Zusammenfassung
Im Unterschied zum Erwachsenenalter treten im Kindesalter hereditäre Neuropathien deutlich häufiger als erworbene auf. Hierbei schließt eine unauffällige Familienanamnese eine hereditäre Ursache keinesfalls aus. Wegen der therapeutischen Konsequenzen sind in jedem Fall eine umfangreiche Abklärung und Ausschlussdiagnostik sinnvoll. Neue diagnostische Verfahren, v. a. die Hochdurchsatzgenetik, haben den diagnostischen Ansatz deutlich verändert und bioptische Verfahren weitgehend verdrängt. Der diagnostische Ansatz sollte in erster Linie darauf abzielen, behandelbare Erkrankungen nicht zu übersehen. Eine präzise klinische Klassifikation der Symptomatik ist trotz der Fortschritte der Molekulargenetik und Labordiagnostik nach wie vor zwingend notwendig, um zu einer korrekten Diagnose zu kommen.
Abstract
In contrast to adulthood, in childhood hereditary neuropathies occur more frequently than acquired ones. In this context an inconspicuous family history in no way excludes a hereditary cause. Due to the consequences for treatment, in every case extensive clarification and exclusion diagnostics are meaningful. New diagnostic tools, in particular high throughput genetic procedures, have essentially changed the diagnostic approach and biopsic procedures have mostly been superseded. The main aim of the diagnostic approach is to ensure that treatable diseases are not overlooked. Despite the advances made in molecular genetics and laboratory diagnostics, a precise clinical classification of the symptoms is still urgently needed in order to arrive at a valid diagnosis.
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W. Müller-Felber: finanzielle Interessen: Forschungsförderung zur persönlichen Verfügung (finanziell oder als geldwerte Leistungen): BMBF (Personal) – Vorträge für Avexis, Biogen, PTC – Advisory board: Audentes, Avexis, Biogen, Cytokinetics, PTC. Nichtfinanzielle Interessen: Oberarzt, Leiter des Zentrums für neuromuskuläre Erkrankungen im Kindesalter, Kodirektor iSPZ, Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital, LMU | Mitgliedschaften in wissenschaftlichen Gesellschaften: Deutsche Gesellschaft für Neurologie, Gesellschaft für Neuropädiatrie, Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke, Mito-Net, CMT-Net, European Paediatric Neurology Society, World Muscle Society, Selbsthilfegruppe Glykogenose Deutschland e.V.
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Redaktion
R. Berner, Dresden
B. Koletzko, München
A. Schuster, Düsseldorf
W. Sperl, Salzburg
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Welche Aussage zur klinischen Symptomatik von Neuropathien ist richtig?
„Small-fiber“-Neuropathien führen zu einem ausgeprägten Taubheitsgefühl.
Die Ataxie durch eine Störung der sensiblen Afferenz wird bei Augenschluss deutlicher.
Proximale Paresen sind typisch für sensomotorische Neuropathien.
Viele Neuropathien sind deutlich asymmetrisch.
Hereditäre Neuropathien zeigen häufig zusätzliche vegetative Symptome.
Welche Aussage zur Ätiologie kindlicher Neuropathien ist richtig?
Ähnlich wie im Erwachsenenalter spielen erworbene Ursachen die wesentliche Rolle.
Umwelttoxine machen den Großteil der toxischen Neuropathien im Kindesalter aus.
Sporadisch auftretende hereditäre Neuropathien sind sehr selten.
Entzündliche Neuropathien sind deutlich häufiger als hereditäre Ursachen.
Im Kindesalter sind ca. drei Viertel der Erkrankungen genetisch bedingt.
Welche Aussage zum akuten Guillain-Barré-Syndrom (GBS) ist richtig?
Schmerzen sind untypisch.
Initialsymptom des akuten GBS ist häufig eine Gangunsicherheit mit der Weigerung zu gehen.
Entwickelt sich die Symptomatik innerhalb von mehr als 2 Wochen, ist von einer chronisch entzündlichen Neuropathie (chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie [CIDP]/chronisches GBS) auszugehen.
Kinder weisen häufiger eine autonome Beteiligung auf als Erwachsene.
Als autonome Beteiligung findet sich häufig eine Blasen-Mastdarm-Störung.
