Die Digitalisierung verändert Umwelt und Gesellschaft und so auch das Gesundheitswesen. Die diagnostische Radiologie ist von einer analogen Technik nahezu komplett in die digitale Welt, bestehend aus Nullen und Einsen, transformiert. Dieses Fachgebiet ist prädestiniert für den nächsten Entwicklungsschritt – die Anwendung künstlicher Intelligenz (KI) in der Anfertigung und Auswertung digitaler Bilddaten.

Wird KI Radiologen ersetzen? Ein Szenario, das manche befürchten, das aber nach Expertensicht nicht eintreffen wird. Allerdings werden die Kollegen scheitern, die künftig den Einsatz von Verfahren der KI ablehnen. Eine Vorhersage, wie die radiologische Welt in 10 Jahren aussieht, ist nicht möglich. Fakt ist schon jetzt, das KI die Arbeit verbessern wird – Terminmanagement, Untersuchungsplanung, Durchführung, Befunderstellung und -kommunikation, Qualitätsmanagement ([26]; Abb. 1). In all diesen Bereichen wird künftig mit Anwendungen aus der KI zusammengearbeitet werden. Radiologen können sich bei sinnvollem Einsatz der KI auf komplexe Fälle und die klinische Arbeit fokussieren und intensiv(er) der Kommunikation mit Patienten und Kollegen widmen. Die künftige Ausbildung der Studierenden und die Weiterbildung in der Radiologie müssen daher die Begrifflichkeiten und Grundlagen zu KI und zum Umgang mit den Algorithmen und ihrer kritischen Anwendung sowie die entsprechende Reflexion beinhalten (Tab. 1).

Abb. 1
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Patientenweg von der Überweisung bis zu radiologischem Befundbericht und Therapieplanung mit nachfolgenden Kontrollen mithilfe der Bildgebung. Übersicht, wie künstliche Intelligenzwerkzeuge die klinische Praxis in der Kinderradiologie verbessern können. RIS Radiologie Informations System. (Teile der Abbildung [Icons] wurden erstellt mit freundl. Genehmigung © Erhan Ergin/Fotolia, alle Rechte vorbehalten)

Tab. 1 Kurzgefasste Begriffsdefinitionen zur Arbeit mit Werkzeugen der künstlichen Intelligenz. (Nach Moore et al. [21])

Standortbestimmung und Blick in die Zukunft

Tagtäglich werden in radiologischen Abteilungen und Instituten Hunderttausende von Bildern erzeugt. Allein eine einzige Ganzkörper-MRT-Untersuchung besteht aus bis zu 6000 Bildern, eine Polytrauma-Spiral-CT ebenfalls aus mehreren Tausend Bildern. Radiologen benötigen für deren Auswertung sehr viel Zeit und höchste Konzentration; nichts soll übersehen werden – neben Hauptbefunden gibt es Neben- und Zufallsbefunde, die evtl. in Zukunft eine krankmachende Bedeutung für den Patienten haben können. Dieser Aspekt ist insbesondere bei Kindern zu berücksichtigen, die ihr ganzes Leben noch vor sich haben und künftige, sich entwickelnde pathologische Veränderungen noch erleben werden. Umso größer ist die Erwartungshaltung in der Kinder- und Jugendradiologie gegenüber künftiger Unterstützung durch Verfahren der KI.

Künftig werden KI-Elemente neben Diagnose und Prognose auch Therapievorschläge unterbreiten können

