Wie die meisten wissenschaftlichen Zeitschriften verzeichnete auch die Monatsschrift Kinderheilkunde während der Coronapandemie eine beträchtliche Zunahme der Manuskripteinreichungen. Bedingt war dies wahrscheinlich teilweise durch Lockdown und Ausgangsbeschränkungen und damit vermehrte Valenzen für wissenschaftliche Aktivitäten. Zum Teil ergaben sich aber auch neue Fragestellungen.

Viele der in dieser Phase bei der Monatsschrift Kinderheilkunde eingereichten Arbeiten waren von hoher Qualität, wurden zur Publikation angenommen und online publiziert. Für die Printausgabe der Zeitschrift entstand allerdings ein beträchtlicher „Backlog“, sodass zahlreiche Arbeiten aus dieser Zeit bis dato nicht im Druck erschienen sind. Bereits im März 2023 wurde deshalb anstelle eines geplanten Themenschwerpunkts ein Heft mit Beiträgen aus dieser Phase konzipiert – nun folgt ein weiteres. Ausgewählt wurden dafür 6 Beiträge aus der Versorgungsforschung.

D. Geiselmann und T. Meyer aus Würzburg beschreiben in ihrem Manuskript epidemiologische, pathophysiologische, diagnostische und therapeutische Aspekte des Maldescensus testis. Die Zusammenschau basiert auf einer Literaturrecherche in PubMed aus dem Jahr 2020. Die Autoren beschreiben in verschiedenen Ländern und Ethnien recht unterschiedliche Prävalenzen zwischen 1,5 und 9 % und benennen diverse Risikofaktoren wie genetische Disposition, Frühgeburtlichkeit und niedriges Geburtsgewicht, aber auch Nikotin- und Alkoholbelastung in der Schwangerschaft. Diagnostisch steht die klinische Untersuchung im Vordergrund; bildgebende Untersuchungen können bei unklarem Befund die Diagnostik unterstützen. Therapeutisch kommt v. a. die chirurgische Intervention zum Einsatz; eine evtl. vorgeschaltete Hormontherapie darf keine wesentliche Zeitverzögerung bedingen. Bis Ende des ersten Lebensjahres soll die Verlagerung ins Skrotum abgeschlossen sein, um die Fertilität zu erhalten und maligner Entartung vorzubeugen.

Pädiatrische Versorgungsforschung behandelt ein breites interdisziplinäres Themenspektrum

O. Berthold und S. Banaschak aus Berlin bzw. Köln geben in ihrem Beitrag ein Update zum Schütteltraumasyndrom (Shaken Baby Syndrome). Als Motivation nennen sie diagnostische Unsicherheiten bei vielen Kolleg:innen, die in strafrechtlichen Verfahren Probleme nach sich ziehen können. Nach einem kurzen historischen Rückblick beziehen sich die Autoren auf vorliegende aktuelle Literatur zum Thema „Schütteltrauma“ sowie auf die S3-Leitlinie „Kinderschutz“. Sie stellen dar, dass die richtige Diagnose bei Beachtung gängiger Empfehlungen und Leitlinien durch Anamnese, klinische Untersuchung, adäquate bildgebende und ophthalmologische Untersuchung nach ihrer Einschätzung mit hinreichender Sicherheit gestellt werden kann.

M. Lendt et al. aus Meerbusch (D) berichten über ihre Erfahrungen bei funktionellen neurologischen (Gang‑)Störungen (FNS). Dafür wurden die Daten von 40 Kindern und Jugendlichen aus den Jahren 2015–2021 retrospektiv analysiert. Bewertet wurden v. a. die während bzw. nach der FNS-Therapie erzielten Verbesserungen bezüglich motorischer Funktion (Gross Motor Function Measure, GMFM), funktioneller Einschränkungen (Pediatric Evaluation of Disability Inventory PEDI), 6‑Minuten-Gehstrecke, Hilfsmittelbedarf und schulischer Reintegration. Die Ergebnisse zeigen unter bzw. nach der Therapie in allen Parametern eine signifikante Verbesserung; bei allen Patienten ist auch die schulische Reintegration gelungen. Die Autoren betonen die gute Prognose der FNS bei Anwendung einer interdisziplinären stationären Behandlung, verweisen aber auch auf den negativen Einfluss zusätzlicher psychischer Störungen.

S. Stehle et al. berichten über die medizinische Versorgung minderjähriger Flüchtlinge in Deutschland. Dafür wurde mithilfe einer Online-Umfrage erhoben, inwieweit die vorliegenden Empfehlungen bei den 40.000–50.000/Jahr nach Deutschland kommenden minderjährigen Flüchtlingen angewandt werden. Die Erhebung zeigt, dass Anamnese und körperliche Untersuchung durch die Kinder- und Jugendärzt:innen regelhaft durchgeführt werden, dass aber fluchtrelevante Aspekte oftmals nicht adäquat berücksichtigt werden. Apparative und Laboruntersuchungen erfolgen nur mangelhaft, großteils aufgrund fehlender struktureller und/oder apparativer Ressourcen. Mehrheitlich wird von den Kinder- und Jugendärzt:innen der Wunsch nach standardisierten Untersuchungsprogrammen angegeben.

U. Fegeler aus Oranienburg (D) beschreibt mit Koautoren aus anderen Standorten die Bedeutung von Prävention und Management soziogener Entwicklungsstörungen in der pädiatrischen Grundversorgung. Einleitend wird festgehalten, dass Kinder aus dem unteren sozioökonomischen Statusbereich bereits bei Schuleintritt vermehrt Beeinträchtigungen der motorischen, sprachlichen und kognitiven Entwicklung aufweisen. In weiterer Folge erreichen 20–25 % von ihnen keinen Hauptschulabschluss. Die Autoren verweisen auf die wesentliche Rolle von Kinder- und Jugendärzt:innen bei der Prävention derartiger ungünstiger Lebensverläufe. Nach Einschätzung primärversorgender Kinder- und Jugendärzt:innen existieren verschiedene die Entwicklung begünstigende und benachteiligende Einflussfaktoren; diese werden in der Arbeit beschrieben. Präventiv werden v. a. Frühe Hilfen und Frühförderung in Anspruch genommen, relativ großzügig wird aber auch den sozialpädiatrischen Zentren (SPZ) zugewiesen. Wesentliche Intention ist es, Kinder „fit für die Schule“ zu machen.

L. Gugglberger et al. aus Wien befassen sich in ihrem Beitrag mit dem Thema „Kinderrechte in österreichischen Krankenhäusern“. Dafür wurden 133 in leitenden Positionen tätige Ärzt:innen und Pflegefachkräfte mithilfe eines Fragebogens befragt, in welchem Ausmaß Partizipation an ihren Abteilungen umgesetzt ist und die Richtlinien der European Association for Children in Hospital (EACH) Charta befolgt werden. Dabei ergab sich, dass das Bewusstsein für kindzentrierte Behandlung großteils vorhanden ist, aber auch (noch) beträchtliche Unterschiede zwischen einzelnen Standorten bestehen. Als zusätzliche Handlungsfelder identifizieren die Autor:innen (i) die Verankerung der Thematik schon in der Ausbildung, (ii) die Stärkung der Team- und Feedbackkultur sowie (iii) qualitätskontrollierte Maßnahmen zur Steigerung der Partizipation.

Wir hoffen, dass die in diesem Heft nun abgedruckten Beiträge auch für Sie interessanten Lesestoff darstellen. Wie immer freuen wir uns auf Ihre Rückmeldungen, gern auch in Form von Leserbriefen.

Leoben/Dresden/Hannover/Mainz im Jänner 2024