Einführung

Die Distraktionsosteogenese stellt ein wirksames Verfahren zur Behandlung von Knochendefekten unterschiedlicher Genese (Trauma, Tumor, Infektion, angeboren) dar. In der Vergangenheit standen fast ausschließlich externe Verfahren zur Verfügung, die mit ringförmigen, unilateralen oder Hybridkonstruktionen die Teilaufgaben stabilisierende Defektüberbrückung und Segmenttransport erreicht haben. Verschiedene Strategien wie primäre Verkürzung und sekundäre Verlängerung über einen Nagel haben die Tragedauer für externe Fixateure verringert (LATN/LAP/LON [„lengthening and then nailing“, „lengthening and then plating“, „lengthening over a nail“]; [1,2,3]). Unabhängig von der angewandten Methode kam es jedoch an den Eintrittsstellen der Drähte oder Schanz-Schrauben häufig zu Problemen und Komplikationen (Infektion, Gelenkkontraktur), die patienten- und arztseitig die Akzeptanz der Verfahren eingeschränkt hat [4].

Die Entwicklung der Technik der Distraktionsosteogenese wird traditionell Ilizarov zugeschrieben, der das Verfahren seit den 1940er-Jahren angewendet und stetig weiterentwickelt hat [5]. Zuvor hatte aber bereits Codivilla im Jahr 1905 die Gliedmaßenverlängerung beschrieben [6]. Guichet et al. beschrieben einen mechanisch von außen aktivierten Verlängerungsnagel im Jahr 1988 [7]. Wenige Jahre später entwickelten Baumgart et al. einen ersten motorisierten Knochenverlängerungsnagel [8].

Motorisierte intramedulläre Verlängerungsnägel in Kombinationen mit anderen Entwicklungen und Fortschritten der muskuloskeletalen und Weichteilchirurgie haben die Möglichkeiten der rekonstruktiven Chirurgie in zahlreichen Bereichen stark erweitert, die bislang der externen Fixation vorbehalten waren [9,10,11,12].

Dieser Beitrag beschreibt eine wenig invasive, interne Stabilisierungs- und Transporttechnik für einen komplett internen Segmenttransport. Bei dieser Technik („plate assisted segmental bone transport“, PABST) wird ein kommerziell erhältlicher motorisierter Knochenverlängerungsnagel für den Segmenttransport benutzt. Das Transportsegment wird entlang einer Knochenplatte transportiert, die für die Überbrückung und den Positionserhalt des proximalen und distalen Hauptfragments sorgt.

Indikation und Patientenvorbereitung

Die Indikation wird gestellt bei großen extraartikulären Knochendefekten (Tibia >3–4 cm, Femur >4–6 cm), v. a. in den Fällen, in denen eine akute Verkürzung (und sekundäre Verlängerung) nicht möglich ist. Voraussetzung ist ein Weichteilmantel, der eine Plattenosteosynthese erlaubt. Bei tumorbedingten Defekten sollte der Patient tumor- und rezidivfrei sein sowie die Chemo‑/Strahlentherapie beendet haben. Ein neben dem Knochendefekt bestehender gleichzeitiger Weichteildefekt kann eine Indikation zur Verkürzung und sekundären Verlängerung sein und möglicherweise freien Gewebstransfer überflüssig machen. Wie bei allen Distraktionsosteogeneseverfahren sollte der Ernährungszustand des Patienten optimiert und ein evtl. Nikotinkonsum eingestellt werden. Wir verschreiben routinemäßig Vitamin D und Kalzium während der Behandlung.

Planung

Eine subtile präoperative muskuloskeletale Analyse und Planung sind essenziell und zielen auf ausgeglichene seitengleiche Länge und Torsion der betroffenen Röhrenknochen sowie eine normale mechanische Achse.

Bildgebende Untersuchung

Es werden größenkalibrierte projektionsradiographische Aufnahmen in 2 Ebenen des betroffenen Knochens und der Gegenseite angefertigt, und wenn möglich, Achsenaufnahmen beider Beine im Stehen. In speziellen Fällen kann ein „magnetic resonance imaging“ (MRI) oder eine Positronen-Emissions-Tomographie-Computertomographie (PET-CT) sinnvoll sein, um die Vitalität und andere Aspekte von Knochen oder Weichteilen zu beurteilen.

