Unter den eingelangten Berichten ehemaliger SchülerInnen, AssistentInnen und KollegInnen Hans Aspergers wurden für das vorliegende Sonderheft zum Druck jene ausgewählt, in denen eine mehrjährige Zusammenarbeit mit Hans Asperger angegeben wird. Alle weiteren sind als Zusatzmaterial online abrufbar.

Sämtliche SchülerInnen und KollegInnen unterstützen darüber hinaus die persönlichen Beschreibungen von Asperger im Beitrag von Waldhauser et al. in diesem Sonderheft.

Die folgenden Berichte sind von den VerfasserInnen unverändert übernommen und in deren ausschließlicher Verantwortung.

Erinnerungen an und Begegnung mit Hans Asperger

Christoph Groh

Während meiner Studentenzeit in Wien (1947–1949) habe ich als damaliger Leiter des Medizinerkreises der Katholischen Hochschulgemeinde mehrmals Doz. Asperger zu Vorträgen und Diskussionen eingeladen, bei denen oft auch medizinisch-ethische Themen diskutiert wurden. Praktisch alle Zuhörer waren während ihrer Gymnasialzeit in den vorausliegenden Jahren (im Fach Biologie) mit dem Gedankengut der Rosenberg-Rassentheorie, den Nürnberger Gesetzen und dem Begriff des „lebensunwerten Lebens“ konfrontiert bzw. indoktriniert worden. Umso klarer und unzweifelhaft war die mit allgemein humanistischen und religiösen Argumenten begründete, ablehnende Stellungnahme Aspergers. Für uns Studenten war dabei seine kollegiale Art besonders beeindruckend, die uns nicht „professoral“ belehrte, sondern als ebenbürtige Diskussionspartner anerkannte.

Asperger wurde stets als klar zu seiner christlichen Weltanschauung stehender Mann angesehen

Als ich 1953 an die Kinderklinik kam, gab es noch einige Krankenschwestern (meist im Range von leitenden Stationsschwestern), die schon unter Pirquet bzw. Hamburger gearbeitet hatten. Wenn sie uns Jungärzten davon erzählten, wie „es früher war“, kamen u. a. auch die in der Zeit zwischen 1938 und 1945 an der Klinik geschehenen Untaten zu Sprache – z. T. mit Namensnennung der beteiligten Ärzte (die auch nach 1945 weiterhin – sehr erfolgreich – beruflich aktiv waren). Demgegenüber war von Asperger stets nur als von einem absolut integren, klar zu seiner christlichen Weltanschauung stehenden Mann die Rede, der deswegen auch mit der Gestapo „Probleme“ hatte. Auch die Berichte der Schwestern über seine Mitwisserschaft und Unterstützung beim (erfolgreichen) Verstecken des jüdischen Jungen Hans Busztin durch Dr. Feldner stehen in einem klaren Widerspruch zu den jetzigen Behauptungen einer Kollaboration mit dem Nazi-Regime.

Er selbst stand damals als Leiter der heilpädagogischen Station an der unter Kundratitz ganz auf die somatische Pädiatrie ausgerichteten Klinik eher im Abseits der „Oberarzthierarchie“. Umso mehr konzentrierte er sich auf sein Spezialgebiet und war fast den ganzen Tag in der Ambulanz oder an der Station engagiert und außerdem als Konsiliarius in öffentlichen und privaten sonderpädagogischen Institutionen tätig. Im Jahr 1955 wurde ich im Rahmen der klinischen Ausbildungsrotation seiner Station zugeteilt, dabei beeindruckte (wohl auch prägte) mich im Umgang mit den Patienten besonders die Art seiner kinderpsychiatrischen Diagnostik: eine intuitive erste Vermutungsdiagnose (gewonnen aus einer sehr empathisch erhobenen Anamnese und einem relativ kurzen, aber genau v. a. auch die körperlichen Ausdruckserscheinungen beobachtenden Ersteindruck des Patienten) wurde im weiteren Verlauf selbstkritisch verifiziert oder – ganz selten – falsifiziert.

Kritisch mag man seine therapeutische Aktivität beurteilen: Zwar spielte er gern mit einer Gruppe von Kindern oder las ihnen vor – mit besonderem Engagement war er bei seinen geliebten Autisten im sog. Samstagnachmittaghort bei Sport, Spiel und z. T. hochgeistigen Literaturdiskussionen indirekt therapeutisch tätig. Im Übrigen überließ er die Therapie gern dem TEAM (Therapie soll ein anderer machen).

