Studien aus den USA zeigen, dass Trauma die Hauptursache von Amputationen ist, noch vor peripherer arterieller Verschlusskrankheit, diabetischer Angiopathie und Tumoren [8].
Die klinische Entscheidungsfindung bei Patienten mit ausgedehnten Extremitätenverletzungen für aufwendige rekonstruktive Maßnahmen ist komplex und schwierig. Unfallchirurgen müssen also beim schweren Extremitätentrauma regelmäßig unter erheblichem Zeitdruck weitreichende Entscheidungen treffen.
Langdauernde Behandlungsmaßnahmen können die Belastbarkeit des Patienten übersteigen und den Patienten vital gefährden. Nicht immer haben langdauernde, belastende Behandlungsmaßnahmen auch ein befriedigendes funktionelles Ergebnis. Bleibenden Einschränkungen oder doch noch erforderliche späte Amputationen können die Folgen einer solchen Entscheidung sein. Neben den zahlreichen negativen Aspekten eines langdauernden, oft komplikationsbehafteten Gliedmaßenerhaltss ist auch das funktionelle Ergebnis häufig weniger befriedigend als nach primärer Amputation [3, 5, 6].
Die großen Fortschritte in Unfallchirurgie, der plastischen, Neuro- und Gefäßchirurgie mit optimierten Techniken für die Erkennung von Kompartmentsyndromen, für das Debridement, die Einführung temporärer vaskulärer Shunts, die Entwicklung von Damage-control-Techniken, sowie verbesserte Techniken für temporäre und definitive Weichteildeckung haben es möglich gemacht, in vielen Fällen Extremitäten nach Verletzungen zu erhalten, die in der Vergangenheit klare Amputationsindikationen waren [2, 4]. Daneben gibt es aber ungeachtet dieser großen Fortschritte auch kritische Studien, die negative Auswirkungen des Gliedmaßenerhalts auf den Patienten nachweisen [7] oder zumindest keine Vorteile zeigten [1]. Berechnungen deuten darauf hin, dass sich die Zahlen für traumatische Amputationen der oberen und unteren Extremität von 2005 bis 2050 verdoppelt haben werden (Abb. 1; [8]). Zudem steigt die Zahl an Publikationen, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen (Abb. 2), sodass es dringend erforderlich wurde, sich mit diesem Leitthema anhand der neuesten Literatur kompakt und umfassend auseinanderzusetzen.
Im ersten Beitrag aus Hannover und Berlin werden mit internationaler Beteiligung aus Israel und Großbritannien Möglichkeiten und Grenzen von Amputationsscores dargelegt, Entscheidungskriterien für den Extremitätenerhalt definiert und ein umfassender, international konsentierter Algorithmus für den Entscheidungs- und Behandlungsverlauf präsentiert.
Im zweiten Beitrag aus dem Bundeswehrkrankenhaus Berlin werden detailliert auch aus wehrmedizinischer Sicht die Techniken der Notfallmaßnahmen mit Blutstillung und Perfusionserhalt, Debridement, Kompartmentdruckmessung und -spaltung sowie temporäre Stabilisierungs- und Verschlusstechniken abgehandelt.
Wenige Studien zum Thema Gliedmaßenerhalt und Amputation haben so viel Zuwachs an hochklassiger Evidenz gebracht wie die Lower-Extremity-Assessment-Project(LEAP)-Studie. Auch wenn die Datengewinnung hier schon ein paar Jahre zurückliegt, stellt diese doch weiterhin die unangefochten beste Datensammlung zu dieser Thematik dar. Diese wurde in vielen Einzelaspekten über die letzten Jahre publiziert und wird hier im dritten Beitrag noch einmal aktuell zusammengefasst.
Stefan Salminger referiert im vierten Beitrag über „targeted muscle innervation“ als eine neue Möglichkeit zum Funktionserhalt und geht hier auf Operationsprinzipien und Ergebnisse ein und schließlich zeigt Horst Aschoff in seinem Beitrag über Endo-Exo-Prothesen, wie gerade jüngere Patienten nach Gliedmaßenamputation trotz Verlust der Extremität eine hohe Funktionalität erreichen können.
Die Herausgeber wünschen sich, dass mit dem hier präsentierten Leitthema „Extremitätenerhalt versus Amputation“ dem behandelnden Chirurgen aktuelle Informationen und praktikable Handlungsgrundlagen präsentiert werden, die die bestmögliche Entscheidung ermöglichen.
Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre!
Prof. Dr. Christian Krettek, FRACS, FRCSEd, Hannover
Prof. Dr. Christian Willy, Berlin
Literatur
Bosse MJ, MacKenzie EJ, Kellam JF, Burgess AR, Webb LX, Swiontkowski MF et al (2002) An analysis of outcomes of reconstruction or amputation after leg-threatening injuries. N Engl J Med 347(24):1924–1931
Cannada LK, Cooper C (2005) The mangled extremity: limb salvage versus amputation. Curr Surg 62:563–576
Harris AM, Althausen PL, Kellam J (2009) Complications following limb-threatening lower extremity trauma. J Orthop Trauma 23:1–6 (4(3):309–14.)
Hoogendoorn JM, Werken C van der (2001) Grade III open tibial fractures: functional outcome and quality of life in amputees versus patients with successful reconstruction. Injury 32:329–334
Huh J, Stinner DJ, Burns TC (2011) Infectious complications and soft tissue injury contribute to late amputation after severe lower extremity trauma. J Trauma 71(S51):S47 (31(9):1312–5.)
Stinner DJ, Burns TC, Kirk KL (2010) Prevalence of late amputations during the current conflicts in Afghanistan and Iraq. Mil Med 175:1027–1029
Webb LX, Bosse MJ, Castillo RC (2007) Analysis of surgeon-controlled variables in the treatment of limb-threatening type-III open tibial diaphyseal fractures. J Bone Joint Surg Am 89:923–928
Ziegler-Graham K, MacKenzie EJ, Ephraim PL, Travison TG, Brookmeyer R (2008) Estimating the prevalence of limb loss in the United States: 2005 to 2050. Arch Phys Med Rehabil 89(3):422–429
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Krettek, C., Willy, C. Extremitätenerhalt versus Amputation. Unfallchirurg 119, 356–357 (2016). https://doi.org/10.1007/s00113-016-0182-4
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