Computerprogramme suchen schon seit Jahren als „Computer-assisted diagnosis“(CAD)-Systeme hypothesenbasiert nach Auffälligkeiten in radiologischen Bildern und markieren diese. Ein Hauptanwendungsgebiet dieser Technik in der Kinder- und Jugendradiologie ist die Analyse von Karporadiogrammen zur Bestimmung des Skelettalters. In Zukunft werden Elemente der KI selbstständig Algorithmen entwickeln, die die individuellen Bildinformationen mit anamnestisch klinischen Angaben des jeweiligen Patienten und Big Data aus großen Netzwerken kombinieren und neben Diagnose und Prognose auch eine geeignete Behandlung vorschlagen. „Machine learning“ (ML) als eine Form von KI ist in der Lage, eigenständig und ohne explizites Programmieren anhand gesammelter Daten Muster zu erkennen – ohne Ermüdung wird an Bildprozessierung und -interpretation gearbeitet [21]. Der Faktor Mensch wird aber trotz dieser Selbstständigkeit der Technik unverändert in der ethischen Verantwortung sein, diese Informationen zu sichten und ihre Vertrauenswürdigkeit kritisch zu prüfen, bevor er sie nutzt. Dies gilt insbesondere, da für eine Zulassung von KI-Software in Deutschland bislang lediglich eine einfache CE-Kennzeichnung ausreichend ist, also keine randomisierten Studien notwendig sind, um die Effektivität und Sicherheit der KI nachzuweisen. So kann auch der Software ein Fehler unterlaufen; die Haftung liegt dann aber sicherlich nicht beim Entwickler der Software, bzw. die KI kann nicht haftbar gemacht werden.

Historie

Bereits für die ersten Computer in den 1950er-Jahren wurde der Begriff „artificial intelligence“ (AI) geprägt. In den 1980er-Jahren wurden erste Professuren zur KI-Erforschung geschaffen. Der Einsatz von computergestützter Auswertesoftware in der diagnostischen Radiologie wird in den 2000er-Jahren als CAD-Systeme in der Detektion von Herdbefunden in der Lunge und in der Mamma etabliert. In der Kinderradiologie hielten erste Anwendungen zur automatisierten Skelettalterbestimmung Einzug in die Routine (z. B. BoneXpert™, Visiana, Hørsholm, Dänemark, [23]). Die Kombination der Vermessung von knöchernen Strukturen der Mittelhand und der Analyse der Porosität des Knochens gestattet zudem eine Abschätzung der Knochendichte [19]. Sehr häufig werden bei Kindern Röntgenaufnahmen des Thorax angefertigt. Ihre Beurteilung ist komplex und subjektiv, sodass mehrere Radiologen je nach Erfahrung, Training, Müdigkeit und Fokussierung zu teilweise sehr verschiedenen Bewertungen kommen. Die CAD-Systeme können digitale Röntgenbilder automatisch analysieren, ermüden nicht und liefern ohne Intraobserver- und Interobserver-Variabilität einen Befund. Im Rahmen der Studie Pneumonia Etiology Research in Child Health (PERCH) wurde CAD4Kids entwickelt, um auf Thoraxröntgenaufnahmen Pneumonien entsprechend den WHO-Kriterien zu detektieren („dense or fluffy opacity that occupies either a portion, lobe or entire lung, with or without air bronchograms“, [18]), und konnte eine Sensitivität von 76 % und eine Spezifität von 80 % im Vergleich zu 3 erfahrenen Radiologen erreichen. Automatische Segmentierung, Texturanalyse, Scoring und die Einbeziehung klinischer Angaben (z. B. „Human-immunodeficiency-virus“[HIV]-Status) gehörten zu den trainierten Schritten dieses Algorithmus. Ein wesentlicher Vorteil dieser Studie war der große Datenumfang (858 Kinder), allerdings wurde lediglich ein JPEG-Format ausgewertet. Der Einfluss der entsprechend reduzierten Datenqualität (256 Graustufen, Formatkompression) könnte durch die Analyse von DICOM-Daten vermindert werden.

Durch Steigerung der Rechenleistung moderner Computersysteme mit Einführung von „graphics processing units“ sowie die Entwicklung von Algorithmen gelang die Etablierung von KI und ML. Künstliche Intelligenz lernt hypothesenfrei unter Zuhilfenahme von Bilddaten – z. B. aller Sequenzen bei einer MRT-Untersuchung –, klinischen Parametern, Laborwerten und genetischen Informationen. Die Güte von KI-Anwendungen hängt von der Datenqualität ab, mit denen das System trainiert wird [8]. Beim ML werden das überwachte (basiert auf durch Experten vorbereiteten Datensätzen, bei denen In- und Output definiert sind) und das unüberwachte (freie) Lernen unterschieden [7]. Beim freien Lernen wird der Algorithmus trainiert, selbstständig Merkmale in den zur Verfügung gestellten Daten zu identifizieren und anhand dieser Gruppen zu unterscheiden. Hierfür ist eine wesentlich größere Datenmenge notwendig. Deep learning als eine Form des ML beruht auf der Anwendung künstlicher neuronaler Netze („convolutional neural network“, CNN), die gemeinsam interagieren, um ein Problem zu lösen [4].

