Es besteht heute weitgehend Einigkeit darüber, dass für eine hohe Qualität der Versorgung von Menschen mit Unfallverletzungen 3 Faktoren von wesentlicher Bedeutung sind: eine rasche und effiziente Erstversorgung, die hochqualifizierte operative Versorgung und eine gute und spezialisierte Rehabilitation und Nachsorge. Letztere stand lange Zeit eher im Hintergrund der Diskussion, rückt aber derzeit zunehmend in den Fokus. Dies liegt einerseits an der Zunahme von Studien, die die Relevanz der Rehabilitation für die Langzeit-Outcomes nach der unfallchirurgischen Versorgung deutlich machen, andererseits aber auch an neuen Entwicklungen in der Rehabilitationsmedizin und insbesondere an dem zunehmenden Einsatz neuer Technologien in der Rehabilitation. Neben diesen Entwicklungen ist aber auch die Frage einer adäquaten rehabilitativen Versorgung in die Diskussion gekommen, und zwar v. a. was die Frührehabilitation im Krankenhaus als auch was die unmittelbar nach Krankenhausentlassung notwendige Anschlussrehabilitation angeht. Hieraus ergibt sich auch das Themenspektrum dieses Themenheftes der Zeitschrift Die Unfallchirurgie.

Was neue Technologien in der Rehabilitation betrifft, sind dies im Wesentlichen die Digitalisierung, einschließlich Telerehabilitation, neue technische Hilfsmittel und der Einsatz von Robotik sowie die sog. Augmented Reality und das Smart Ambient Living. Und dabei ist das Spektrum von neuen Anwendungen außerordentlich breit, und neue Angebote werden nach ihrer Einwicklung sehr rasch und teilweise wenig koordiniert in die Therapie und Rehabilitation eingeführt. Dabei scheint vielfach das technisch Machbare im Vordergrund zu stehen und die Funktion und der „added value“ werden oft erst sekundär reflektiert. Aus Sicht der Rehabilitationsmedizin wäre es hingegen wünschenswert, wenn vor der Entwicklung aus dem Rehabilitationsprozess heraus Funktionen definiert würden, deren Erfüllung durch neue Technologien erleichtert oder überhaupt erst ermöglicht werden. Und der Wert neuer Technologien wäre dann an der tatsächlichen Passgenauigkeit für diese Funktionen zu beurteilen. Selbstverständlich müssen für die Einführung in die Routineversorgung die Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Wirtschaftlichkeit in klinischen Studien nachgewiesen werden. Hier scheint es vielfach noch zu mangeln.

Wichtig ist die Integration neuer Technologien in die umfassenden Rehabilitationskonzepte

Diese kritische Kommentierung darf aber nicht den Blick vor dem immensen Potenzial neuer Technologien verstellen. So können z. B. Rehabilitationsprozesse durch Informationstechnologien deutlich verbessert werden, z. B. durch das kontinuierliche Monitoring von Körperfunktionen und Übungsabläufen, aber auch durch die Nutzung der Videotechnik für Konsultationen und die Steuerung von Rehabilitationsprozessen außerhalb von Rehabilitationseinrichtungen. Die Robotik hat ein großes Potenzial in der Unterstützung von bewegungstherapeutischen Maßnahmen, wie das passive und assistive Durchbewegen oder auch die Mobilisierung von Patientinnen und Patienten einschließlich der Vertikalisierung und die Anbahnung des Gehens durch Exoskelette. Das Assisted Ambient Living bietet enorme Chancen in Bezug auf die Selbstständigkeit im Alltag für Menschen, bei denen als Unfallfolge langfristige Einschränkungen von Körperfunktionen und Aktivitäten verbleiben. Aus Sicht des Verfassers können aber die therapeutischen Interventionen durch Fachpersonal nur in den wenigsten Fällen ersetzt werden. Vielmehr handelt es sich um Optimierungen in den Therapieprozessen, die teilweise sogar mit einem größeren Personaleinsatz verbunden sein können (die Übungsbehandlung mit Exoskeletten bedarf z. B. des gleichzeitigen Einsatzes zweier Physiotherapeutinnen bzw. -therapeuten).

