Torsionsfehler nach Frakturen der langen Röhrenknochen können sowohl die obere als auch die untere Extremität betreffen. Trotz neuer Generation an Implantaten, Fortschritten der Navigationstechnologie und der zunehmenden Aufmerksamkeit der Operateure sind diese Fehlstellungen keine Seltenheit und werden weiterhin oft nicht wahrgenommen. Hauptgrund dafür ist die begrenzte Möglichkeit der intraoperativen Darstellung in der konventionellen zweidimensionalen Bildgebung (die versteckte Ebene).

Torsionsfehler stellen weit mehr als nur ein kosmetisches Problem dar. Bei bestehendem Torsionsfehler kommt es oft zu einer Überbelastung der Kompensationsmechanismen benachbarter Gelenke. Dies führt zu einer unphysiologischen Beanspruchung des Gelenkknorpels und kann die Entwicklung von schmerzhaften Bewegungseinschränkungen und letztendlich Degeneration und Arthrose bewirken. Mit der zunehmenden Lebenserwartung und der Erhöhung der Überlebenswahrscheinlichkeit nach Polytraumatisierung nimmt die sozioökonomische Bedeutung der posttraumatischen Deformitäten stetig zu. An der unteren Extremität wird derzeit eine Korrekturosteotomie und Reosteosynthese bei Torsionsfehlern von mehr als 15° empfohlen. Als Referenz wird die gesunde Gegenseite verwendet bzw. bei bilateralen Frakturen die Seite mit dem einfacheren Frakturtyp. An der oberen Extremität gibt es bis heute keinen klar definierten Richtwert.

In den letzten 30 Jahren führte die Etablierung der geschlossenen Marknagelosteosynthese als Goldstandard der operativen Versorgung von Femur- und Tibiaschaftfrakturen zum signifikanten Rückgang an Komplikationen, wie Infektion oder Pseudarthrose. Andererseits ist bei diesem Verfahren eine direkte visuelle Kontrolle der Fragmente intraoperativ nicht möglich. Torsionsabweichungen stellen die häufigsten Fehlstellungen nach Nagelung des Femurs oder der Tibia dar und werden mit einer Häufigkeit von 7 % bis 55 % angegeben. Indirekte radiologische Verfahren, wie die Trochanter-minor-Methode, der Kortikalissprung oder das Durchmesserdifferenzzeichen, können dem Operateur als Orientierung dienen.

Mit der Einführung der navigierten Marknagelung sollte dem Operateur die Möglichkeit gegeben werden, sowohl Torsion als auch Länge intraoperativ zu bestimmen. Die Erhöhung der Operationszeit, die Komplexität der Technik und die damit verbundenen Kosten sind einige der Gründe, warum sich diese Technik nicht etablieren konnte.

Torsionsfehlstellungen des Humerus und des Unterarms werden oft unterschätzt, da die obere Extremität deutlich weniger mechanisch belastet wird als die untere Extremität. Die Folgen dieser Fehlstellungen sind trotzdem klinisch signifikant, da sie oft mit schmerzhaften Bewegungseinschränkungen und relevanten Einschränkungen der Lebensqualität einhergehen. Im Rahmen dieses Themenhefts werden wir Diagnostik, präoperative Planung und Korrekturmöglichkeiten von Torsionsfehlern analysieren und die Ergebnisse anhand vorhandener Literatur kritisch bewerten.

Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre!

Mit besten Grüßen

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PD Dr. E. Liodakis

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Prof. Dr. C. Krettek