Künstliche Intelligenz lernt hypothesenfrei

Auch wenn in der Radiologie mittlerweile Fragen zu KI-Anwendungen tagtäglich präsent sind, spielt das Thema in der Kinder- und Jugendradiologie noch keine so große Rolle. Dies ist einerseits der wesentlich größeren Arbeitslast in der Erwachsenenradiologie mit einem gigantischen Bilddatenaufkommen und dem großen Wunsch nach Entlastung bei der Routinebefundung geschuldet, andererseits ist es durch den Mangel an ausreichend großen Trainingsdatensätzen in der Kinderradiologie erklärbar. Das betrifft sowohl die Quantität als auch die Heterogenität der Daten in der Kinder- und Jugendmedizin. Wesentlich ist der Anspruch auf personalisierte Medizin in der Kinderradiologie, was dazu führt, dass eine Vielzahl der Untersuchungen individuell geplant und durchgeführt wird.

Bislang werden KI-Anwendungen, abgesehen von der in radiologischen Praxen und Abteilungen etablierten Spracherkennung verschiedenster Anbieter, nahezu ausschließlich an universitären Zentren entwickelt und evaluiert. Ursache sind hierzulande fehlende bzw. unzureichende Infrastrukturen in den Gesundheitseinrichtungen, falsche Erwartungen und unklare Gesetzeslagen. Es ist daher nicht verwunderlich, das sich auch die KI-Forschung eher in anderen Ländern entwickelt. In globalen Wettkämpfen unter Wissenschaftlern werden mittlerweile für bestimmte definierte Fragestellungen KI-basierte Algorithmen entwickelt, wie z. B. zur Lungenrundherddetektion. Die Radiological Society of North America führt jährlich eine KI-Challenge durch. Im Jahr 2019 widmete sich dieser Wettkampf der Vorhersage des Knochenalters [10]. Es wurden 14.236 Röntgenaufnahmen der Hand zur Verfügung gestellt, wobei 12.611 zum Trainieren der Algorithmen, 1425 zur Validierung und 200 Karporadiogramme zum vergleichenden Test genutzt wurden. Es wurden 105 Verfahren auf Basis neuronaler Netze eingereicht. Die besten Resultate ergaben eine Abweichung von 4,2 bis 4,5 Monaten vom Referenzstandard; ein Wert, den sehr erfahrene Kinderradiologen im Vergleich kaum erreichen.

Tägliche Anwendungen in der Routine

Die Themen Kommunikation, Workflow-Management von Untersuchungen, Bildverarbeitung, Segmentierung und Detektion, Bewertung und „radiomics“ zählen zu den Anwendungsgebieten von KI in der Radiologie. Die Verbreitung von KI-Anwendungen und ihre Integration in den Arbeitsprozess erfolgen individuell in der radiologischen Abteilung, über Teleradiologieverbünde oder aber über App-Stores. Diverse Großgerätehersteller entwickeln derzeit entsprechende Verbreitungsstrukturen wie beispielsweise Siemens Healthineers mit dem in Syngo.Via integrierten App-Store [11]. Start-ups wie MedTech Startup Deepc aus München bieten verschiedenste Software-Lösungen zu Identifikation, Charakterisierung und Quantifizierung von Läsionen, die in Zusammenarbeit mit Radiologen sorgfältig validiert werden müssen.

