Zusammenfassung
Die spinale Muskelatrophie (SMA) ist eine der häufigsten „seltenen“ neuromuskulären Erkrankungen; sie wird autosomal-rezessiv vererbt und stellt die häufigste genetisch bedingte Todesursache bei Kindern dar. Charakteristisch ist die Degeneration der α-Motoneurone im Rückenmark. Klinisch zeigt sich eine ausgeprägte proximal-betonte Muskelschwäche bei altersgemäßer kognitiver Entwicklung. Der sehr variable Schweregrad der Erkrankung korreliert mit dem Patientenalter bei Erstmanifestation. Die häufigste Form, SMA-Typ I, wird bereits in den ersten Lebensmonaten symptomatisch. Die Kinder erlernen das freie Sitzen nicht und versterben bei natürlichem Verlauf aufgrund der schweren respiratorischen Beteiligung in den ersten beiden Lebensjahren. Kinder mit SMA-Typ II fallen meist in der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahrs durch eine verzögerte motorische Entwicklung auf, nachdem sie das freie Sitzen erlernt haben. Bei den milderen Formen, SMA-Typen III und IV, treten Symptome erst nach Erreichen der Gehfähigkeit auf; die Lebenserwartung ist nicht eingeschränkt. Zwar gibt es noch keine kausale SMA-Therapie, aber ein vorausschauendes multidisziplinäres Behandlungskonzept kann die Lebensqualität der Patienten verbessern. Hierzu gehören physiotherapeutische Maßnahmen sowie Maßnahmen zur Behandlung von respiratorischen, gastrointestinalen und orthopädischen Symptomen. Ergänzend sind Rehabilitation und die psychosoziale Betreuung der Familie wichtig. Neue kausale Therapieansätze werden derzeit in klinischen Studien erprobt.
Abstract
Spinal muscular atrophy (SMA) is an autosomal recessive disease and the most common genetically linked cause of infant death. It is also one of the most commonly occurring “rare” neuromuscular diseases. The disease is characterized by degeneration of alpha motor neurons resulting in progressive proximal muscle weakness without cognitive impairment. The severity of SMA is highly variable and correlates with the age of onset. The clinical presentation of SMA is classified into five different subtypes: SMA type I presents in the first 6 months of life and constitutes 50–60 % of all SMA cases. Without ventilatory support children with SMA type I die due to severe respiratory insufficiency support within the first 2 years of life. These children are never able to sit unaided. Children with SMA type II have a delayed motor development after they have learned to sit. The life expectancy of children with SMA types III and IV is generally not affected. No causal therapy for SMA exists but the quality of life of patients with SMA can be improved by a supportive treatment concept. The focus of the multidisciplinary care should include physiotherapy as well as measures to improve the respiratory, gastrointestinal and orthopedic problems. Additionally, rehabilitation and psychosocial care for the family are important. Novel causal therapy approaches are currently being tested in clinical studies.
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Interessenkonflikt
Die korrespondierenden Autoren weisen auf folgende Beziehungen hin: J. Kirschner, S. Borell und A. Pechmann sind Prüfer bei klinischen Studien zur Behandlung der SMA der Firmen ISIS Pharmaceuticals INC, Novartis Pharma AG, F. Hoffmann-La Roche LTD und Biogen INC.
Alle Patienten, die über Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts zu identifizieren sind, haben hierzu ihre schriftliche Einwilligung gegeben. Im Fall von nichtmündigen Patienten liegt die Einwilligung eines Erziehungsberechtigten oder des gesetzlich bestellten Betreuers vor.
Additional information
Redaktion
R. Berner, Dresden
B. Koletzko, München
W. Sperl, Salzburg
CME-Fragebogen
CME-Fragebogen
Patienten mit SMA-Typ I können als „floppy infant“ auffallen. Welches Symptom gehört nicht dazu?
Faszikulationen
Muskuläre Hypotonie
Trinkschwäche
Fehlende Kontaktaufnahme
Mangelnde Kopfkontrolle
Die spinale Muskelatrophie wird autosomal-rezessiv vererbt. Wie viel Prozent der Bevölkerung sind heterozygote Anlageträger?
