Das vorliegende Themenheft der Monatsschrift Kinderheilkunde erscheint anlässlich eines Jubiläums – der 50. Jahrestagung der ÖGKJ (Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde), die wir in unseren Funktionen als Tagungspräsident bzw. als Präsident der ÖGKJ begleiten dürfen.

Wir nehmen dieses Jubiläum zum Anlass, um unter dem Leitthema Brücken bauen Themen auszuwählen, in denen der Brückenschlag von der Pädiatrie zu anderen Disziplinen eine besondere Rolle spielt. Die Kommunikation und Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen ist in der modernen Pädiatrie längst Realität, die Notwendigkeit dazu ergibt sich aus der Vielzahl und Komplexität pädiatrischer Krankheitsbilder sowie der Transition vom Kindes- ins Erwachsenenalter.

Wir danken der Schriftleitung der Monatsschrift Kinderheilkunde für die Möglichkeit, anlässlich des Jubiläums der ÖGKJ das klassische Konzept, wonach Leitthemen meist einem bestimmten Organsystem, einer Krankheitsgruppe oder einem speziellen pädiatrischen Problem gewidmet sind, zugunsten einer eher holistischen Betrachtung aufzulösen. Unser besonderer Dank gilt den Autoren der einzelnen Beiträge, die die Erstellung dieses Themenhefts ermöglichten und wesentlich zu seinem Gelingen beitrugen.

In dem Beitrag von Thun-Hohenstein wird die traditionelle Trennung von Psyche und Soma aufgelöst. In seinem Artikel geht der Autor zunächst auf die Prävalenz psychischer und psychiatrischer Erkrankungen ein und weist darauf hin, dass für Österreich verlässliche Daten für derartige Erkrankungen und Störungen fehlen. Er beschreibt die Aufgaben einer gesundheitsfördernden Politik bezüglich psychischer Gesundheit und erinnert die gesundheitspolitisch Verantwortlichen an ihre Verpflichtung zur Etablierung eines adäquaten Versorgungsangebots. Voraussetzung dafür ist laut Thun-Hohenstein das Verständnis der heute gültigen ätiopathogenetischen Modelle, deren logische Folge ein Zusammenrücken der Pädiatrie mit der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist. Der Autor geht davon aus, dass eine derartige integrative Versorgung von Kindern und Jugendlichen die bisher vielfach noch vorhandene Stigmatisierung dieser Patienten reduzieren oder gar beseitigen kann.

Bei der Arbeit von Fischer und Wald handelt es sich um einen Beitrag, der in interdisziplinärer Zusammenarbeit eines Geburtshelfers und eines Neonatologen entstand. Die beiden Autoren machen in ihrer Arbeit deutlich, dass der Zeitpunkt Geburt zwar die primären Zuständigkeiten zweier Disziplinen voneinander abgrenzt, aber für die Kooperation dieser beiden Fachgebiete eine weniger wichtige Rolle spielt. Die Autoren beschreiben das Problem Frühgeburtlichkeit und die damit im Zusammenhang stehenden Risikofaktoren. Sie verweisen u. a. auf eine in Österreich noch nicht befriedigende Datenlage und die (noch) fehlende gesetzliche Regelung des (Single-)Embryonen-Transfers. Des Weiteren zitieren sie Studien, wonach an Zentren mit höheren Fallzahlen extrem Frühgeborener die Prognose derselben deutlich besser ist und votieren für eine „Geburt am richtigen Ort zum richtigen Zeitpunkt“. Zudem betonen sie die Wichtigkeit von Leitlinien als Richtschnur für eine optimale Schwangerschafts- und Neugeborenenbetreuung bei drohender Frühgeburtlichkeit, Präeklampsie und in anderen potenziell bedrohlichen Situationen. Schließlich verweisen Fischer und Wald darauf, dass im Rahmen der Qualitätskontrolle eine Nachbeobachtung ehemaliger Frühgeborener durch standardisierte Nachsorge bis zum Schulalter erfolgen sollte.