Kommunikation

In der Kommunikation können schon heute über Spracherkennung Chatbots („artifical conversational entity“) im Dialog mit den Patienten deren Symptome erfassen [28] und basierend auf „Deep-learning“-(DL)-Algorithmen künftig aus den geschilderten Problemen die geeignete Bildgebungsmodalität anhand vorhandener evidenzbasierter Vorgaben auswählen. Digitale Anmeldungen in der radiologischen Praxis oder in der Klinik, verknüpft mit dem Krankenhausinformationssystem (KIS), könnten die zeitraubende Terminvergabe übernehmen. Strukturierte Anforderungstexte werden durch KI analysiert, und entsprechend der Fragestellung und gültiger Leitlinien wird das geeignete bildgebende Verfahren vorgeschlagen [6]. Dies setzt allerdings voraus, dass die Zuweiser diese Texte im Vorfeld korrekt bzw. in ausreichender Weise ausfüllen und bestenfalls eine digitale Datenkartei des Kindes vorliegt. Neben den Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) sind für die Auswahl die nationalen Orientierungshilfen der Strahlenschutzkommission (SSK) und auch internationale Angebote zu Rechtfertigung und Optimierung der Bildgebung wie Image Gently und Image Wisely zu berücksichtigen, die in den Vorgaben des American College of Radiology (ACR) beschrieben sind und stetig aktualisiert werden [12].

Workflow-Management

Durch geeignete Software (z. B. Syngo Virtual Cockpit®, Siemens Healthineers) können schon heute Großgeräteuntersuchungen wie z. B. ein MRT aus der Ferne gesteuert werden. Den Körpermaßen des Patienten entsprechend werden die Untersuchung vorbereitet, die Orientierung angepasst und geeignete Sequenzfolgen in Abhängigkeit von der Fragestellung automatisiert gestartet. Standardisierte Rekonstruktionstechniken (z. B. multiplanare Rekonstruktionen [MPR], Maximum- und Minimumintensitätsprojektionen [MIP, mIP] sowie dreidimensionale Darstellungen von Profil, Knochen, Gefäßen oder Organen) ohne Bearbeitung der Rohdaten werden erstellt. Die zunehmend knapper werdende Zahl medizinisch-technischer Radiologieassistenten (künftig Technologen für Radiologie) kann so effizienter eingesetzt werden.

KI-gesteuertes zentrales Workflow-Management bietet Zeitersparnis und differenzierende Befundberichte

Unternehmen stellen KI-Algorithmen (z. B. IntelliSpace AI Workflow Suite®, Fa. Philips; Edison Open AI Orchestrator®, Fa. GE) zur Verfügung, die das zentrale Workflow-Management steuern. Klinische Daten werden unmittelbar an die Modalität und die KI-Anwendung geliefert und ermöglichen die Bilddatenerstellung und -verarbeitung nach Dringlichkeit und ohne Eingriff des radiologischen Personals. Bei den Befundungslisten wird durch KI-Anwendungen eine Priorisierung vorgenommen, die basierend auf klinischen Angaben und Fragestellung sowie automatisch in den Bilddaten detektierter pathologischer Veränderungen (z. B. Pneumothorax) entscheidet, welche Untersuchung zuerst zu befunden ist [30]. Der Report wird künftig zunehmend standardisiert und strukturiert gestaltet [25], sodass Befundassistenten (z. B. Mint Medical) ihn vorbereiten und aktuelle Untersuchungsbefunde bereits mit Voruntersuchungen im Verlauf markieren und segmentieren können. Die resultierende Zeitersparnis dürfte zur Akzeptanz der (bislang noch etwas unbeliebten) strukturierten Befundung führen. Strukturierte Befunde sind letztlich in der weiteren standardisierten Betreuung der Patienten sinnvoll. Zudem bieten DL-basierte Algorithmen wie z. B. AUTOStroke solution® (Fa. Canon Medical System) beim akuten Schlaganfall in Kombination mit der selbstständigen Bildakquisition und -analyse bereits einen zwischen ischämischen und hämorrhagischen Infarkten differenzierenden Befundbericht, der dem Schlaganfall-Netzwerk zur Verfügung gestellt werden kann. Basierend auf 10.000 Fällen wurde der zugrunde liegende DL-Algorithmus für die Analyse und Differenzierung intrakranieller Blutungen trainiert.

