FormalPara Originalpublikation

Malmberg H‑R, Hanel A, Taipale M et al (0122) Vitamin D Treatment Sequence Is Critical for Transcriptome Modulation of Immune Challenged Primary Human Cells. Front Immunol. 12:754056. https://doi.org/10.3389/fimmu.2021.754056.


Die Supplementation mit Vitamin D des Neugeborenen sowie des Säuglings stellt eine Standardversorgung in Deutschland dar. Das präventive Ziel liegt hierbei in der klassischen Rolle von Vitamin D im Knochen- und Kalziumhaushalt. Vitamin D steuert jedoch noch viele weitere zelluläre Prozesse, z. B. im Immunsystem. Während der COVID-19(Coronavirus SARS-CoV‑2)-Pandemie wurde kontrovers diskutiert, ob Vitamin D einen therapeutischen Effekt gegenüber SARS-CoV‑2 hat. Eine neue Studie untersucht nun systematisch die Rolle von Vitamin D im Rahmen von Infektionen.

FormalPara Studie.

Die biologisch aktive Form von Vitamin D, 1,25(OH)2D3, wirkt im Zellkern als Hormon, da es dort hochaffin an den Vitamin-D-Rezeptor (VDR) bindet, der als Transkriptionsfaktor die Expression hunderter Zielgene koordiniert. Die genomweite Veränderung der Genexpression – auch Transkriptom genannt – kann anhand der Messung der mRNA determiniert werden. In ihrer Studie isolierten die Wissenschaftler mononukleäre Zellen des Immunsystems von gesunden Probanden und exponierten diese in vitro Stimulanzien (Lipopolysaccharid (LPS) und β‑Glucan), die eine Infektion vortäuschen („danger signals“), in 3 Szenarien: 1. Die Zellen wurden zuerst dem Stimulans ausgesetzt und 24 h später für weitere 24 h mit 1,25(OH)2D3 behandelt. 2. Die Zellen wurden zunächst 24 h mit 1,25(OH)2D3 kultiviert und anschließend dem Stimulans ausgesetzt. 3. Die Zellen wurden mit dem Stimulans und 1,25(OH)2D3 simultan behandelt. Die Analyse biologischer Signalwege wurde anhand des Transkriptoms auf die funktionelle Konsequenz der Veränderung in der Genexpression hin untersucht.

FormalPara Ergebnisse.

Nach der Behandlung mit einem Stimulans konnte eine Veränderung in der Genexpression von ungefähr 1000 unterschiedlichen Genen in den Immunzellen beobachtet werden. In der Gegenwart von 1,25(OH)2D3 war die Anzahl der responsiven Gene jedoch um bis zu zwei Drittel geringer. Viele dieser Gene haben ihre Funktion in der Steuerung des angeborenen also des „innate“ Immunsystems. Die Gene, die auf die unterschiedlichen Immunherausforderungen und auf Vitamin D ansprachen, variierten dabei je nach Szenario, was darauf hindeutet, dass die Behandlungssequenz den größten Einfluss auf die Reaktion der Zellen hat. Die Vorbehandlung mit Vitamin D führte zu einer effektiveren Steuerung der Immunantwort und dem Verhindern einer überbordenden Immunreaktion. Die Autoren schlussfolgern, dass daher die durch Vitamin D ausgelöste Aktivität als Training des angeborenen Immunsystems zur Bekämpfung von Infektionen angesehen werden kann.

Kommentar

Die beeindruckend hohe Anzahl der responsiven Gene zeigt zunächst, wie flexibel unser Epigenom ist, und wie ausgeprägt und fein reguliert die Reaktion des Immunsystems auf äußere Einflüsse, wie z. B. eine Infektion, ist. Die Daten aus dem Labor geben eine gute biologische Grundlage dafür, dass ein ausreichender Vitamin-D-Status von entscheidender Bedeutung für die effektive Steuerung der Immunantwort ist. Die Standardversorgung mit Vitamin D erfolgt über die UV-B-Exposition der Haut. Da sich unser Leben jedoch mittlerweile vornehmlich in das Haus verlagert hat, sollte sich jeder um eine präventive ausreichende Vitamin-D-Versorgung kümmern. Für die Rolle von Vitamin D als Therapeutikum im Rahmen einer Infektion konnten in diesem in-vitro-Experiment keine biologischen Grundlagen gezeigt werden.