Platte

Die Plattenlänge muss ausreichen, um den Nagel, den Knochendefekt und begleitende Frakturen zu überbrücken sowie eine evtl. notwendige Verlängerung zuzulassen (z. B. Kondylenplatten). Die Platte wird mit mindestens 4 Schrauben ober- und unterhalb des Defekts fixiert. Am Femur verwenden wir das „less invasive stabilization system“ (LISS; Fa. DePuy Synthes, Massachusetts, USA), erhältlich bis zu einer Länge von 436 mm (19 Löcher). An der Tibia wird die Platte (gerade, T oder L) anterolateral oder medial eingebracht.

Nagel

Der Hub (d. h. die Verlängerungsfähigkeit) des Nagels sollte mit dem Knochendefekt und einer zusätzlichen Verlängerung übereinstimmen. Der Durchmesser des Nagels sollte nicht größer als der medulläre Kanal am Isthmus des Knochens sein. Wir verwenden derzeit FITBONE- (Fa. Wittenstein, Igersheim, Deutschland) und PRECICE-Implantate (Fa. NuVasive, San Diego, CA, USA). Die Nägel sind in Längen von 150 mm bis 245 mm, Hüben von 30 mm bis 80 mm lieferbar. Normale Nägel haben Durchmesser von 8,5 mm bis 12,7 mm. Spezielle kurze Amputationsstumpfverlängerungsnägel (100–136 mm) mit größeren Hüben (bis zu 136 mm), wenn auch mit größeren Durchmessern (13–16 mm), sind bei großen Defekten sehr nützlich. Eine Mindestlänge von 5 cm gesundem Knochen wird gefordert, um das proximale Ende des Nagels stabil unterzubringen.

Schrauben

In Gelenknähe sind häufig Pollerschrauben erforderlich, um Procurvatum- (proximale Tibia) oder Recurvatum-Deformitäten (distaler Femur) zu verhindern und den Nagel im Kondylenbereich sicher zu fixieren.

Chirurgische Technik

Die Versorgung nach der hier beschriebenen Technik ist eingebettet in ein umfassendes Konzept mit oft zahlreichen Schritten, die externe und interne Stabilisierung, Weichteil- und Totraummanagement sowie Infektionsbehandlung einschließt. Wir führen folgende Schritte durch (Abb. 1 und 2; Tab. 1):

  • Nach gründlichem Débridement und Resektion des avitalen Knochens werden die Enden der knöchernen Hauptfragmente senkrecht zur Längsachse begradigt.

  • Biopsieentnahme und ggf. Dead-space-Management mit lokalen Antibiotika.

  • Einbringen einer lateralen defektüberbrückenden Platte. Auf korrekte Länge, Torsion und mechanische Achse muss geachtet werden. Ein temporärer externer Fixateur kann bei diesem Schritt nützlich sein.

  • Eine eher posteriore Plattenlage erlaubt im Metaphysenbereich bikortikale Schrauben und damit mehr Stabilität.

  • Im Diaphysenbereich werden unikortikale Schrauben verwendet.

  • Herstellen des Transportsegments mithilfe perkutaner Bohrlochosteotomie.

  • Ante- oder retrograde Insertion des Verlängerungsnagels entsprechend der Planung, um Zug oder Schub des Transportsegments zu ermöglichen.

  • Die Spitze sollte so weit wie möglich in das Transportsegment reichen.

  • Zusätzliche Pollerschrauben können Procurvatum- oder Recurvatum-Deformierungen verhindern und die Stabilität des Nagels erhöhen.

  • Der Knochensegmentransport wird 5 bis 7 Tage postoperativ begonnen. Transportaktivierung in einem Rhythmus 3‑mal täglich jeweils 0,25 mm (Tibia) bis 0,33 mm (Femur).

  • Zu gegebener Zeit wird das Docking durchgeführt und das Transportsegment an der Platte fixiert.