Bilderstellung und -verarbeitung

Anwendungen der KI zu Bilderstellung und -verarbeitung haben sich mittlerweile in den verschiedenen Modalitäten der Radiologie etabliert. In der konventionellen Radiographie werden verschiedene Algorithmen eingesetzt, um die Bildqualität zu verbessern. So liefern virtuelle Raster bei bettseitig angefertigten Röntgenaufnahmen von Thorax und Abdomen eine wesentlich schärfere Abbildung bei reduzierter Strahlenexposition. Generell für die Untersuchung am Röntgenstativarbeitsplatz (Thoraxröntgen im Stehen) zur Reduktion der Streustrahlenunschärfe entwickelt, können sie bei Kindern auf der Intensivstation ab einem Körpergewicht von ca. 10 kg zu höherer Bildqualität ohne vermehrte Strahlenexposition genutzt werden. Der nach Leitlinien der Fachgesellschaften empfohlene Einsatz von physikalischen Rastern zur Streustrahlenreduktion ist mit einem höheren Dosisbedarf verbunden.

Beispielhaft ist dies in Abb. 2 dargestellt. Deep-learning-basierte Algorithmen tragen individuelle Patientendaten (Gewicht, Sagittaldurchmesser) über „convolutional neural“ und „dense network“ mit großen Datenmengen zusammen und schätzen den zu erwartenden Streustrahlenanteil im Bild ab. Anschließend wird das Bild über neuronale Netze (54 Lagen, 30.000 Bilder), die an anthropometrischen Modellen und klinischen Röntgenbildern trainiert wurden, analysiert und mit der abgeschätzten Streustrahlungskarte kompensiert, wodurch ein detailreiches schärferes Bild resultiert.

Abb. 2
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Darstellung der Bildprozessierung unter Nutzung eines virtuellen Rasters (SimGrid, S‑VueTM, Fa. Samsung). (Mit freundl. Genehmigung, © K. Ebeling, alle Rechte vorbehalten)

In der Computertomographie lassen iterative Rekonstruktionstechniken der Rohdaten und DL-Algorithmen eine weitere Dosisreduktion zu und liefern rauschärmere, kontrastreichere Bilder ([32]; Abb. 3). Im MRT haben KI-Anwendungen das Potenzial zur Reduktion der Scan-Zeit [15], was insbesondere im Kindesalter zur größeren Akzeptanz der Untersuchung führt bzw. Untersuchungen in Sedierung ermöglicht und so die Zahl erforderlicher Narkose-MRT und damit verbundener Risiken vermindert. Andere DL-Verfahren gestatten eine Reduktion der i.v.-Applikation gadoliniumhaltiger Kontrastmittel in der MRT, deren Anwendung bei Kindern und die mögliche Ablagerung im Körper zu Diskussion und Verunsicherung bei den Eltern geführt hat [9]. Bei der Nachverarbeitung können störende Bildartefakte reduziert werden, wie am Beispiel der Diffusionstensorbildgebung der Wirbelsäule gezeigt werden konnte [1]. Eine automatisierte Kategorisierung und Kennzeichnung von Bilddaten (Labeling) bei Versand ins „picture archiving and communication system“ (PACS) ist im Umgang mit den Bilddatensätzen – insbesondere bei onkologischen Patienten mit einer Vielzahl von Verlaufskontrollen – bei der Befundung und Demonstration in interdisziplinären Fallbesprechungen sehr hilfreich.

