Mehrfach behinderte Kinder und Jugendliche haben einen komplexen medizinischen Betreuungsbedarf. Meist liegt der Behinderung eine neurologische Erkrankung zugrunde. Etwa ein Drittel der Kinder mit Zerebralparese ist schwer mehrfach behindert. Neurometabolische, -degenerative oder -muskuläre Erkrankungen führen im Verlauf ebenfalls oft zu schwerer Mehrfachbehinderung, und auch nichtprogrediente neurogenetische Erkrankungen sind z. T. mit Mehrfachbehinderung assoziiert.

Die primäre Diagnostik und die Behandlung assoziierter oder auch zugrunde liegender Probleme, wie eine therapieresistente Epilepsie oder epileptische Enzephalopathie, führen nicht selten zur sehr aufwendigen sowie für die betroffenen Patienten und Familien belastenden stationären Aufnahme.

Die stationäre Betreuung komplex-kranker Kinder erfordert interdisziplinäres Management

Die betroffenen Kinder und Jugendlichen und ihre Familien benötigen zudem alle eine regelmäßige ambulante Anbindung und Versorgung im sozial-/neuropädiatrischen Team (Ärzte, Therapeuten, Psychologen, Sozialpädagogen …). Mit dem Leitthema dieser Monatsschrift Kinderheilkunde wollen wir insbesondere die Probleme beleuchten, die bei diesen Patienten immer wieder zur stationären Aufnahme führen. Die stationäre Betreuung komplex-kranker Kinder mit Sekundär- oder Akutkomplikationen ist eine komplexe Herausforderung, die interdisziplinäres Management erfordert. Operative und konservative Aspekte der Medizin sind gleichermaßen betroffen, und insbesondere ist ihre enge Zusammenarbeit in vielen der hier dargestellten Bereiche essenziell.

Ein Problem, das in fast jeder Langzeitbetreuung eines mehrfachbehinderten Kindes und Jugendlichen auftritt, ist die schwierige Ernährungssituation, die im Verlauf zur Dystrophie führt. Der erste Schritt ist eine Ernährungsberatung, ggf. auch Einleitung einer mundmotorischen Therapie. Die Diskussion kommt dann oft rasch zur Notwendigkeit einer Sondierung der Nahrung und wirft Fragen nach einer Gastrostomie auf. Damit sind Gastroenterologie und Kinderchirurgie gefragte Diskussions- und Betreuungspartner. Zwei der Beiträge in dieser Ausgabe beschäftigen sich mit diesem Themenkomplex und zeigen Standards sowie Empfehlungen zu Diagnostik und Therapie auf. Der Beitrag aus der Gastroenterologie von Herrn Dr. Claßen und Frau Dr. Schmidt-Choudhury beschäftigt sich mit zwei großen Bereichen der gastroenterologischen Komorbidität bei mehrfach behinderten Kindern und Jugendlichen: der Obstipation und der gastroösophagealen Refluxkrankheit. Zu Letzterer nehmen Herr Dr. Gosemann und Herr Dr. Lacher aus kinderchirurgischer Sicht spezifisch Stellung, bezüglich der Indikationen, Möglichkeiten und Auswirkungen der verschiedenen chirurgischen Therapien.

Orthopädische Sekundärprobleme sind ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Betreuung von mehrfachbehinderten Kindern und Jugendlichen. Eine besondere Herausforderung stellt die operative Behandlung der Skoliose dar, insbesondere als Folgeerscheinung einer neuromuskulären Erkrankung, aber auch als Komplikation einer zerebral bedingten Bewegungsstörung. In der vorliegenden Ausgabe stellt Herr Dr. Frimberger exemplarisch das Vorgehen bei Zerebralparese, M. Duchenne, spinaler Muskelatrophie und Meningomyelozele vor.

Die Zunahme medizinischer Möglichkeiten bei lebensbegrenzend erkrankten Kindern stellt die pädiatrische Intensivmedizin vor immer größere Herausforderungen. Frau Dr. Blattmann und ihr Team schlagen in ihrem Beitrag die Brücke zwischen Intensiv- und Palliativmedizin und zeigen auf, dass diese beiden Bereiche nur in scheinbarem Widerspruch stehen. In der klinischen Situation ist die Frage, ob das Therapieziel weiter kurativ sein kann, oder ob nicht doch eine palliative Ausrichtung der Perspektive des Patienten adäquater ist, immer eine schwerwiegende, die über die medizinischen Aspekte weit hinausgeht. Der Beitrag macht deutlich, wie palliativmedizinische Standardprozeduren in den intensivmedizinischen Alltag implementiert werden können, mit dem Ziel, die Versorgung kritisch kranker Kinder zu optimieren, aber auch die Zufriedenheit beim medizinischen betreuenden Team zu verbessern.

Allen Beiträgen ist gemeinsam, dass die komplexe Behandlung von mehrfach behinderten Patienten ein multidisziplinäres Team braucht, das Expertise aus unterschiedlichen Bereichen bündeln muss. Die Liste der schon genannten Experten ist sicher nicht vollständig und muss, abhängig von den jeweils anstehenden Problemen, erweitert werden. Die Erfahrung zeigt, dass der Austausch auf Augenhöhe, die Akzeptanz der jeweils anderen Kompetenz und Expertise sowie die Bereitschaft, verschiedene Blickwinkel zu verstehen und zu berücksichtigen, Erfolg und Qualität der Betreuung wesentlich bestimmen. Daher hoffen wir, dass die Beiträge unseres Leitthemas zur interdisziplinären Diskussion anregen.