Moderne Impfstoffe sind gut verträglich und können, insbesondere wenn hohe Durchimpfungsraten erreicht werden, nicht nur individuell, sondern auch bevölkerungsbezogen einen effektiven Infektionsschutz vermitteln. Durch konsequente Nutzung von öffentlich empfohlenen Impfprogrammen ist es in den vergangenen Jahrzehnten gelungen, ehemals lebensbedrohliche Infektionskrankheiten, wie beispielsweise Diphtherie, Tetanus, Polio oder Masern, nahezu vollständig zu verhindern.

Die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut ist für die Vorbereitung und Entwicklung von Impfprogrammen mit öffentlichem Interesse verantwortlich. Üblicherweise erfolgt die Veröffentlichung von aktualisierten STIKO-Empfehlungen im August jedes Jahres im Epidemiologischen Bulletin des Robert Koch-Instituts in Berlin. Die Publikationen können kostenfrei auf den Internetseiten des Robert Koch-Instituts (http://www.rki.de) und der STIKO (http://www.stiko.de) abgerufen werden. Bei epidemiologischen Besonderheiten, beispielsweise im Rahmen der Pandemieplanung oder bei zeitrelevanten Neuentwicklungen, werden Empfehlungen auch unterjährig publiziert. Neben der Entwicklung neuer Impfempfehlungen ist es eine wichtige Aufgabe der STIKO, bestehende Impfempfehlungen regelmäßig zu überprüfen, zu beraten und dem aktuellen Stand der Wissenschaft sowie aktuellen infektionsepidemiologischen Entwicklungen anzupassen. Der Erfolg eines Impfprogramms hängt letztlich wesentlich von der öffentlichen Akzeptanz und der Impfbereitschaft der Bevölkerung ab. Für die zuverlässige Kontrolle übertragbarer Infektionskrankheiten sind Durchimpfungsraten von deutlich über 85 % Voraussetzung. Wird diese Marge nicht oder nur zögerlich erreicht, besitzen Geimpfte zwar einen Individualschutz, sekundäre positive Effekte wie eine Herdenprotektion können aber nicht oder erst nach vielen Jahren erreicht werden. Im ungünstigsten Fall kommt es zur unzureichenden Infektionskontrolle und Verschiebung der Erkrankungsgipfel in höhere Lebensalter. Von medizinischen Laien werden derartige Entwicklungen häufig als vermeidliches Versagen des Impfprogramms wahrgenommen.

Kontrolle übertragbarer Infektionskrankheiten setzt deutlich über 85 %ige Durchimpfungsraten voraus

Darüber hinaus sind Eigenschaften von Infektionserregern, klimatische Bedingungen und auch gesellschaftliche Lebensumstände für die Wirksamkeit und den Erfolg von Impfprogrammen von wesentlicher Bedeutung. De facto ergibt sich daraus auch, dass mit der Verabschiedung und Veröffentlichung eines Impfprogramms für Gesundheitsbehörden und das öffentliche Gesundheitswesen die eigentliche Arbeit erst beginnt. Die Nutzung der Impfung, die Verträglichkeit und Sicherheit des Impfstoffs im alltäglichen Einsatz, die Effekte auf Infektionsinzidenz und ggf. auch das Erkrankungsalter müssen engmaschig überwacht werden, um frühzeitig Signale für eine möglicherweise erforderliche Anpassung des Impfprogramms zu erhalten. So wäre die Einrichtung von Impfregistern für Deutschland eine durchaus sinnvolle Maßnahme, um die Umsetzung von Impfempfehlungen und die erreichten Durchimpfungsraten realistisch beurteilen zu können. Auch würde die Sicherstellung einer guten infektionsepidemiologischen Erfassung impfpräventabler Erkrankungen im zeitlichen Verlauf wertvolle Hinweise auf Veränderungen der Wirksamkeit eines Impfprogramms geben. Nur so kann erfasst werden, ob ein Impfprogramm populationsbezogen tatsächlich die gewünschten Effekte erzielt, oder ob sich sekundär unerwartete Veränderungen z. B. im Hinblick auf Erkrankungsrate und -alter einstellen. Auch Modifikationen der biologischen Eigenschaften von Infektionserregern, wie sie beispielsweise für Influenza gut bekannt sind und möglicherweise auch für Pertussis oder Mumps diskutiert werden müssen, können etablierte Impfprogramme in ihrer Wirksamkeit beeinflussen.