Abb. 3
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Thorax-CT-Aufnahmen eines am „pediatric inflammatory multisystem syndrome“ erkrankten 15-Jährigen. Darstellung im Lungenfenster, Akquisition 0,625 mm Schichtdicke, „Ultra-low-dose“-Protokoll. a 2,5 mm dicke Rekonstruktion mit adaptiver statistischer iterativer Rekonstruktion (ASIR); durch den Einsatz von iterativer Rekonstruktion zur Dosiseinsparung resultiert ein höheres Bildrauschen. b 2,5 mm dicke Rekonstruktion mit ASIR und DL-Algorithmus. Durch den Einsatz von DL-Algorithmen resultiert trotz ASIR ein Bild mit schärferen Konturen und geringerem Bildrauschen

Klassifikation und Quantifizierung

Algorithmen zur Klassifikation und zur Quantifizierung verbessern die Möglichkeiten bei Messverfahren in der Orthopädie (z. B. Cobb-Winkel bei Skoliose, Reimers-Index bei Hüftdysplasien). Wie bei der oben genannten Entwicklung von CAD-Systemen war für die Pädiatrie aufgrund der gewaltigen Datenmenge an standardisiert angefertigten Röntgenaufnahmen der Hand die Skelettaltersbestimmung für die Entwicklung eines entsprechenden Algorithmus prädestiniert [17]. Es gelang, ein neuronales Netz zu erstellen, das eine dem Experten äquivalente Vergleichbarkeit in der Altersbestimmung aufwies. Texturanalysen bei der digitalen Radiogrammetrie (DXR) gestatteten zudem, Abschätzungen zur Knochenmineralisation vorzunehmen, sodass z. B. bei Kindern mit chronischen oder onkologischen Krankheitsbildern bzw. nach Organtransplantation Aussagen zum Knochenalter und, daran angepasst, unter Bezugnahme auf lokoregionale Referenzwerte zum Vorliegen einer Osteopenie getroffen werden konnten ([19]; Abb. 4; Tab. 2 und 3).

Abb. 4
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Abschätzung der Knochenmineraldichte mithilfe der digitalen Radiogrammetrie. a Scanner-Einheit (Pronosco X-posure System, V2. Sectra, Schweden) zur Digitalisierung der Röntgenaufnahme und zur automatisierten Kalkulation von Metakarpal- und Porositätsindex, b automatisierte Detektion und Markierung der Kortexstrukturen der Ossa metacarpalia II–IV, Bestimmung von kortikaler Dicke und Markraumdurchmesser. Unter Zuhilfenahme von CAD-Algorithmen Segmentierung und Texturanalyse. (In Anlehnung an Mentzel et al. [20])

Tab. 2 Mittelwerte und Standardabweichungen der DXR-Parameter für Jungen. (Aus Mentzel et al. [20])
Tab. 3 Mittelwerte und Standardabweichungen der DXR-Parameter für Mädchen. (Aus Mentzel et al. [20])

Segmentierung

Anwendungen in der Neuropädiatrie dienen zur Verlaufsbeurteilung von Marklagerveränderungen im Hirn (z. B. „unidentified bright objects“ [UBO] bei Phakomatosen, Plaques bei multipler Sklerose) bzw. zum Therapiemonitoring bei Lungenherden [21]. Die automatisierte Segmentierung von Bilddatensätzen zur Volumetrie von Klein- und Großhirn mit Differenzierung von Liquorräumen, grauer und weißer Substanz sowie das Aufzeigen von Normabweichungen gestatten KI-Assistenten. Die Volumenentwicklung der Liquorräume kann in den radiologischen Befundbericht automatisch integriert werden und ist beispielsweise für Therapieentscheidungen bei Kindern mit Hydrozephalus wichtig.

Detektion, Bewertung und Vorhersage

Neben der Detektion durch fest programmierte CAD-Systeme als Basis kann beispielsweise ein an einer Vielzahl von Lungen-CT-Daten trainierter KI-Algorithmus (XGBoost) helfen, eine Bewertung und Vorhersage zu treffen, welcher Herdbefund sich künftig zu einem Malignom entwickeln wird. Lakhani und Sundaram haben einen Algorithmus zur Detektion von Lungentuberkulose mit einer exzellenten Effizienz und Genauigkeit entwickelt („Area under curve“[AUC]-Wert 0,99; [16]). Für die Lungen-CT bei interstitiellen Erkrankungen können auf ML basierende KI-Algorithmen objektiv und rasch Aussagen treffen, welche pathologische Veränderung vorliegt und deren Ausmaß quantifizieren [22]. Bereits heute kommerziell verfügbare Anwendungen wie Computer Aided Lung Informatics for Pathology Evaluation and Rating (CALIPER®) stufen das Lungengewebe auf Voxelebene anhand von Dichte und Textur in verschiedene Klassen ein und weisen bei interstitiellen Lungenerkrankungen Erwachsener eine höhere Korrelation zur Lungenfunktion auf als die herkömmliche visuelle Analyse der Radiologen. Zur Befundung von Thoraxröntgenaufnahmen existieren Algorithmen, die bis zu 70 oder 90 pathologische Veränderungen erkennen, allerdings passen sie sich bislang schlecht in den radiologischen Workflow ein [8].