Welche Aussage zu hereditären sensomotorischen Neuropathien ist richtig?
Sie verlaufen oft schubförmig.
Eine negative Familienanamnese macht sie sehr unwahrscheinlich.
Sensibilitätsstörungen sind oft das führende Symptom.
Können oft asymmetrisch sein.
Weisen in der Regel keine Blasen-Mastdarm-Störungen auf.
Welche Antwort zum akuten Guillain-Barré-Syndrom (GBS) ist richtig?
Die Plasmapheresebehandlung ist wirksamer als die Therapie mit intravenösen Immunglobulinen (IVIG).
Kortikosteroide sind fester Bestandteil der Akutbehandlung.
In einzelnen Fällen kommt es nach anfänglicher Wirkung der Behandlung nach 4 bis 6 Wochen zu einem Rezidiv.
Die Behandlung mit Plasmapherese ist einfacher durchführbar als die IVIG-Gabe.
Eine medikamentöse Behandlung sollte auch nach Überschreiten des Höhepunkts der Erkrankung durchgeführt werden.
Welche Aussage zu Gangliosid-Antikörpern ist richtig?
Sie sind nur selten bei entzündlichen Neuropathien erhöht.
Sie haben im Kindesalter einen hohen Stellenwert in der diagnostischen Einordnung.
GQ1b-Antiköper kommen häufig beim Miller-Fisher-Syndrom vor.
Antikörper geben spezifische Hinweise auf eine entzündliche Neuropathie.
Der diagnostische Stellenwert ist insbesondere bei chronischen Neuropathien hoch.
Welche Aussage zum diagnostischen Vorgehen bei Verdacht auf eine hereditäre sensomotorische Neuropathie ist richtig?
Bei demyelinisierender Form sollte eine Duplikation im PMP22-Gen untersucht werden.
Mutationen in den Genen von „Gap junction beta-1 protein“ (GJB1) und Mitofusin 2 (MFN2) sind für die meisten hereditären Neuropathien verantwortlich.
Bei unauffälliger Familienanamnese kann auf die gesonderte PMP22-Diagnostik verzichtet werden (da autosomal-dominanter Erbgang).
Eine Panel-Diagnostik als erster Schritt ist auch bei demyelinisierender Neuropathie der kostengünstigste Ansatz.
Die Suralisbiopsie erlaubt eine klare Unterscheidung zwischen entzündlicher und hereditärer Neuropathie.
Welche Aussage zur Liquordiagnostik bei der Abklärung von Neuropathien ist richtig?
Eine erhöhte Konzentration von Liquoreiweiß ist ein klarer Hinweis auf eine entzündliche Neuropathie.
Bei Vorliegen einer Pleozytose muss eine erregerbedingte Neuropathie gesucht werden.
Ein unauffälliger Liquorbefund innerhalb 10 Tagen nach Krankheitsbeginn spricht gegen ein akutes Guillain-Barré Syndrom (GBS).
Bei V. a. ein GBS und pathologischem Liquorbefund sollte nach 10 bis 14 Tagen die Untersuchung wiederholt werden.
Unter zytoalbuminärer Dissoziation wird eine hohe Zellzahl bei relativ niedriger Liquoreiweißkonzentration verstanden.
Ihnen wird ein Kind mit dem V. a. eine periphere Neuropathie vorgestellt. Welches diagnostische Verfahren sollte auf jeden Fall eingesetzt werden?
Elektromyographie
Sensible Neurographie
Suralisbiopsie
Magnetresonanztomographie
Neurometabolische Diagnostik
Welches ist ein typisches frühes Symptom bei einer hereditären chronischen sensomotorischen Neuropathie?
Ballenhohlfuss
Aufgehobener Lagesinn
Vermindertes Schmerzempfinden
Vermehrter Vorfußgang („Zehenspitzengang“)
„Storchenbeine“ durch Atrophie der Unterschenkel
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Müller-Felber, W. Periphere Neuropathien im Kindesalter. Monatsschr Kinderheilkd 167, 731–745 (2019). https://doi.org/10.1007/s00112-019-0729-x
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00112-019-0729-x
Schlüsselwörter
- Hereditäre motorische und sensorische Neuropathie
- Charcot-Marie-Tooth Krankheit
- Polyneuropathie
- Parese
- Guillain-Barré-Syndrome