Abb. 1
figure 1

a Ein 51 Jahre alter Motorradfahrer wurde von einem Auto angefahren und erlitt eine offene extraartikuläre Fraktur der distalen Tibia mit einem erheblichen Weichteildefekt (Tab. 1, Fall-Nr. 1). b Die Fraktur wurde mithilfe eines Expert-Nagels (Fa. Synthes, West Chester, PA, USA) stabilisiert, in der Folge ausbleibende Frakturheilung und Nagelbruch (c) nach 9 Monaten. Nach Débridement und Resektion des avitalen Knochens verblieb ein 3,5 cm großer Defekt. d Einbringen einer medialen defektüberbrückenden Platte und eines anterograden Verlängerungsnagels sowie Osteotomie eines Transportsegments oberhalb des Defekts. Beim Andocken erneuter Eingriff und Beckenkammspongiosatransplantation. e Nach 15 Monaten wurde eine radiologische Konsolidierung beobachtet. Entfernung von Platte und Transportnagel und Stabilisierung mit einem konventionellen Nagelimplantat (Fa. Synthes). (Abbildungen mit freundl. Genehmigung von Matthew Gardner)

Abb. 2
figure 2

a Offene Femurschaftfraktur nach einer Kollision mit 10,5 cm Knochenverlust am Übergang vom mittleren zum distalen Drittel (Tab. 1, Fall-Nr. 2). Débridement, Fixateur externe und Weichteilverschluss nach Einlage von antibiotikahaltigem Material (Herafill; Fa. Heraeus Medical, Wehrheim) in den Defekt. b Nach 6 Wochen wurde die Kondylenfraktur mit Schrauben fixiert und eine laterale Less-invasive-stabilization-system(LISS)-Platte, die den Defekt überspannte, eingeführt. Die Platte hielt die Achse, die Orientierung und die Länge, die der aktuelle Nagelhub ermöglichen würde, in diesem Fall 80 mm (Restverkürzung von 25 mm). c Drei Wochen später wurde ein Verlängerungsnagel eingeführt. Nach 80 Tagen Transport ist das Segment in den Kondylen verankert. Dieser Patient koppelte spontan ohne chirurgischen Eingriff, aber Kompression mit einer Rate von 0,33 mm/2-mal wöchentlich. d links Der Nagel wurde für 9 Monate „schlafend“ gelassen, bis der Patient sich für eine zweite Operationsrunde fit fühlte. Derselbe Nagel wurde dann entriegelt, zurückgefahren, und es wurde mehr Länge hinzugefügt, indem relevante Schrauben im proximalen Teil der Platte proximal zu einer neuen Kortikotomie gelöst wurden. d rechts Nach der endgültigen Verlängerung wurde die Platte am Knochen wieder fixiert; ein Quadrizeps-Release und die Entfernung von heterotopen Ossifikationen wurden durchgeführt. Die volle Gewichtsbelastung wurde 24 Wochen nach der ersten Verletzung beim Andocken erlaubt. e Achsenaufnahme. fg Sieben Monate nach der Verlängerung, fast konsolidierter Knochen. Die erlaubte Belastung wurde während des 2. Transports temporär wieder auf 20 kg reduziert. h Klinisches Bild des Patienten ein Jahr nach dem Quadrizeps-Release. i Knieflexion ist limitiert auf ca. 110°. Der Patient arbeitet Vollzeit und fährt täglich 14 km mit dem Fahrrad zur Arbeit

Tab. 1 Patienten und Device-Daten

Typische Abfolge operativer Eingriffe: *)

  1. 1.

    Operation: Débridement, Fixateur externe, Vakuumversiegelung der Weichteile,

  2. 2.

    Operation: weiteres Débridement (manchmal wiederholt), Biopsien, lokale Antibiotikaapplikation, Weichteilverschluss,

  3. 3.

    Operation: Einbringen der Platte, lokale Antibiotikaapplikation,

  4. 4.

    Operation: Insertion des Verlängerungsnagels,

  5. 5.

    Operation: Docking-Verfahren, einschließlich Knochentransplantation, Quadrizeps-Release und zusätzliche Verlängerung bei Bedarf.

(* Die operativen Eingriffe 3 und 4 können in ausgewählten Fällen kombiniert werden. Die unter Punkt 5 angeführten Schritte können in 2 getrennten Eingriffen erfolgen.)

Retrograder Transport

Am Femur wird der Transportnagel retrograd eingeführt, wenn der antegrade (Hüft‑)Zugang nicht möglich ist, z. B. durch einliegende Hüftgelenkprothese, Fraktur oder sehr proximal gelegene Defekte.