Wichtig ist also die Integration neuer Technologien in die umfassenden Rehabilitationskonzepte. Dabei sind aus Sicht des Verfassers prinzipiell die folgenden Fragen zu beantworten:

  • Welche Körperfunktion und/oder Aktivitäten soll/sollen durch den Einsatz technologischer Hilfen kompensiert, unterstützt oder trainiert werdenFootnote 1, und ist das Hilfsmittel dazu geeignet, diese Ziele zu erreichen?

  • Kann die Teilhabe durch den Einsatz technologischer Hilfen kompensiert, unterstützt oder trainiert werden?

  • Gibt es wissenschaftliche Evidenz zur Wirksamkeit des verwendeten Hilfsmittels bzw. der angewendeten Technologie?

  • Mit welchen Risiken und Nebenwirkungen ist zu rechnen, und ist die Sicherheit der Anwendung (einschl. Datenschutz) gewährleistet?

  • Ist die Anwendung wirtschaftlich realisierbar?

Darüber hinaus muss die Anwendung neuer Technologien einen nennesswerten Beitrag zu den individuellen Rehabilitationszielen leisten, und die individuellen Voraussetzungen für deren Einsatz müssen gegeben sein (aus eigener Erfahrung mit dem Einsatz von Exoskeletten ist dies durchaus nicht in allen Fällen gegeben).

Bezüglich der rehabilitativen Versorgung sind die Prinzipien klar definiert, und es sind die rechtlichen Voraussetzungen in der deutschen Sozialgesetzgebung verankert. So bedarf es im Krankenhaus des Einsatzes rehabilitativer Therapien, beginnend auf der Intensivstation und bei entsprechend schweren Krankheitsbildern bzw. Verletzungen gefolgt von der Frührehabilitation im Krankenhaus (§ 39; SGB V): Unmittelbar im Anschluss an die Behandlung im Krankenhaus sollte eine Anschlussrehabilitation erfolgen (§ 7 u.a., SGB IV). Darüber wird bei dauerhaften behindernden Verletzungsfolgen eine ambulante rehabilitative Weiterbetreuung empfohlen, begleitet von einem kontinuierlichen Case Management. In der Realität stellt sich die Situation aber deutlich weniger optimal dar. So fehlt es in vielen Kliniken an ausreichenden Personalkapazitäten für die notwendige 2‑mal tägliche Therapie an 7 Tagen der Woche auf den Intensivstationen, und die Frührehabilitation ist in der Mehrzahl der Kliniken in Deutschland nicht realisiert oder beschränkt sich auf die neurologisch-neurochirurgische Frührehabilitation. Auch zeigen Statistiken, dass ein großer Teil von Patientinnen und Patienten, die eine Indikation für eine Anschlussrehabilitation haben, diese nicht in der vorgesehenen Frist von 14 Tagen antreten und somit zu Hause oder in der Kurzeitpflege wichtige Chancen für eine früh einsetzende rehabilitative Funktionsverbesserung verpassen. Nicht zuletzt fehlt es häufig an einer wohnortnahen ambulanten fachlich geleiteten rehabilitativen Langzeitversorgung. Die gilt insbesondere auch für Menschen, die in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung oder in Altenpflegeeinrichtungen leben. Die Diskussion über geeignete Versorgungspfade in der Rehabilitation von Menschen mit Unfallverletzungen ist glücklicherweise in den letzten Jahren stark intensiviert worden, sodass diesem Thema in diesem Heft ebenfalls Raum gegeben wurde.

Der Heftherausgeber ist sich darüber bewusst, dass die Artikel dieses Themenheftes nur eine Momentaufnahme darstellen können. Die Dynamik der Entwicklungen bedarf einer kontinuierlichen Reflexion und Diskussion, zu der dieses Themenheft beitragen möge.

Hannover, im September 2022

Prof. Dr. med. Christoph Gutenbrunner, FRCP, EFEBPRM