Die Zeit als Klinikchef (1962–1977) wird von Franz Rath treffend beschrieben. Ergänzend ist noch anzumerken: Wenn man mit ihm als Chef zu tun hatte, war er nie autoritär oder überheblich, sondern versuchte stets, sein Gegenüber mit Argumenten zu überzeugen.

Univ.-Prof. Dr. med. univ. Christoph Groh, geb. 1924, Spezialist für Neuropädiatrie und pädiatrische Epileptologie, ehemaliger Leiter der heilpädagogischen Station zwischen 1977 und 1987 und interimistischer Leiter der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde Wien zwischen 1987 und 1990

Hans Asperger – Kinderarzt in schwerer Zeit

Franz Rath

Ich habe 10 Jahre (1961–1971) an der Universitätskinderklinik Wien unter Leitung von Prof. Hans Asperger gearbeitet und habe Hans Asperger als humanistisch gebildeten und in seiner Weltanschauung überzeugten Katholiken kennengelernt. Sein Umgang mit den Patienten war mitfühlend, mit Respekt vor der Persönlichkeit des kranken Kindes. In seiner Vorlesung „Heilpädagogik – Wege zur Menschenkenntnis“ – die immer in einem von Studenten gefüllten Hörsaal stattfand, war es faszinierend, seinem Zwiegespräch mit dem Patienten zu folgen und anschließend die Beurteilung des Problems und der Persönlichkeit dieses Kindes zu hören.

Natürlich gehörte seine ganze Zuneigung dem aparten Wesen „seiner“ Autisten. Wenn er negative Seiten der äußerlichen Erscheinung oder des Charakters eines Kindes beschrieb (z. B. struppiges Haar, grobe Gesichtszüge, Grausamkeit), waren dies Tatsachen und keine Herabsetzung des Kindes.

Nie habe ich eine positive Erwähnung der Naziideologie von ihm gehört; dieses System beschrieb er als verbrecherisch und menschenverachtend.

Dr. med. univ. Franz Rath, geb. 1934, Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde in St. Pölten

Persönliche Erfahrung mit Hans Asperger

Ronald Kurz

Die Publikationen über Prof. Hans Asperger als Nazikollaborateur machen mich sehr betroffen. Ich kann dazu nur meine persönliche Sicht gegenüberstellen:

Zur Person von Herrn Prof. Asperger, wie ich ihn als Mensch, Arzt und Lehrer erlebt habe, kann ich sehr begrenzte Aussagen machen. Persönliche Erfahrungen hatte ich in meiner medizinischen Ausbildung in den 1960er-Jahren als Hörer seiner Vorlesungen und während meiner Zeit als Turnusarzt in der Univ.-Kinderklinik in Innsbruck, wo Prof. Asperger Klinikvorstand war. Sein Verhalten zu Mitmenschen, auch gegenüber Studenten, Kollegen, Eltern und Kindern war väterlich, milde und differenziert. Menschenverachtende oder unethische Aussagen konnte ich in keiner Situation erleben. Bei Präsentationen von Kindern, auch solchen mit Behinderungen, in den Vorlesungen oder bei klinischen Visiten gab es für mich keinen Hinweis auf Ansichten, die an eine nazistisch eugenische Ideologie hätte denken lassen. Dies war auch nicht der Fall bei der Auswahl der Vorträge anlässlich des von ihm veranstalteten pädiatrischen Weltkongresses in Wien und bei den häufigen von ihm gestalteten Abendveranstaltungen der pädiatrischen Fortbildungswochen in Obergurgl. Wie alle Kinderärzte meiner Zeit schätze auch ich seine Arbeiten zum Autismus hoch ein.

Da ich mich selbst seit den 1980er-Jahren intensiver mit Behinderungen bei Kindern auseinandersetzte, wären mir unethische eugenische Ansichten bei Herrn Prof. Asperger bestimmt aufgefallen. Vor allem sein für die damalige Zeit weitblickendes somatisch, kognitiv, sozial und pädagogisches Viersäulenmodell für die holistische Krankheitserfassung hatte für mich wesentliche Bedeutung. Die für meine pädiatrische Arbeit einschlägige Literatur ließ für mich keinen Verdacht auf unethische oder menschenunwürdige Ansichten in Aspergers Arbeiten aufkommen. Meine persönlichen Erfahrungen mit der Person Prof. Asperger können natürlich keinen Aufschluss geben über seine angebliche Einstellung in der damaligen NS-Zeit, ergaben aber keinen Hinweis für eine menschenverachtende Ideologie.