An der Tibia ist die retrograde Nagelinsertion nur in Ausnahmen relevant, z. B. bei vorliegender Arthrodese des oberes Sprunggelenks (OSG)/des unteren Sprunggelenks (USG).

Zug oder Schub des Transportsegments

In den meisten Fällen befindet sich der Defekt im distalen Ende von Femur oder Tibia. Der motorisierte Nagel wird dann vom proximalen Ende her eingebracht, und das Implantat schiebt das Transportsegment entlang der Platte von proximal nach distal. Bei Defekten der proximalen Tibia wird das Transportsegment im distalen Hauptfragment erzeugt und mit einem ausgefahrenen, also vordistrahierten Nagel nach proximal gezogen. Analog dazu wird bei distalen Defekten am Femur vorgegangen, wenn Implantate den antegraden Weg versperren. Hier wird das motorisierte Nagelimplantat retrograd von distal eingebracht. Dann kann das Transportfragment mit einem vordistrahierten, ausgefahrenen Nagelimplantat zum distalen Femurende gezogen werden (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Retrograder Segmenttransport am Femur. a Eine 30 Jahre alte Frau erlitt bilaterale offene Femurfrakturen und beidseitige mediale Schenkelhalsfrakturen nach einem Sturz aus großer Höhe. Links kam es zu einem Knochendefekt von 6,5 cm (Tab. 1, Fall Nr. 3) b Nach gründlichem Débridement, externer Fixation und Osteosynthese der Hüftfrakturen wurde links 5 Wochen nach der initialen Verletzung ein retrograder Transport (Ziehen des Fragments) mit einem um 50 mm vordistrahierten Nagel und einer lateralen „Less-invasive-stabilization-system“(LISS)-Platte eingeleitet. Ein antegrader Zugang war aufgrund der Hüftfraktur nicht möglich. Das distale Segment war zu kurz, um das Transportfragment an der Nagelspitze ohne zusätzliche Hilfsmittel zu fixieren. ce Demonstration der Redistraktion des Nagels: Der Hub des Nagels war mit 50 mm zu kurz, um den Defekt von 65 mm in einem Vorgang zu schließen. Deshalb wurde der Transport in 2 Portionen, über einige Tage versetzt, aufgeteilt. Nach einer ersten Transportportion wurde das Transportsegment vorübergehend an der Platte fixiert und der Kolben des Verlängerungsnagels über den Magnetmechanismus wieder auf 50 mm distrahiert. Anschließend wurde der Transportkolben wieder über eine Verriegelungsschraube am Transportsegment befestigt (diesmal wurde das benachbarte Verriegelungsloch benutzt) und die temporäre Plattenfixierung gelöst. Die Schraube der Nagelspitze wurde entfernt, während der Nagel redistrahiert wurde. e Ungefähr 2,5 Monate später, nach Beendigung des Transports, wurde ein Docking-Eingriff durchgeführt. Dabei wurde Beckenkammspongiosa in den Kontaktbereich transplantiert und das Transportsegment mit Schrauben an der Platte befestigt. Die Schraube der Nagelspitze wurde herausgenommen, um die spätere Entfernung des Nagels zu erleichtern. Im gleichen Eingriff wurde ein M.-quadriceps-Release durchgeführt. f Achsenaufnahmen. Die linke Seite wurde mit dem beschriebenen Knochentransport und die rechte Seite distal mit einer akuten Verkürzung behandelt sowie – nach Abheilung der Schenkelhalsfraktur – antegrad verlängert. Achse und Länge liegen am Ende der Behandlung innerhalb normaler Werte. Der Patient konnte nach 20 Wochen voll belasten

Zusätzlicher Knochentransport, wenn der maximale Transporthub des Nagels nicht ausreicht

  • Temporäre Befestigung (Sicherung) des Transportfragments an der Platte,

  • temporäre Schraubenentfernung aus der Nagelspitze,

  • Zurück- oder Ausfahren des Nageltransportkolbens,

  • Erneutes Fixieren des Transportsegments an der Nagelspitze,

  • Entfernen der temporären Plattenschraube im Transportsegment (Entsicherung).

