Zusammenfassung
Hintergrund
Unter den gegebenen Rahmenbedingungen lässt es sich nicht vermeiden, dass Ärzte auch im Einzelfall Verantwortung für die Kostendimension ihrer Entscheidung übernehmen, was verschiedenen empirischen Studien zufolge bereits heute der Fall ist. Der vorliegende Beitrag widmet sich deshalb der Frage, wie Ärzte in einer medizinisch rationalen und ethisch vertretbaren Art und Weise Kostenerwägungen in ihren Entscheidungen auf der Mikroebene berücksichtigen können.
Diskussion
Vorgeschlagen wird ein vierstufiges Modell eines „ethischen Kostenbewusstseins“: 1) Unterlassung ineffektiver Maßnahmen im Sinne einer evidenzbasierten Medizin, 2) konsequente Berücksichtigung individueller Patientenpräferenzen, 3) Minimierung des diagnostischen und therapeutischen Aufwands für die Erreichung eines bestimmten Therapieziels und 4) Verzicht auf teure Maßnahmen mit einem geringen/fraglichen Nutzengewinn für den Patienten. Die Stufen 1–3 sind durch die Prinzipien Wohltun, Nichtschaden und Respekt der Autonomie ethisch begründet, Stufe 4 durch das Prinzip der Gerechtigkeit. Für Entscheidungen auf der 4. Stufe sollten nach Möglichkeit lokale explizite Vorgaben wie z. B. kostensensible Leitlinien erarbeitet werden. Sofern der Arzt im Einzelfall Rationierungsentscheidungen treffen muss, sind prozedurale Mindeststandards zu berücksichtigen. Regelmäßige Kosten-Fall-Besprechungen oder klinische Ethikberatung sollten zur Entscheidungsunterstützung verfügbar sein. Stufe 4 setzt allerdings keine klare politische Legitimation mit entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen voraus.
Abstract
Background
Under the current conditions in the health care system, physicians inevitably have to take responsibility for the cost dimension of their decisions on the level of single cases. This article, therefore, discusses the question how physicians can integrate cost considerations into their clinical decisions at the microlevel in a medically rational and ethically justified way.
Discussion
We propose a four-step model for “ethical cost-consciousness”: (1) forgo ineffective interventions as required by good evidence-based medicine, (2) respect individual patient preferences, (3) minimize the diagnostic and therapeutic effort to achieve a certain treatment goal, and (4) forgo expensive interventions that have only a small or unlikely (net) benefit for the patient. Steps 1–3 are ethically justified by the principles of beneficence, nonmaleficence, and respect for autonomy, step 4 by the principles of justice. For decisions on step 4, explicit cost-conscious guidelines should be developed locally or regionally. Following the four-step model can contribute to ethically defensible, cost-conscious decision-making at the microlevel. In addition, physicians’ rationing decisions should meet basic standards of procedural fairness. Regular cost-case discussions and clinical ethics consultation should be available as decision support. Implementing step 4, however, requires first of all a clear political legitimation with the corresponding legal framework.
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Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt. G. Marckmann und J. in der Schmitten geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.
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Bei dem vorliegenden Beitrag handelt es sich um eine überarbeitete Fassung des folgenden Artikels: Marckmann G, in der Schmitten J (2011) Wie können Ärzte ethisch vertretbar Kostenerwägungen in ihren Behandlungsentscheidungen berücksichtigen? Ein Stufenmodell. Ethik in der Medizin 23:303–314.
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Marckmann, G., in der Schmitten, J. Kostenbewusste ärztliche Entscheidungen. Unfallchirurg 117, 406–412 (2014). https://doi.org/10.1007/s00113-013-2456-4
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