fahrradfahrern oder andere Sicherheitsvorkehrungen sinnvoll. Dazu muss man Sachkenntnis haben. Und diese wird hier geboten. Werfen Sie einen Blick auf die ausgeklügelten Testszenarien und Testverfahren und neueste Vorhaben wie adaptive Rückhaltesysteme für Senioren oder „in-cabin sensing systems“ in Pkw, die Ausweitung der Notbremsassistenzfunktionen in Fahrzeugen jeder Art oder Antiblockiersysteme bei Pedelecs. In einem späteren Themenheft könnte daran angeknüpft werden und z. B. die „Car-to-car“- oder „Car-to-bike“-Vernetzung mithilfe von Smartphone und künstlicher Intelligenz zur Vermeidung von Kreuzungsunfällen aufgegriffen werden.

Kreuzungen sind ein unfallträchtiger Schwerpunkt im innerstädtischen Verkehr. Eine sichere und komfortable Infrastruktur zu schaffen, ist daher ein Anliegen der innerstädtischen Verkehrsplanung. Ein Anliegen unter vielen. P. Bickelbacher und S. Filimon entwerfen am Beispiel der Stadt München und deren Mobilitätsstrategie ein Szenario für die vielfältigen Aufgaben der Stadt- und Verkehrsplanung, das mit den Stichpunkten Förderung der Nahmobilität durch kurze Wege und hohe Qualität des öffentlichen Raumes, Geschwindigkeitsregelungen und Straßenraumgestaltung, soziale Teilhabe und Inklusion sowie Forschung und Innovation das zu beackernde Feld umschreibt.

Haben wir unser Ziel erreicht, das Thema „Senioren im Straßenverkehr“ als Teilbereich der Alterstraumatologie umfassend darzustellen? Wir hoffen, ja! Die Kernbotschaft aus den 5 Artikeln ist jedenfalls eindeutig: Senioren*innen sind mehr Gefährdete als Gefährder.

Und deshalb sind wir auch zum Handeln aufgerufen! Bei der individuellen Behandlung der verletzten Senioren unter Berücksichtigung der höheren Vulnerabilität im Alter. Bei der Beratung bezüglich Fahrtüchtigkeit und Fahreignung nach einem stattgehabten Unfall. Beim Mitwirken an einer Erhöhung der Verkehrssicherheit und bei der Umgestaltung unserer Innenstädte.