0,5
10
2
7
5
Die SMA ist eine multisystemische Erkrankung. Welches Organ bzw. welches Organsystem ist nicht bzw. sehr selten in seiner Funktion eingeschränkt?
Lungen
Herz
Skelettapparat
Magen-Darm-Trakt
Muskulatur
Ein 5 Monate alter Säugling mit SMA-Typ I wird mit respiratorischer Insuffizienz im Rahmen einer Infektion der oberen Luftwege vorgestellt. Verschiedene Maßnahmen zur akuten Behandlung des Säuglings stehen im Vordergrund. Welche Aussage ist nicht richtig?
Atemphysiotherapie zur Sekretmobilisation
Entfernung des Atemwegsekrets
Invasive oder nichtinvasive Beatmung
Frühzeitige Initiierung einer antibiotischen Therapie
Komplettierung des Impfschutzes
Ein 8-jähriger Junge mit SMA-Typ II berichtet über Müdigkeit in der Schule, Traurigkeit und häufige morgendliche Kopfschmerzen. Die pulsoxymetrische bestimmte Sauerstoffsättigung (SpO2) beträgt im Wachen 94 %. Welcher Schritt ist erforderlich?
Zunächst abwartendes Verhalten und bei Persistenz der Symptome über 6 Monate Testung der Lungenfunktion
Psychologische Abklärung wegen Schulschwierigkeiten
Führen eines Kopfschmerzkalenders, Verordnung einer abendlichen Gabe von Ibuprofen
Rasche Durchführung einer Polysomnographie und ggf. Einleitung einer nichtinvasiven Heimbeatmung
Messung des „peak cough flow“ (Hustenfluss)
Ein 10 Monate alter Säugling mit SMA-Typ I weist mit einen perzentilenkreuzenden Gewichtsverlauf unterhalb der 3. Perzentile auf. Welche Aussage bzw. Maßnahme ist nicht richtig?
Verwendung einer hochkalorischen Nahrung
Frühzeitige Anlage einer PEG-Sonde
Veränderung der Körper- und Sitzhaltung während der Nahrungsaufnahme
Verwendung von Hilfsmitteln bei der Nahrungszufuhr
Das erniedrigte Gewicht ist durch die geringe Muskelmasse bedingt. Weitere Maßnahmen sind nicht notwendig.
Mit welchem Symptom fallen Kinder mit SMA-Typ II häufig neben der muskulären Hypotonie primär auf?
Stagnation der motorischen Entwicklung
Paradoxes Atemmuster
Mangelnde Fähigkeit zum Sitzen
Adipositas
Gelenkkontrakturen
Ein 5-jähriges Mädchen kommt mit Muskelschwäche und Schwierigkeiten beim Treppensteigen zur Erstvorstellung. Welche diagnostische Maßnahme ist primär nicht indiziert?
Untersuchung der Muskelkraft und Gelenkfunktion
Kreatinkinasebestimmung
Sonographie der Muskulatur
Neurophysiologie (EMG, NLG)
Muskelbiopsie
Welche Aussage zur Skoliose bei SMA ist zutreffend?
Sie tritt nie vor dem 10. Lebensjahr auf.
Ein Stehtraining kann die Entwicklung einer Skoliose nicht beeinflussen.
Eine Operation ist auch vor Abschluss des Wachstums möglich.
Eine Korsettbehandlung kann eine Operation in der Regel ersetzen.
Eine Operation hat keinen Einfluss auf die Sitzfähigkeit.
Die Diagnose einer SMA wird durch folgende Untersuchung gesichert?
Kreatinkinasebestimmung im Serum
Molekulargenetische Untersuchung des SMN1-Gens
Elektromyographie
Ultraschalluntersuchung des Muskels
Nervenbiopsie
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Borell, S., Pechmann, A. & Kirschner, J. Spinale Muskelatrophie. Monatsschr Kinderheilkd 163, 1293–1304 (2015). https://doi.org/10.1007/s00112-015-0004-8
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00112-015-0004-8