Univ.-Prof. Dr. med. univ. Ronald Kurz, geb. 1935, ehemaliger Vorstand der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde Graz zwischen 1985 und 1994

Gedanken zu Hans Asperger

Hildegard Katschnig, geb. Schlegl

Erinnerung an die Mittwochnachmittagsvorlesung

Im Jahr 1964, noch als Studentin, zog mich Hans Asperger (H.A.) mit seiner Vorlesung am Mittwochnachmittag in seinen Bann. Er zeigte uns Kinder aus der heilpädagogischen Station. Es beeindruckte mich, wie er mit den Kindern sprach, in Augenhöhe, voll Respekt und mit großem Interesse an ihrem Wohlergehen, ganz anders, als ich es von meinen anderen medizinischen Vorlesungen kannte.

Meine Promotion

Da ich 1968 sub auspiciis praesidentis promovierte, durfte ich mir meinen Promotor selbst wählen. Meine Wahl fiel auf H.A.

Wie erstaunt war ich, als er mit großer Freude den Hermelinumhang für ihn musterte. War er vielleicht etwas eitel?

Die Promotionsrede nützte H.A. geschickt, um auf den wichtigen Stellenwert der Kinderheilkunde in der Ausbildung der Ärzte hinzuweisen.

Ich erinnere auch noch, wie respektvoll er mit meinen Eltern gesprochen hat, die natürlich gerührt waren, von diesem Festakt.

Meine Zeit als Ärztin in Ausbildung und später als Assistenzärztin von 1968 bis1978

Da mich das Fach der Kinderheilkunde sehr interessierte, und da ich einen lieben Bekannten (Oberarzt Dr. Franz Rath) hatte, wählte ich die Kinderklinik zu meiner Ausbildung.

Wie erstaunt war ich, dass eigentlich nicht, wie ich erwartet habe, H.A. die Klinik führte, sondern sein ausgezeichneter 1. Oberarzt Doz. Thalhammer. Hans Asperger widmete sich weiter seinen Studien; in seiner toleranten Art überließ er den Alltag in der Klinik seinen Oberärzten. Davon war ich sehr enttäuscht. Außer den seltenen Chefvisiten sah ich H.A. nur, wenn ich ihn in seinem Zimmer um einen Rat fragte, wie z. B. 1973 als mein Mann, damals Psychiater in Ausbildung, ein einjähriges Stipendium für London erhielt. Ich wollte meinen Chef H.A. um ein Jahr Karenz bitten. Höflich hörte er mir zu, meinte: sehr interessant, aber ich solle doch alles mit Herrn Thalhammer besprechen.

Wieder eine Enttäuschung, aber es zeigte auch wieder seine große Toleranz und sein Vertrauen in seine Oberärzte.

Obergurgl

Jedes Jahr zur Winterzeit hatten wir eine Fortbildungswoche in Obergurgl. Unvergesslich schöne und lehrreiche Stunden für mich. Kinderheilkunde am Vormittag und Skifahren am Nachmittag.

Da lernte ich eine neue Seite bei H.A. kennen. Als er uns die herrliche Bergwelt zeigte und alle Namen der umliegenden Berge nannte, spürte ich seine tiefe Naturverbundenheit. Ich durfte in Obergurgl seine Tochter Maria Asperger kennenlernen, die er liebevoll „Mariechen“ nannte.

Dank

Mit diesen wenigen Zeilen möchte ich meinen Dank für das aussprechen, was ich besonders von H.A. lernen durfte: den Respekt und die Liebe zu Kindern.

Dr. med. univ. Hildegard Katschnig, geb. 1942, Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde und Familientherapeutin

Asperger – gelebter Humanismus

Herwig Frisch

Elf Jahre habe ich als Assistent an der Universitätskinderklinik unter dem Vorstand Prof. Dr. Hans Aspergers gearbeitet und meine ersten Erfahrungen mit der Kinderheilkunde gemacht. Beeindruckt hat mich Asperger v. a. durch seine umfassende humanistische Bildung.

Humanismus: „menschenfreundlich, gesittet, gebildet, edle Menschlichkeit, dem Wohle des Menschen dienend.“

Asperger hätte keinem anderen Lebewesen absichtlich und gezielt Schaden zugefügt

Jeder, der das Glück hatte, Asperger kennenzulernen, würde spontan sagen, dass das eine treffende Beschreibung seiner Persönlichkeit sei: umfassend gebildet, tolerant, vielleicht ein wenig ungeduldig gegenüber menschlicher Dummheit und Ignoranz, humorvoll und sicher kein Mensch, der absichtlich und gezielt anderen Lebewesen Schaden zugefügt hätte.