Zusätzliche Knochenverlängerung

  • Ausführen des Docking-Manövers,

  • Befestigung des Transportfragments an der Platte,

  • Entfernen der Schraube aus der Nagelspitze,

  • Zurück- oder Ausfahren des Nageltransportkolbens, um ausreichend Nagelspitze in den Bereich des Hauptfragments zu bringen,

  • Befestigung der Nagelspitze am Hauptfragment, Entfernen der Plattenschrauben aus diesem Hauptfragment,

  • alternativ kann der Nagel „ruhen“ gelassen werden, bis das Transportfragment am Hauptfragment konsolidiert ist oder der Patient für mehr Verlängerung fit ist, dann Durchführung einer neuen Osteotomie,

  • Überprüfung der endgültigen Knochen‑/Beinlänge auf Achsenaufnahmen im Stehen (Abb. 3f).

Abb. 4
figure 4

Schematische Darstellung des „plating assisted segmental bone transport“ (PABST) am Beispiel eines femoralen Defekts. a Eine laterale Platte überbrückt den Defekt. Bikortikale Schrauben werden in den Kondylen und der dorsalen proximalen Metaphyse platziert. Oberhalb des Transportsegmentes werden unikortikale Schrauben angebracht, die Platz für den Nagel lassen. Mit einer perkutanen Bohrlochosteotomie wird ein Transportsegment erzeugt. Der Verlängerungsnagel wird so tief wie möglich in das Transportsegment eingeführt. b Nach Beendigung des Transports wird ein Docking-Eingriff durchgeführt, bei dem die knöchernen Enden angefrischt und eine Spongiosatransplantation durchgeführt wird. Abschließend wird das Transportsegment mit Schrauben an der Platte befestigt

Der „fast distractor“ (Fa. NuVasive; Abb. 5) ist ein Instrument, das eine prä- oder intraoperative Schnelldistraktion des Nagelkolbens erlaubt, z. B. um den Nagelkolben rasch in eine bestimmte Position zu bringen. Während eines solchen Manövers muss darauf geachtet werden, dass die Länge des Knochens gehalten wird. Ansonsten besteht die Gefahr, dass das Regenerat kollabiert und sich verformt.

Abb. 5
figure 5

Der „fast distractor“ (Fa. NuVasive, San Diego, CA, USA) ermöglicht ein schnelles Ein- oder Ausfahren des Transportkolbens ohne Last. Dies ist hilfreich, wenn z. B. bei großen Defekten (Defektgröße > Hublänge) der Segmenttransport in mehreren Portionen erfolgen muss. a Rechter Oberarm des Patienten, temporär stabilisiert mit Fixateur externe, der bei entriegeltem Nagel den Kollaps des Regenerats verhindern soll. b Bildwandler-Röntgenaufnahme des Humerus mit retrograd eingebrachtem Transportnagel. In der unteren Bildhälfte Abbildung des „fast distractor“, der einen rotierbaren Magneten enthält; dieser treibt den motorisierten Nagel an. Der „fast distractor“ arbeitet mithilfe einer herkömmlichen Antriebsmaschine. Bitte beachten Sie, dass es sich bei der hier beschriebenen Verwendung des „fast distractor“ um Off-Label-Use handelt

Ist eine zusätzliche Verlängerung geplant, ist es unerlässlich, die Spitze des Nagels tief in das Transportsegment einzubetten, um später den Kolbenhub verkürzen zu können und eine Refixierung der Nagelspitze zu ermöglichen.

Docking

Beim Docking werden die Enden der knöchernen Hauptfragmente und ein Knochentransplantat in den Defekt eingebracht. Wir verwenden konzentriertes Knochenmark, gemischt mit autologer Beckenkammknochenspongiosa („bone marrow aspirate concentrate“ [BMAC]). Bei Bedarf kann der Docking-Spalt intraoperativ weiter komprimiert werden.

In ausgewählten Fällen kann eine 2‑mal/Woche wiederholte Kompression (Transport von je 0,33 mm) ausreichen, um eine knöcherne Heilung auch ohne Docking-Manöver zu induzieren.