Nachdem wir 2013 letztmals über Impfungen und Impfempfehlungen in der Monatsschrift Kinderheilkunde berichtet haben, wollen wir unserer Leserschaft mit dieser Ausgabe einerseits ein Update zu den Aktualisierungen der STIKO-Empfehlungen zur Verfügung stellen, andererseits aber auch über aktuelle Erkenntnisse zur Wirksamkeit und den Einsatzmöglichkeiten von Impfstoffen informieren. Es freut mich besonders, dass wir zudem einen sehr guten Beitrag zur praktischen Durchführung von Impfungen bei Kindern in diese Ausgabe aufnehmen konnten.

In Ergänzung zur ausführlichen Besprechung der STIKO-Impfempfehlungen in der Monatsschrift Kinderheilkunde 12/2013 stellen F. Kowalzik und F. Zepp die Neuerungen der STIKO-Impfempfehlungen aus den vergangenen 2 Jahren vor. Die wichtigsten Änderungen betreffen die Verschiebung des empfohlenen Impfalters der Humanen-Papilloma-Virus(HPV)-Impfung für Mädchen und junge Frauen auf das Zeitfenster von 9 bis 13/14 Jahren, die Änderung der Pneumokokkenimpfempfehlung: 2 +1- statt 3 +1-Impfschema für reifgeborene Säuglinge und die Indikationsimpfung gegen Meningokokken der Serogruppe B. Darüber hinaus hat es redaktionelle Überarbeitungen der Empfehlungen für die Gelbfieberimpfung, die passive Immunisierung von Frühgeborenen nach Varizellenkontakt und für die Masernimpfung während eines Ausbruchgeschehens gegeben.

Der Beitrag von M. Terhardt und H. Grundhever befasst sich mit der Schmerzreduktion beim Impfen von Kindern, ein Thema von außerordentlicher Relevanz für den Praxisalltag. Wie die Autoren erläutern, werden Impfungen gerade von Eltern nicht selten ambivalent gesehen. So wissen Eltern wohl um den Wert der gesundheitspräventiven Maßnahme, fürchten aber gleichzeitig den „stress- und schmerzbelasteten Arztkontakt“ für ihr Kind. Allein diese Sorge kann zu Verzögerungen oder zur Vermeidung sinnvoller Impfungen führen. Es ist ein großes Verdienst der beiden Autoren, umfangreiche internationale Empfehlungen zusammengetragen und ausgewertet zu haben – erstaunlicherweise gibt es dazu in der deutschsprachigen Literatur kaum Beiträge. Die Arbeit beschreibt nachvollziehbar in der täglichen Praxis schnell und einfach einsetzbare Maßnahmen, die helfen, bei Kindern und Eltern die Angst vor der Impfung zu mindern und damit letztlich auch Belastung vom medizinischen Personal zu nehmen.