Bei den Visiten oder während der Vorlesung kam das Gespräch oft auf Themen der Allgemeinbildung, und es folgte eine Diskussion über kulturelle oder geschichtliche Themen. Gewalt, Kriegsverherrlichung oder jede Form des Antisemitismus wurden von Asperger vehement abgelehnt.

Als Leiter der Hormonambulanz habe ich oft Kinder mit beträchtlicher körperlicher und geistiger Retardierung zu sehen bekommen. So z. B. Patienten mit zu spät erkannter Hypothyreose – noch vor Einführung des Screeningprogramms – oder Kinder mit psychosozialem Kleinwuchs („maternal deprivation syndrome“). Meine erste Arbeit an der Klinik beschrieb, zusammen mit F. Rath, Kinder mit zu spät erkannter Hypothyreose. Zu dieser Zeit war noch das „Imprimatur“ des Vorstands erforderlich, um die Arbeit einreichen zu können. Aus diesem Anlass ergaben sich interessante Diskussionen über die Ursachen der Retardierung sowie die Möglichkeiten des Aufholens, und Asperger hat sich oft über den Verlauf erkundigt. Aus diesem Anlass waren Psychosomatik und die Plastizität des Gehirns Themen, bei denen man Asperger gern zugehört hat.

Die rezente Unterstellung, Asperger wäre an der NS-Tötungsmaschinerie beteiligt gewesen, kommt – nach heutigem Zeitgeist – von einer Generation, die sich v. a. durch Selbstgerechtigkeit auszeichnet, und der jeder verdächtig ist, der die grauenhaften NS-Zeiten relativ unbeschadet überstanden hat. Diese Generation möchte suggerieren, dass sie auch in gefährlichsten Zeiten Heldenmut praktiziert und durch aktiven, lauten Widerstand allzeit den Tod riskiert hätte.

Als Wehrmachtssoldat hat Asperger immerhin tatsächlich sein Leben riskiert, und die leidvollen Erfahrungen und Entbehrungen des Krieges standen bestimmt nicht an oberster Stelle der Wunschliste dieser verheizten Kriegsgeneration, nur um als Überlebender von einer überheblichen Historikerkaste pauschal als Verdächtiger, der sich nicht mehr dagegen wehren kann, behandelt zu werden.

Uns jedenfalls wird die außergewöhnliche Persönlichkeit Aspergers, von dem wir viel für das Leben gelernt haben, in guter Erinnerung bleiben.

Univ.-Prof. Dr. med. univ. Herwig Frisch, geb. 1941, Spezialist für pädiatrische Endokrinologie, ehemaliger Leiter des Bereichs Pädiatrische Endokrinologie, Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde Wien zwischen 1971 und 2006

Asperger! Univ.-Prof. Dr. Hans Asperger! Welch ein Mensch und Lehrer!

Olaf A. Jürgenssen

Letztlich ist sein Vorbild ausschlaggebend gewesen, dass ich mich doch für das Fach Kinderheilkunde entschieden habe – und nicht mein Vater! Ganz im Gegenteil, da ich eigentlich nicht vorgehabt habe, genau das Gleiche wie mein Vater zu machen, der nach Univ.-Prof. Reuss’ Berufung an die Univ.-Kinderklinik Wien die Kinderklinik Glanzing 5 Jahre interimsmäßig geleitet hat (1949–1954).

Aber dann eröffnete uns Aspergers Vorlesung „Wege zur Menschenkenntnis“, immer am späten Mittwochnachmittag einen völlig neuen Zugang zu Patienten, insbesondere zu kindlichen Patienten. Asperger lehrte uns, Patienten ganzheitlich zu betrachten, nicht nur an ihren Symptomen zu messen. Dies war seinerzeit, also etwa Ende der 1960er-Jahre sensationell, lange vor Ausbildungen in psychosomatischer, psychosozialer und psychotherapeutischer Medizin, wie sie erstmals von der niederösterreichischen Ärztekammer angeboten worden sind. In all diesen klinischen Betrachtungsweisen hat damals dieser Zugang zur Psyche eines Menschen schmerzlich gefehlt – nur Asperger hat als einziger Ordinarius der medizinischen Fakultät so etwas angeboten. Und wir Studenten haben ihm mit roten Ohren zugehört!

