Die Heilung einer Fraktur ist weitgehend unabhängig von Alter und Geschlecht und verläuft grundsätzlich komplikations- und folgenlos. Innerhalb einer überschaubaren Zeit wird die Integrität des gebrochenen Knochens vollständig wiederhergestellt, und die mechanische Stützfunktion kann uneingeschränkt erfüllt werden. Dieser Restitutio ad integrum liegt ein sequenziell fein abgestimmtes zelluläres und molekulares Regelwerk zugrunde, das vielfältige Möglichkeiten der Beeinträchtigung aber auch für therapeutische Eingriffe bietet. Eine Verzögerung oder sogar ein Ausbleiben der Frakturheilung kann auftreten, bei unzureichender Stabilisierung, Infektionen, metabolischen Erkrankungen, wie z. B. Diabetes mellitus, und der Einnahme von Substanzen, einschließlich Alkohol oder Medikamenten.

Zur Behandlung einer gestörten Frakturheilung sollten zunächst die unfallchirurgischen Therapiemaßnahmen überdacht und optimiert werden. Ein Einfluss außerhalb dieses Bereichs liegender Faktoren ist aber auch in Betracht zu ziehen. So sollte z. B. eine mögliche Beeinflussung der Frakturheilung durch Medikamente dem behandelnden Unfallchirurgen bewusst sein. Es könnte z. B. sein, dass Medikamente eingenommen werden, die einen ungewollten Einfluss auf den Heilungsvorgang haben. Ferner könnte der Einsatz von Medikamenten zur gezielten Beeinflussung einer gestörten Frakturheilung in Erwägung gezogen werden. Dies könnte ggf. die Therapiestrategie anpassende Maßnahmen erforderlich machen. Von Bedeutung sind in diesem Zusammenhang immunsuppressive Therapien und häufig eingenommene Medikamente wie z. B. Kortikosteroide, Antihypertensiva, Diuretika, Antidepressiva, Antiepileptika, Statine, Antibiotika, nichtsteroidale Antirheumatika und Antikoagulanzien, die einen unterschiedlichen Einfluss auf die Frakturheilung ausüben können und im Falle eines negativen Effekts für die Dauer der Frakturheilung pausiert werden könnten. Gerade durch Weglassen negativer Einflussgrößen eine gestörte Frakturheilung zu verbessern, ist klinisch sehr sinnvoll. Ist dies medizinisch nicht möglich, so ist die Kenntnis eines solchen Einflusses für Arzt und Patient dennoch eine wichtige Information.

Frakturen entstehen infolge eines angemessenen Unfallmechanismus, aber durch den demografischen Wandel zunehmend auch aufgrund inadäquater Traumata. Diese Fragilitätsfrakturen stehen oftmals im Zusammenhang mit einer Osteoporose als systemischen Verlust von Knochenmasse und Struktur. Besonders wichtig für sehr viele der betroffenen Patienten ist eine Behandlung der Knochenstoffwechselstörung mit spezifischen Medikamenten. Dazu zählen Hormonpräparate, Medikamente mit hormonartiger Wirkung sowie Substanzen, die den Knochenabbau reduzieren oder den Knochenaufbau steigern. Da in jedem Fall ein Eingriff in den Knochenumbau vorliegt, sind etwaige Einflüsse dieser Medikamente auf eine gestörte Frakturheilung ebenfalls bei einer Therapieentscheidung zu bedenken. Hinsichtlich des Einflusses von Hormonen und Medikamenten mit hormonartiger Wirkung auf eine gestörte Frakturheilung liegen bisher nur sehr wenige gesicherte Erkenntnisse vor. Tendenziell haben diese Substanzklassen eine positive Wirkung auf die Frakturheilung. Bei spezifischen Osteoporosemedikamenten besteht kein relevanter negativer Effekt auf die Frakturheilung. Ein positiver Einfluss ist zwar für knochenaufbauende Medikamente beschrieben, dennoch dürfen diese Substanzen gemäß Zulassungsstatus dafür nicht eingesetzt werden. Es besteht somit ein Bedarf an wissenschaftlichem Erkenntnisgewinn, um einen gezielten therapeutischen Einsatz zu ermöglichen.

Neben medikamentösen Versuchen, eine abwegige Frakturheilung positiv zu beeinflussen, besteht grundsätzlich auch die Möglichkeit zur Anwendung physikalischer Verfahren. Verschiedene Stoßwellen- oder Ultraschalltherapien sind diesbezüglich bereits getestet worden. Die Ergebnisse sind leider nur teilweise überzeugend, bei insgesamt niedrigem Evidenzniveau der Studien. Weitere Hoffnung weckt deshalb das Ansinnen, eine gestörte Frakturheilung durch Wachstumsfaktoren oder neuartige zellbasierte Technologien zu verbessern. Vor einiger Zeit wurden verschiedene „bone morphogenetic proteins“ (BMP) in die klinische Anwendung gebracht, konnten sich aber trotz zu Beginn ermutigender Ergebnisse nicht überzeugend durchsetzen. Andere Wachstumsfaktoren und neue zelluläre Transplantationsverfahren sowie gentechnische Ansätze befinden sich seit geraumer Zeit in der präklinischen Entwicklung. Die Ergebnisse dieses interessanten Forschungsgebietes bleiben abzuwarten. Der Bedarf, eine Frakturheilungsstörung neben einer bestmöglichen chirurgischen Therapie mittels pharmakologischer, physikalischer oder anderweitiger Technologien zu verbessern, bleibt also weiterhin bestehen. Dieses Themenheft soll Einblicke in den derzeitigen Kenntnisstand zu dieser Fragestellung bieten und für den Klinikalltag relevante Aspekte darstellen.

Ihr

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Prof. Dr. Eric Hesse, München