Komplikationen und Rehabilitation

In vielen Fällen von Segmenttransport oder Verlängerungen wird die Einsteifung benachbarter Gelenke beobachtet, insbesondere am Femur. Begünstigende Faktoren für diese Kontrakturen sind heterotope Ossifikationen, Muskelfibrosen oder -verkürzung nach offenen Femurfrakturen oder schweren Weichteiltraumen. Intensive Physiotherapie ist obligatorisch, und manchmal ist ein chirurgisches Vorgehen im Sinne einer Arthrolyse erforderlich. Während des M. Quadriceps release und/oder Knochentransports belasten die Patienten mit 20 kg teil. Nach dem Docking wird rasch auf Vollbelastung übergegangen.

Diskussion

Das geschilderte Verfahren erscheint besonders vorteilhaft bei größeren Knochendefekten und in Fällen mit Begleitfrakturen. In der Literatur ist ein spezieller Transportnagel beschrieben [13], der aber nicht für den Einsatz in einer akuten Fraktursituation konzipiert wurde und nicht einfach zu bedienen ist. Dies mögen Gründe dafür sein, dass über die Erstbeschreibung hinaus keine weiteren Berichte darüber vorliegen.

Für die Masquelet-Technik wurden lange und schwer unvorhersehbare Konsolidierungszeiten und Vollbelastungszeiten beschrieben [14]. Darüber hinaus wird bei diesem Verfahren anstelle eines flexiblen Knochenrohrs ein massiver rigider Knochenblock erzeugt, mit dem Risiko zentraler Perfusionsprobleme und der Gefahr von Ermüdungsbrüchen. Vaskularisierte Fibulatransplantate erfordern eine aufwendige mikrochirurgische Technik; der Durchmesser der Transplantate ist begrenzt, die erforderliche Teilbelastung lang und Re‑/Ermüdungsfrakturen sind häufig.

In der Tumorchirurgie stehen insbesondere im gelenknahen Bereich endoprothetische Ersatzverfahren traditionell im Vordergrund. Insbesondere bei jüngeren Patienten ergeben sich aber mit dem vorgestellten Verfahren neue biologische Optionen, gerade dann, wenn der Patient keine Strahlen- und/oder Chemotherapie benötigt [15,16,17]. Für eine Darstellung der Vor- und Nachteile, die wir in den verschiedenen Behandlungsverfahren von Knochendefekten sehen: Tab. 2.

Tab. 2 Vor- und Nachteile verschiedener Behandlungsverfahren von Knochendefekten

Sondersituationen

Infektion

Bei offenen Frakturen und/oder der Konvertierung eines externen zu einem internen Verfahren besteht ein höheres Infektionsrisiko mit zahlreichen negativen Folgen wie z. B. erhöhtes Amputationsrisiko, mehr Revisionseingriffen, verlängerter stationärer Aufenthaltsdauer und höheren Behandlungskosten [18, 19]. Es besteht deshalb die Notwendigkeit zur Infektionsprophylaxe und -kontrolle. Das beinhaltet u. a. konsequente und ggf. wiederholte chirurgische Débridements, die Applikation von lokalen und systemischen Antibiotika, temporären Wundverschluss und andere Maßnahmen [10, 11, 20].

Totraummanagement

Das temporäre Einbringen eines (antibiotikahaltigen) Zement-Spacer vor Transportbeginn kann zu einer guten Vaskularisation des Defekts führen und so das Infektionsrisiko senken. Zudem wird das Einwachsen von Weichteilen in den Defekt verzögert.

Timing

Wir wenden die PABST-Methode nicht akut an; wir warten 4 bis 8 Wochen nach der Verletzung, vorzugsweise nach Biopsien mit negativem Befund (Infektionsausschluss). Wenn die mikrobiologische Analyse unsicher ist oder die Weichteile besonders geschädigt sind, empfehlen wir zunächst weitere Débridements und ein Totraummanagement. Im Zweifelsfall sollte der traditionelle Ringfixateur erwogen werden, insbesondere bei den distalen Defekten der Tibia.

Verkürzungen

Im Femur können relativ große Defekte akut verkürzt und der Knochen dann sekundär verlängert werden. Wir empfehlen akute Verkürzungen für Defekte bis 6 cm am Femur und 3–4 cm an der Tibia, stets unter sorgfältiger Überwachung der peripheren Pulse [21, 22]. Eine Platte wird dann in ähnlicher Weise platziert, wie oben beschrieben, der Defekt wird aber geschlossen. Unterhalb der Platte wird die Nagelspitze fixiert, und der Knochen kann nach einer Osteotomie verlängert werden (rechtes Bein). Es ist bekannt, dass eine Osteotomie einen erhöhten Blutfluss im Knochen induziert, der sich positiv auf die Heilung in der Fraktur auswirken kann.