Asperger hat als einziger Ordinarius der medizinischen Fakultät den Zugang zur Psyche gelehrt

Und so ein Mensch soll der mörderischen Naziideologie nahegestanden sein? Dieser von Humanismus und einem unerschütterlichen christlichen Glauben geprägte Mann ein Nazi? Absurder kann so eine Behauptung gar nicht sein. Als vor etwa eineinhalb Jahren in Die Presse und kurz darauf in den Salzburger Nachrichten die ersten Hinweise erschienen, dass es in den USA zu diesen Anschuldigungen gekommen sei, hat mich das nur einen Lacher gekostet. Ich habe dann doch meine Leserbriefe geschrieben, die übrigens nie erschienen sind, aber nicht um Aspergers angeblichen Nazibezug zu diskutieren, der mir außer Streit zu stehen schien, sondern weil beide Zeitungen diese Vorwürfe völlig unreflektiert weitergegeben haben (Die Salzburger Nachrichten haben kürzlich Asperger sogar in eine Reihe mit Gross und Wurst gestellt! Verrückt!). Erst allmählich habe ich begriffen, dass in den Vereinigten Staaten eine absolut ernst zu nehmende Kampagne gegen Asperger im Laufen gewesen ist. Dort hat das Asperger-Syndrom eine viel größere Bedeutung als in Europa, was wohl die heftige Attacke von Sheffer („Aspergers Kinder“) erklärt, die diese Diagnose bei ihrem Sohn nicht akzeptieren kann und daher als Teil der Naziideologie diffamiert.

Wer je mit Hans Asperger persönlich zu tun gehabt hat, ist von dessen Menschenliebe beeindruckt gewesen. Nur Böswillige haben ihm eine gewisse Schrulligkeit nachgesagt, nicht zuletzt wegen der von der übrigen Klinik streng abgeschotteten heilpädagogischen Station. Als gewöhnlicher Klinikangehöriger hat man dort kaum Zugang gehabt. Aber allen ist die internationale Bedeutung dieser Abteilung bewusst gewesen. Nicht, dass es nicht auch Kritik gegeben hätte. So habe ich mich einmal sehr gewundert, als eines meiner onkologischen Kinder tränenüberströmt von der Hauptvorlesung zurückgekommen ist. Univ.-Prof. Asperger hat das Kind vorgestellt und dabei nachdenklich geäußert, dass Gott dem, den er liebt, auch Leiden schickt – womit Asperger aber die Perzeptionsfähigkeit dieses Kindes völlig überfordert hat. Nur aus seiner zutiefst christlichen Weltanschauung heraus ist diese Bemerkung zu verstehen. Aber was hat dies mit der Naziideologie zu tun?

Legendär ist sein von ihm selbst so bezeichneter „Zitaterich“ gewesen. Als humanistisch gebildeter Mensch kannte er nicht nur alle Klassiker, sondern auch alle passenden Zitate, die geradezu aus ihm herausströmten. Als wir Asperger einmal zu einer Jahrestagung nach Graz mitgenommen haben, hat er uns die ganze lange Fahrt hindurch mit seinem „Zitaterich“ die Zeit verkürzt.

Er pflegte sein Image auch durchaus mit seinem Auftritt bei den Tagungen in Obergurgl, wenn er in einer noch sehr weiten „Keilschihose“ seine Skier an einer Schnur hinter sich herzog (seine Skier hatten noch ein Loch in den Schaufeln – nicht zu verwechseln mit den späteren Renn-Loch-Skiern). Er war mit diesen Eigenschaften einfach liebenswert. Wann hat man auch je ein böses Wort über jemanden anderen gehört – was übrigens im sonstigen Klinikbetrieb nicht eben selten vorkommt? Schließlich ist das Konkurrenzdenken in jeder Klinik stark ausgeprägt und schier unvermeidlich. Aber nicht bei Asperger! Dazu war er viel zu liebenswürdig und empathisch – aber eben kein Nazi. Dass er sehr wohl über seine Meinung und Urteile keinen Zweifel gelassen hat, steht dazu in keinem Widerspruch!

Univ.-Prof. Asperger hat mich jedenfalls als Mensch tief beeindruckt und meinen Lebensweg massiv beeinflusst.

Dr. med. univ. Olaf Arne Jürgenssen, geb. 1946, ehemaliger Primarius der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde, Wiener Neustadt