U. Heiniger berichtet über die aktuelle Epidemiologie von Pertussis und neue Erkenntnisse zur Wirksamkeit von Pertussisimpfstoffen. Vor 20 Jahren wurden die neuen, azellulären Keuchhustenimpfstoffe in Deutschland eingeführt. Die breite Nutzung der azellulären Pertussisvakzinen vom Säuglings- bis zum Adoleszentenalter hat seitdem zu einer guten Kontrolle der Pertussis in den geimpften Altersgruppen geführt. Allerdings haben wir in den vergangenen Jahren auch erkennen müssen, dass Immunität nach Keuchhustenimpfung wie auch nach überstandener Infektion nicht lebenslang anhält. Wahrscheinlich vermitteln die azellulären Pertussisimpfstoffe lediglich Infektionsschutz für 5 bis 6 Jahre, sodass junge Erwachsene wieder für die Infektion empfänglich werden. Die STIKO hat auf diese Beobachtung zwar mit der Empfehlung für eine (bisher einmalige) Wiederholungsimpfung im Erwachsenenalter reagiert. Jedoch ist diese Maßnahme nicht ausreichend, um Pertussis in der gesamten Bevölkerung zufriedenstellend zu kontrollieren. Gerade Neugeborene und sehr junge, noch nicht geimpfte Säuglinge sind heute besonders gefährdet, durch unerkannt erkrankte Erwachsene Pertussis übertragen zu bekommen. Aus Sicht Heiningers müssen die bestehenden Impfempfehlungen noch besser umgesetzt werden; so könnte die Impfung Schwangerer eine vielversprechende Strategie zur Verhinderung der Pertussis im frühen Säuglingsalter sein. Die suboptimale Schutzwirkung der azellulären Pertussisimpfstoffe und das rasche Nachlassen der Immunität begründen die Forderung nach neuen, besser wirksamen Impfstoffen.

U. Seifert und S. Klug berichten über neue Entwicklungen von HPV-Impfstoffen und den aktuellen Stand der HPV-Impfprogramme in Deutschland. Derzeit sind 3 HPV-Impfstoffe verfügbar, die Frauen zuverlässig vor HPV-assoziierten Erkrankungen wie z. B. Gebärmutterhalskrebs oder Genitalwarzen schützen. Durch HPV-Impfung können zudem auch bei Männern HPV-assoziierten Erkrankungen wie z. B. Peniskarzinom oder Genitalwarzen verhütet werden. Im Unterschied zu Ländern wie den USA, Australien oder Österreich ist die HPV-Durchimpfungsrate von jungen Frauen in Deutschland jedoch unverändert erschreckend niedrig. Ohne Steigerung der Impfrate wird es noch viele Jahrzehnte dauern, bis in Deutschland populationsbezogen eine Reduktion der Inzidenz des Zervixkarzinoms nachgewiesen werden kann. Wie die Autorinnen ausführen, könnten schulbasierte Impfprogramme, wie schon in Australien gut belegt, sehr hilfreich sein, um die Impfraten deutlich zu steigern.

M. Knuf und A. Kunz befassen sich in ihrem Beitrag mit der Epidemiologie von Influenzainfektionen und deren Prävention im Kindesalter. Gerade Säuglinge und Kleinkinder erkranken häufig schwer an einer saisonalen Influenza. Darüber hinaus haben Kinder und Jugendliche mit einer Grundkrankheit ein hohes Risiko für einen komplizierten Verlauf der Influenza. Inaktivierte Influenzaimpfstoffe sind bei Säuglingen und Kleinkindern nur mäßig wirksam. Die vor einigen Jahren neu eingeführten trivalenten, attenuierten Lebendimpfstoffe erschienen gerade für das Kleinkindesalter als gute Alternative. Der auch von der World Health Organization (WHO) empfohlene Wechsel zu quadrivalenten Influenzaimpfstoffen hat allerdings bei den Lebendimpfstoffen zumindest in der zurückliegenden Saison zu einer deutlichen Verschlechterung der Wirksamkeit geführt. Damit dürfte eine allgemeine Impfempfehlung gegen Influenza für das Kindesalter heute eher in weite Ferne gerückt sein. Ähnlich wie bei Pertussis werden wir auch hier auf die Entwicklung neuer, in allen Altersgruppen besser wirksamer Impfstoffe warten müssen.

Sehr verehrte Leserinnen und Leser, ich würde mich sehr freuen, wenn unsere Beiträge zum Thema Impfen für Sie eine wertvolle und spannende Lektüre zu aktuellen Entwicklungen und Fragen auf dem Gebiet des Impfwesens sind.

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Prof. Dr. F. Zepp