Bei großen Weichteildefekten ist häufig ein freier Lappen unvermeidbar, insbesondere an der Tibia. Allerdings kann bei kleineren Weichteildefekten der Weichteilverschluss auch mit einer Verkürzung erreicht werden, zudem erspart man sich das meist erforderliche Docking-Manöver [23].

Tibia vs. Femur

Femurdefektfrakturen gelten traditionell als einfacher (weniger Komplikationen) zu behandeln als Tibiafrakturen. Dies trifft insbesondere auf die weit distalen Tibiafrakturen zu, deren distales Hauptfragment häufig in der Blutversorgung kompromittiert ist. Hier sollte die PABST-Technik mit zusätzlicher Vorsicht angewendet werden.

Darüber hinaus wird am Unterschenkel im metaphysären Teil häufig eine zusätzliche Fixierung in Form von Pollerschrauben benötigt, um die Stabilität zu verbessern und Fehlstellungen zu verhindern [24,25,26].

Des Weiteren sollte bei der Durchführung einer zusätzlichen Verlängerung der Tibia die Fibula mit Schrauben fixiert werden, um die Migration der Fibula proximal und distal zu verhindern.

Probleme und Komplikationen

Offene Femurfrakturen sind besonders anfällig für heterotrophe Ossifikation (HO) und Kontraktur des M. quadriceps. Zwei der hier vorgestellten Patienten benötigten eine Mobilisierung des M. quadriceps in Kombination mit einer HO-Entfernung. Der Patient im Beispiel 2 erhielt wegen verzögerter Heilung eine offene Revision und eine 2. Spongiosaplastik der Andockstelle. Der Patient im Beispiel 3 wies eine diskrete Abweichung der mechanischen Achse auf, da das Transportsegment ein wenig zu lateral im kondylären Teil andockte. Bei diesem Patienten kam es ohne weitere chirurgische Intervention durch einfache 2-wöchentliche Kompression von 2 × 1/3 mm zu einer guten knöchernen Konsolidierung im Bereich der Docking-Stelle.

Perspektiven

Die vorgestellte Technik ist relativ einfach in den Händen erfahrener Chirurgen. Größere und systematisierte Studien sind für eine weitergehende Beurteilung erforderlich. Es ist zu erwarten, dass die Technik mit der Zeit modifiziert wird und dass neue Implantate wie Knochentransportplatten, voll belastbare Nägel mit erweiterten Verlängerungsoptionen, neue Implantatmaterialien (z. B. Carbon) und komplett intramedulläre Lösungen die chirurgischen Optionen beim Knochendefekt noch erweitern [27].

Video-Referenzen

Fazit für die Praxis

  • Der Knochensegmenttransport mit einem motorisierten Verlängerungsnagel und einer Platte (PABST) ist eine neue leistungsfähige Methode, um Knochenverlust unterschiedlicher Genese (Trauma, Tumor, Infektion, angeborene Defekte) wirksam zu behandeln.

  • Das Verfahren vermeidet die Nachteile der externen Fixation (Pin-tract-Infektionen, Kontrakturen), erlaubt die gleichzeitige Stabilisierung von Begleitfrakturen und eine frühe Vollbelastung.

  • Voraussetzung ist eine sorgfältige chirurgische Planung mit Anpassung der Platten- und Nagelspezifikationen an Defektgröße und Gesamtlänge der Hauptfragmente. Weitere Voraussetzungen sind ein stabiler und vitaler Weichteilmantel sowie eine infektionsfreie Situation im Bereich von Plattenlager, Markraum und Knochendefekt.

  • Der motorisierte Nagel erlaubt es, einen Knochensegmentdefekt über einen inneren Segmenttransport zu füllen, während die Platte Länge, Torsion und Achse kontrolliert. Im Fall einer primären Verkürzung stabilisiert die Platte die Fraktur, während der motorisierte Nagel den Knochen gleichzeitig oder zeitversetzt verlängert.