Das vorliegende Themenheft der Monatsschrift Kinderheilkunde widmet sich dem Thema Kinderonkologie und damit einem Schwerpunkt, den viele Kinderärzte/-innen in ihrem Alltag wenig präsent haben. Dies mag mehrere Gründe haben:

  1. 1.

    Onkologische Erkrankungen sind im Kindesalter allgemein relativ selten.

  2. 2.

    Die Behandlung dieser Erkrankungen erfordert sehr viel Spezialwissen.

  3. 3.

    Die Beschäftigung mit diesem Thema ist trotz der heute erzielbaren Überlebensrate von generell über 70% auch für beruflich damit umgehende Personen immer noch psychisch belastend.

Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb erscheint uns ein Themenheft Kinderonkologie wieder einmal zeitgemäß. Dabei ist es unmöglich, alle kinderonkologischen Erkrankungen anzusprechen. Es wurden daher einige Bereiche ausgewählt, die gut demonstrieren, wie eine differenzierte moderne kinderonkologische Behandlung tatsächlich gestaltet sein muss, um optimale Behandlungsergebnisse zu erzielen. Dabei wird auch deutlich, wie wichtig die multizentrische Zusammenarbeit spezialisierter Einrichtungen ist und dass eine weitere Verbesserung der Langzeitprognose nur über eine solche Kooperation gelingen kann.

Dem häufigsten extrakranialen soliden Tumor widmet Ladenstein ihren Beitrag Aktuelle Therapiestrategien beim Neuroblastom. Nach einer Beschreibung der anatomischen, histologischen und biologischen Manifestationsformen dieser Tumorart geht sie insbesondere auf die risikoadaptierte Therapiestratifikation ein. Diese ist deshalb von großer Bedeutung, weil es sich beim Neuroblastom um eine äußerst heterogene Tumorart handelt, sodass (auch disseminierte) Neuroblastome im günstigsten Fall eine spontane Regression oder eine Ausreifung zum Ganglioneurom zeigen, im ungünstigen Fall aber invasiv wachsen und metastasieren. Patientenalter, anatomische Ausdehnung, Tumorhistologie und Genetik (v. a. MYCN-Amplifikation und 1p-Deletion) geben wichtige Hinweise auf die individuelle Prognose und bestimmen somit die Aggressivität der Therapie. Das nunmehr angewandte INGR („international neuroblastoma risk grouping“) stützt sich bei nicht metastasierten Tumoren v. a. auch auf die zu erwartende Resektabilität. Resezierbare Tumoren werden heutzutage als L1 klassifiziert, nicht resezierbare als L2 – letztere Tumoren ergeben einen IDRF („image defined risk factor“). Schließlich beschreibt Ladenstein die verschiedenen Therapieoptionen und verweist darauf, dass neben Resektion, Bestrahlung, konventioneller Chemotherapie und Hochdosistherapie mit Stammzelltransplantation auch neuere Verfahren zur Anwendung kommen [u. a. monoklonale GD2-Antikörper, Interleukin 2, 131I-MIBG (131Jod-Metajodobenzylguanidin) als Radiopharmakon, 13-cis-Retinolsäure als Apoptoseinduktor, die Topoisomeraseinbibitoren Topotecan und Irinotecan, zukünftig evtl. auch Angiogeneseinhibitoren wie AGM 1470 (Angioinhibin) sowie neue Medikamentenklassen auf Basis individueller biologischer Tumorzellmerkmale und Unterbindung der Signaltransduktion wie bei der ALK-Inhibition (ALK: anaplastische Lymphomkinase)].

Benesch et al. beschreiben eine im Kindesalter äußerst selten vorkommende Tumorart, die gastrointestinalen Stromatumoren (GIST). Während deren jährliche Inzidenz bei Erwachsenen mit 6,8 bis 14,4 Neuerkrankungen pro 1 Mio. Einwohner angegeben wird, liegt sie bei Kindern (0 bis 14 Jahre) bei 0,02/Mio. Die Tumoren des Kindesalters unterscheiden sich aber auch in ihrem klinischen Verlauf und ihrem biologischen Verhalten von jenen des Erwachsenenalters. So sind die bei Erwachsenen charakteristischen molekularen Veränderungen (Mutationen der Rezeptortyrosinkinasegene KIT und PDGFRA) bei Kindern meist nicht nachweisbar [sog. WT-GIST (WT: Wildtyp)]. Auch scheinen die meisten kindlichen Tumoren gegen den Tyrosinkinaseinhibitor Imanitinib (Glivec®) weitgehend resistent und eher auf Sunitinib anzusprechen. Therapie der Wahl ist jedoch die – wenn möglich – vollständige operative Tumorentfernung (R0-Resektion). Die Autoren verweisen darauf, dass aufgrund der Seltenheit dieser Tumorart im Kindesalter das Wissen zu Epidemiologie, biologischem Verhalten und insbesondere Therapieoptimierung noch sehr begrenzt ist, weshalb eine multizentrische Datensammlung intensiviert werden sollte. Eine solche ist auch im Register für Weichteilsarkome und seltene Weichteiltumoren (SoTiSaR) vorgesehen.

