Beim Anblick einer Pilonfraktur im Röntgenbild und in der Computertomographie (CT) scheiden sich unter den Unfallchirurgen die Geister. Die einen scheuen vor der Komplexität der Verletzung zurück, die anderen freuen sich auf die Herausforderung einer anspruchsvollen Reposition und Osteosynthese. Glücklicherweise sind diese sehr schweren Verletzungen im Vergleich zu den alltäglichen Malleolarfrakturen selten. Aufgrund der Knorpelschäden und der schlechten Durchblutung der Fragmente kommt es, selbst nach optimaler Versorgung durch einen erfahrenen Operateur, häufig zu posttraumatischen Arthrosen. Zudem gehen Pilonfrakturen häufig mit Gelenkflächenimpressionen einher, die die Rekonstruktion der Gelenkfläche gegenüber einer Reposition von Spaltbrüchen erheblich erschweren. Auch für diese Situationen gibt es zahlreiche Tricks, wie zum Beispiel das gesunde obere Sprunggelenk der Gegenseite vor Beginn der Operation im Saal zu durchleuchten und dieses Bild zu spiegeln, um eine personalisierte Vorlage für die Rekonstruktion der verletzten distalen Tibia und der Länge und Rotation der Fibula zu erhalten. Im Gegensatz zur präoperativen Planung am Röntgenbild und in der CT enthält die Bildverstärkeraufnahme der Gegenseite bereits die technisch bedingten Verzerrungen einer punktförmigen Strahlenquelle, die auch die intraoperativen Bilder der verletzen Seite verfälschen. Die intraoperative Schichtbildgebung durch 3‑D-Bildwandler neuster Generation erreicht annähernd die Qualität einer CT. Diese steht aber nicht allen Operateuren zur Verfügung, wodurch deren Optionen, Implantatfehllagen und verbliebene Fehlstellungen intraoperativ zu erkennen und zu korrigieren, eingeschränkt bleiben.

In diesem Themenheft werden die unterschiedlichen Aspekte der Klassifikation, Operationsplanung, Operationstechnik und des Komplikationsmanagements dieser schweren Verletzungen von Experten verschiedener Kliniken beleuchtet. Hierdurch wollten wir für Sie als Leser erreichen, dass Ihnen nicht nur die Sichtweise und Therapiestrategie einer „Schule“ dargelegt, sondern dass Ihr persönliches Portfolio durch verschiedene Ansätze erweitert wird. Dies ist unserer Meinung nach wichtig, weil unter dem zunehmenden Einfluss der Evidenzbasierten Medizin (EBM) für jede Verletzung Standards entwickelt werden, welche dann in Leitlinien ihren Niederschlag finden. Die geringe Inzidenz der Pilonfraktur, die hohe Variabilität dieser Verletzungen und der Mangel an validen multizentrischen Studien mit aussagekräftigen Fallzahlen und hohem Evidenzgrad erlauben es derzeit nicht, deren Therapie auf ein einziges Konzept einzuengen. Unbestritten ist hingegen, dass für eine Gruppe von Verletzungen entwickelte Standards zur Stabilisierung der Versorgungsqualität führen. Schlechte Behandlungen werden soweit wie möglich vermieden und in der Mehrzahl der Fälle akzeptable Ergebnisse erzielt. Dies bedeutet, dass die Befolgung von Leitlinien und Standards über alle Patienten gerechnet, im Vergleich zu alternativen Behandlungen, statistisch zum besten Ergebnis führt. Das optimale Ergebnis für jeden Patienten kann hingegen nur im Rahmen einer Behandlung, die alle physischen, psychischen und sozialen Facetten des Individuums berücksichtigt, erzielt werden.

Diese so genannte individualisierte Medizin ist aufgrund der zahlreichen zu berücksichtigenden Aspekte viel schwerer und zeitaufwendiger zu erlernen und zu lehren als Standards. Aus diesem Grunde ist es essenziell, dass dem Behandler das begründete Abweichen von den Standards unter Rücksprache mit dem Patienten ermöglicht wird. Durch diese individuelle Herangehensweise der Autoren, welche von ihren jeweiligen persönlichen Erfahrungen geprägt ist, ergeben sich scheinbare Widersprüche zwischen den Artikeln, welche Sie bitte als Alternativen verstehen möchten. Wir hoffen, dass Sie durch die Auswahl der Artikel, welche locker aufeinander aufbauen aber selbstredend auch einzeln und in beliebiger Reihenfolge gelesen werden können, wertvolle Anregungen für Ihre tägliche Arbeit finden werden und wünschen Ihnen so viel Vergnügen beim Lesen, wie wir dies bei der Durchsicht der Manuskripte verspürten.

Mit besten Grüßen

Ihre

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Prof. Ralph Gaulke, Hannover

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Prof. Thomas Mittlmeier, Rostock