Für Erwachsene etablierte KI-Anwendungen müssen eigens für Kinder und Jugendliche trainiert werden

Im Erwachsenenalter etablierte KI-Anwendungen dürfen nicht kritiklos und unreflektiert für Patienten im Kindesalter übernommen werden. So wies eine KI zur Frakturdetektion bei Erwachsenen eine Sensitivität von 98 % und eine Spezifität von 99 % auf, bei Kindern allerdings eine hohe falsch-negative Rate mit einer Sensitivität von 26–36 %. Die Spezifität von 95–98 % war vergleichsweise sehr hoch [2]. Abhilfe könnte lediglich ein Training der KI an entsprechenden Datensätzen von Kindern und Jugendlichen schaffen. Bisher evaluierte Anwendungen im Kindesalter sind beispielhaft die AI-Anwendung zur Frakturdetektion auf Röntgenbildern [27], zur Beurteilung von Knochenmarkbefunden bei nichtbakterieller Osteitis auf MRT-Bildern [3] oder die Klassifikation von angeborenen Anomalien von Nieren und ableitenden Harnwegen („congenital anomalies of the kidney and urinary tract“, CAKUT) anhand von Ultraschallbildern [33]. In der Kinderneuroradiologie konnten für die 3T-MR-Spektroskopie Algorithmen zur Differenzierung von Medulloblastom, Ependymom und pilozytischem Astrozytom entwickelt werden; Subgruppen des Medulloblastoms können durch die Kombination von Texturanalyse, klinischen Biomarkern und Bildmerkmalen ohne Biopsie unterschieden werden [14].

Radiomics ermöglicht Vorhersagen zu Tumorhistologie, -genetik, -metastasierung und Therapieansprechen

Ein wesentliches Problem der Anwendung von DL-Systemen ist die Fokussierung auf meist nur eine pathologische Veränderung – andere Auffälligkeiten werden nicht erkannt, sodass es zu fatalen Fehleinschätzungen kommen kann. Als Beispiel werden Metastasen der Nebennieren benannt, die von der auf Lungenherde geschulten KI nicht erkannt werden. Verbessert werden kann dies durch das Schalten mehrerer parallel arbeitender neuronaler Netze in einer Anwendung [11].

Radiomics

Das Kunstwort Radiomics (auch „radiogenomics“) ist eine Zusammensetzung aus Radiologie und Genetik und bezeichnet die Möglichkeit, aus individuell erzeugten quantitativen Bilddaten unter Nutzung großer medizinischer Datenbanken statistisch basierte Aussagen zu Entität und Prognose zu erstellen. Neben Statistik (Korrelation mit klinischen Endpunkten) wird ML (DL) bei der automatischen Extraktion quantitativer Merkmale aus den Bilddaten eingesetzt. Aktuell wird diese Möglichkeit digitaler Bildanalyse bei der Charakterisierung und Differenzierung von Pneumonien, die mit der „coronavirus disease 2019“ (COVID-19) assoziiert sind, erfolgreich angewandt [13]. Seit den ersten Publikationen zu Radiomics 2012 konnte das Potenzial zur Vorhersage von Tumorhistologie und -genetik, Metastasierung und Therapieansprechen weiterentwickelt werden. Im Kindesalter wurden Daten zu Osteo- und Weichteilsarkom publiziert [5, 31].