Die Patienten sollten während der Transition multiprofessionell betreut werden

Minden und Niewerth gehen auf die Transition vom Kindes- ins Erwachsenenalter bei Rheumapatienten ein. Die Autoren beschreiben, dass jugendliche Patienten in der Pubertät grundsätzlich ähnliche Bedürfnisse und Probleme haben wie gesunde Jugendliche, für bestimmte (Zweit-)Erkrankungen aber ein erhöhtes Risiko besteht. Als Beispiele nennen die Autoren lokale Wachstumsstörungen, Verzögerungen beim Eintritt der Pubertät, verminderte Knochenmasse, erhöhten Fettanteil, Osteopenie und Osteoporose, Infektionen (v. a. unter immunsuppressiver Therapie), aber auch psychische Probleme. Und obwohl Jugendliche mit rheumatischen Erkrankungen – als Ausdruck vermehrten Verantwortungsbewusstseins und erhöhter Selbstdisziplin – beim Schulabschluss besser abschneiden als gesunde Gleichaltrige, ergeben sich in weiterer Folge vermehrt Probleme in der Berufsausbildung und -findung. Die Autoren fordern daher gerade für diese Übergangszeit ein multiprofessionelles Team, dem auch Sozialarbeiter, Psychologen und Ergotherapeuten angehören sollen. Dass diese multiprofessionelle Betreuung bisher meist nicht zur Zufriedenheit der Patienten geregelt ist, belegen die Autoren anhand einer Befragung, die sie bei Rheumapatienten zum Zeitpunkt der Transition (Wechsel vom pädiatrischen zum Erwachsenen-Rheumatologen) durchführten. Schließlich fordern sie eine strukturierte Vorbereitung der Jugendlichen auf diese schwierige Lebensphase durch ein standardisiertes Vorgehen, wie es zuletzt auf http://www.gkjr.de/jugendliche.html veröffentlicht wurde.

Im Beitrag von Voigtländer werden die seltenen Erkrankungen („orphan diseases“) in ihrer europaweiten gesundheitspolitischen Relevanz dargestellt, und es wird auf die bestehenden Problemfelder hingewiesen. Eine EU-weite (EU: Europäische Union) konzertierte Aktion fordert nationale Aktionspläne für „orphan diseases“ bis 2013, um die Versorgung der betroffenen Patienten zu verbessern. Dabei wird Vernetzung gefordert und gefördert. Einerseits sollen nationale Expertisezentren entstehen, andererseits sollen in Anlehnung an bereits existierende europäische Pilotnetzwerke europäische Referenznetzwerke gebildet werden. Funktionieren kann das nur, wenn diese Strukturen nahtlos in die bestehende Versorgungslandschaft integriert und diese Netzwerke dann auch gelebt werden. Der Autor stellt in seinem Beitrag europäische und multinationale Beispiele derartiger Netzwerke vor, darunter das von ihm selbst für Österreich betreute Orphanet, in welchem derzeit 5954 unterschiedliche seltene Krankheitsentitäten gelistet sind. Voigtländer belegt dass aufgrund der Vielzahl derartiger seltener Erkrankungen (laut Definition der EU sind das Krankheiten mit weniger als 5 Betroffenen pro 10.000 Einwohnern) insgesamt sehr viele Kinder betroffen sind. So kann eine Krankheit in Österreich 4200, in der Schweiz 3900 und in Deutschland 41.000 Personen betreffen, um immer noch als selten zu gelten. Und der Autor errechnet, dass in Österreich mehr als 450.000 und in Deutschland über 4,8 Mio. Menschen von seltenen Krankheiten betroffen sind. Da sich die Hälfte dieser Erkrankungen bereits im Kindesalter manifestiert, ist die Schaffung von Netzwerken besonders für die Pädiatrie von Bedeutung, um auf diese Weise eine – sowohl diagnostisch als auch therapeutisch – optimale Individualversorgung zu gewährleisten.

Als Herausgeber dieses Themenhefts hoffen wir, dass die von uns ausgewählten Themen das Interesse unserer Leserschaft finden mögen und vielleicht zu einer kleinen Horizonterweiterung beitragen können. Gerade anlässlich des 50-Jahres-Jubiläums der ÖGKJ wird deutlich, dass die Pädiatrie keine Stand-alone-Disziplin darstellen kann und der Brückenschlag zu Nachbardisziplinen Voraussetzung für eine qualitative Weiterentwicklung unseres Fachs ist.

Der ÖGKJ wünschen wir auf diesem Weg alles Gute für die nächsten 50 Jahre!

Salzburg/Leoben im Juni 2012

Univ. Prof. Dr. W. Sperl, Univ. Prof. Dr. R. Kerbl