Im onkologischen Notfall kann die rasche und richtige Reaktion lebensrettend sein

Attarbaschi et al. gehen in ihrem Beitrag auf onkologische Notfälle ein. Diese definieren sie als klinisch lebensbedrohliche Situationen, die unmittelbar entweder durch die Krebserkrankung selbst oder durch deren Behandlung ausgelöst werden. Bei den krankheitsassoziierten Notfällen erwähnen sie v. a. Trachealkompression, obere und untere Einflussstauung der V. cava, Invagination, akute Hirndrucksymptomatik, Rückenmarkkompression, Hyperleukozytose, disseminierte intravasale Gerinnung (DIC) und Krampfanfälle. Als therapieassoziierte Notfälle führen die Autoren v. a. febrile Neutropenie, septischen Schock und zerebrovaskuläre Komplikationen auf. Das Tumorlysesyndrom und zerebrale Krampfanfälle ordnen sie beiden Kategorien zu. Sie betonen, dass trotz der relativen Seltenheit pädiatrischer onkologischer Erkrankungen auch niedergelassene Fachärzte/-innen über die beschriebenen Komplikationen Bescheid wissen sollten, weil die rasche und richtige Reaktion (Zuweisung an ein spezialisiertes Zentrum) nicht nur irreversible Langzeitschäden verhindern, sondern im Einzelfall auch lebensrettend sein kann. Am spezialisierten Zentrum selbst sehen die Autoren die Notwendigkeit der interdisziplinären Zusammenarbeit zur Erzielung des bestmöglichen Behandlungserfolgs.

Eine in ihrer Präsentation sehr heterogene Tumorart beschreibt Minkov in seinem Beitrag über Langerhans-Zell-Histiozytose. Die jährliche Inzidenz dieser Erkrankung beträgt etwa 0,4 pro 100.000 Kinder, der Altersgipfel liegt in den ersten 3 Lebensjahren. Diese – je nach klinischer Präsentation – früher auch als Histiozytosis X, Abt-Letterer-Siwe-Krankheit, Hand-Schüller-Christian-Syndrom und eosinophiles Granulom bezeichnete Entität ist in ihrer Pathogenese noch nicht eindeutig geklärt. Sie scheint nach neueren Erkenntnissen aber nicht von Langerhans-Zellen der Haut auszugehen, sondern eher von myeloischen Vorläuferzellen des Knochenmarks. Jedenfalls handelt es sich um eine klonale Erkrankung dendritischer Zellen, die in etwa 2/3 der Fälle eine BRAF-Mutation zeigen. Die Erkrankung kann praktisch in allen Organen und Organsystemen auftreten, bevorzugte Manifestationsorte sind Skelettsystem und Haut. Bezüglich biologischem Verhalten, klinischem Verlauf und Prognose können 2 Gruppen unterschieden werden. Bei Befall nur eines Organsystems [SS-LCH („single system histiocytosis“)] besteht eine hohe Tendenz zur Spontanremission mit großteils exzellenter Prognose. Die Therapieoptionen reichen von „wait and see“ über lokale Behandlung mit chirurgischer Kürettage (wobei chirurgische Radikalität nicht erwünscht ist!) und lokaler Methylprednisoloninstillation bis zur systemischen Chemotherapie. Prospektive randomisierte Studien zur Theapieoptimierung wurden für die SS-LCH nie durchgeführt, weshalb die Behandlung zumindest z. T. individuelle Erfahrens- und Ermessenssache ist. Im Unterschied dazu gibt es bei Befall mehrerer Organsysteme (MS-LCH) eine klare Empfehlung zur Durchführung einer systemischen Chemotherapie mit Prednisolon und Vinblastin. Die Progressionstendenz und Rezidivrate der MS-LCH ist wesentlicher höher als jene der SS-LCH, bei mangelndem Therapieansprechen wird in Einzelfällen auch eine allogene Stammzelltransplantation durchgeführt. Die Autoren betonen die Bedeutung internationaler Kooperation als Beitrag zur weiteren Therapieoptimierung.

Wir hoffen mit diesem Themenheft einen Schwerpunkt so dargestellt zu haben, dass auch die in der pädiatrischen Praxis tätigen Kollegen/-innen einen guten Einblick in die tägliche Arbeitsweise ihrer kinderonkologisch tätigen Kollegenschaft gewinnen können.

Leoben/Wien im August 2012

Prof. Dr. R. Kerbl

PD Dr. R. Ladenstein