In einem Multizenterprojekt wurden klinische Daten und Ergebnisse der Bildgebung bei Kindern mit neonataler hypoxisch-ischämischer Enzephalopathie gesammelt. Eine KI mit ML soll an diesem Datenpool Algorithmen entwickeln, die Aussagen zur Prognose gestatten [29]. Ergebnisse der Bildgebung werden in AI-Anwendungen integriert, die Biomarker für bestimmte neurokognitive Erkrankungen identifizieren, um diese möglichst frühzeitig zu diagnostizieren und eine entsprechende (Früh‑)Förderung bzw. Therapie zu ermöglichen [6].

Gestaltung und Übermittlung radiologischer Befunde

Bei der Gestaltung und Übermittlung der radiologischen Befunde werden KI-Algorithmen eingesetzt, um in den mitunter sehr ausführlichen Beschreibungen und Beurteilungen die wesentlichen Fakten zu identifizieren und zu markieren. Algorithmen in der Spracherkennung werden entwickelt, um besonders bedeutsame Befunde (z. B. Fehllage des Trachealtubus, Spannungspneumothorax, Hirnödem mit drohender Einklemmung) hervorzuheben und den Kliniker entsprechend darüber zu informieren. Im Fall von seltenen Erkrankungen oder schwierigen Differenzialdiagnosen könnte Software helfen, eine befundbasierte Literaturrecherche selbstständig durchzuführen und wesentliche Publikationen zum Fall herauszufiltern [24].

Ausblick

Künstliche Intelligenz und ML werden in der Kinder- und Jugendradiologie künftig als wertvolles Instrument zur Bildanalyse verfügbar sein und die tägliche Arbeit von der Terminierung und Planung bis zu Durchführung und Integration des Untersuchungsergebnisse in den Behandlungsplan beeinflussen. Kinder- und Jugendradiologen sind gefordert, gewissenhaft und sorgsam mit diesen Innovationen umzugehen und sie kritisch zu hinterfragen. Bei Erwachsenen bereits etablierte KI-Anwendungen können nicht unreflektiert ins Kindes- und Jugendalter übernommen werden. Der individuelle Patientendatenschutz und ethische Fragen werden bei dem in großem Umfang zunehmendem Bild- und Datenversand und der Bearbeitung durch internationale Netzwerkstrukturen verstärkt zu beachten sein. Die Sicherheit in der Interaktion von Patientenidentifikations- und Patientendatenkarten mit Datenbanken der ambulanten und stationären Versorgung sowie der Krankenkassen ist zu prüfen. Gesetzliche Vorgaben sind entsprechend dem Nutzen der Anwendung von KI und ML in der Patientenversorgung und deren Risiken permanent zu entwickeln. Eine Möglichkeit zur Vergütung des Einsatzes von KI-Anwendungen wird erforderlich sein, da sowohl die Implementierung als auch die Pflege und Weiterentwicklung von KI-Elementen kostenintensiv sind.

Fazit für die Praxis

  • Künstliche Intelligenz (KI) und Maschinenlernen (ML) sind vielversprechend zur Erleichterung der Arbeit in der Kinder- und Jugendradiologie einsetzber.

  • KI kann perspektivisch die Befundsicherheit erhöhen

  • Ethische Ansprüche und Datenschutzfragen sind nicht abschließend geklärt.

  • Eine kritische Überprüfung der Ergebnisse von KI-Anwendungen ist notwendig. Expertise über die eingesetzten Algorithmen und hohe Qualität der Trainingsdaten (Big Data) sind die Grundvoraussetzungen für einen effektiven Einsatz von KI.

  • Durch automatisierte Bildauswertung kann Expertenwissen mit prädiktiven Biomarkern verschiedener Kategorien kombiniert werden und Aussagen zu Prognose und geeigneter Therapie ermöglichen.

  • Die Nutzung standortübergreifender Datensätze in Forschungsverbünden der Kinder- und Jugendradiologie ist mit erheblichem Ressourcenaufwand verbunden und erfordert neben besserer Standardisierung der radiologischen Untersuchungen auch ein Vergütungsmodell.