Ich habe die Freude, in diesem Monat das Amt des Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) anzutreten. Ich möchte dem ausscheidenden Präsidenten, Prof. Dr. Fred Zepp, für sein außerordentliches Engagement danken und ihn zu seiner erfolgreichen Tätigkeit beglückwünschen. Ich bin sehr froh, ihn in diesem Jahr weiter um seinen Rat fragen und um seine Hilfe als Vizepräsident der DGKJ bitten zu können. Frau Prof. Dr. Gesine Hansen möchte ich als neue Schriftleiterin der Monatsschrift Kinderheilkunde begrüßen.

Unsere Fachgesellschaft ist die wissenschaftliche Organisation, die sich seit 1883 für die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen einsetzt. Sie ist mitgliederstark, traditionsreich und unabhängig. Ich möchte Sie als Mitglieder alle herzlich einladen, sich aktiv in die DGKJ einzubringen, damit wir eine lebendige Gesellschaft bleiben, die Bedingungen des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen ständig kritisch analysieren und wissenschaftlich fundierte Lösungsansätze für Verbesserungen an die Gesellschaft weitergeben. Kinderärzte müssen gesellschaftlich Gehör finden, und wir müssen uns Gehör verschaffen.

Was wird sich in der Pädiatrie der kommenden Jahre ändern? Wir werden uns vermehrt mit chronischen Erkrankungen auseinandersetzen, die es in ihrer komplexen Pathophysiologie zu verstehen gilt. Wir werden wesentliche Neuentwicklungen von Therapieprinzipien erleben, die v. a. aus der Analyse immunologischer und neurobiologischer Prozesse resultieren. Die hohe Anzahl der antikörperbasierten Therapien sind ein Beispiel hierfür. Zellbasierte Behandlungen werden hinzukommen. Die Diagnosehäufigkeiten neuer Morbiditäten wie ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom), Verhaltensauffälligkeiten und anderer psychosoziale Störungen nehmen zu. Prävention in all ihren Erscheinungsformen muss unser zentrales Anliegen sein. Demografisch wird die Zahl der Menschen unter 18 Jahren in Deutschland abnehmen; aber wir werden entwickeln müssen, wie die kinder- und jugendärztliche Versorgung in einer komplexen postindustriellen Gesellschaft unter globalisierten ökonomischen Bedingungen gesichert und optimiert werden kann.

Dabei ist die Pädiatrie eines der wenigen medizinischen Fächer, das für sich in Anspruch nehmen kann, den individuellen Patienten in seiner Gesamtheit und in seinen unmittelbaren sozialen Bezügen verstehen zu wollen und zu behandeln. Die ärztliche Behandlung des wachsenden Organismus (nämlich des Kindes und des Jugendlichen) sollte das definitorisch Gemeinsame sein, das uns alle als pädiatrisch Tätige verbindet. Dieser Konsens sollte unsere politischen Äußerungen und Entscheidungen prägen, unabhängig davon, welcher Subspezialität wir uns nahe fühlen. Die Subspezialisierung der Pädiatrie ist notwendig, da nur sie die bestmögliche Versorgung des Kindes sichert; genauso notwendig ist jedoch der breit ausgebildete Allgemeinpädiater, der aufgrund seiner umfassenden Weiterbildung befähigt ist, die richtigen Weichen für die Behandlung des individuellen Kindes oder Jugendlichen im Kontext seiner sozialen Eingebundenheit zu stellen. In vertrauensvoller Zusammenarbeit aller Pädiater/-innen wird die beste Leistung für unsere Patienten zu erzielen sein. Das Kind als Patient benötigt also sowohl den Allgemeinpädiater als auch den pädiatrischen Subspezialisten. Vielleicht ist der Beruf des Kinderarztes der politischste unter den Ärzten, da wir versuchen müssen, im besten Sinne als Anwalt des Kindes tätig zu sein. Damit unterstützen wir die Bevölkerungsgruppe, die bekanntlich noch kein Wahlrecht hat, beim Hineinwachsen in unsere Gesellschaft und helfen bei der Wahrnehmung ihrer Rechte.

Wir sollten uns intensiv bemühen, den Medizin Studierenden die große Attraktivität unseres Faches zu verdeutlichen, wir wollen die Besten für die ärztliche Versorgung von Kindern und Jugendlichen gewinnen. Um das erfolgreich umzusetzen, werden wir über die Weiterbildung zum Facharzt diskutieren und hinterfragen, ob die derzeitigen Inhalte den Anforderungen an den Kinderarzt in der klinischen und der ambulanten Tätigkeit noch entsprechen. Wir werden unsere Weiterzubildenden nach ihrer Einschätzung fragen und sind auf die Ergebnisse der zweiten Befragung durch die Bundesärztekammer gespannt.

Pädiatrie ist zunehmend weiblich, eine große Anzahl junger Ärztinnen entscheidet sich für dieses Fach. Wir sollten dafür Sorge tragen, dass diese Frauen langfristig ihre dann erworbene kinderärztliche Kompetenz für die Patienten einsetzen können und die Pädiatrie wissenschaftlich weiterentwickeln. Dies wird nur möglich sein, wenn für Kinderärztinnen Beruf und Betreuung der eigenen Kinder vereinbar sind.

Unsere kinder- und jugendärztliche Tätigkeit wird von zahlreichen Institutionen beobachtet und bewertet, z. B. den Medizinischen Diensten der Krankenkassen, den Medien, aber auch der Gesetzgebung. Hieraus resultieren z. T. Diskussionen in der Öffentlichkeit (z. B. Mindestmengen), die dem gesellschaftlichen Gesamtbild der Pädiatrie eher abträglich sind. Die Weiterentwicklung einer ergebnisorientierten Qualitätskontrolle, die wissenschaftlichen Grundsätzen folgt und von Ärzten selbst initiiert und durchgeführt wird, kann das Fundament für strukturelle Entscheidungen in der Versorgung von Kindern und Jugendlichen bilden.

Die wissenschaftliche Zentrierung auf den wachsenden Organismus erfuhr in anderen Ländern seit vielen Jahren eine Institutionalisierung (National Institutes for Child Health z. B. in den USA, Großbritannien und Australien); die Etablierung einer solchen auch in unserem Land sollte für unsere Bundesregierung eine vornehmliche Aufgabe sein. Die Einrichtung eines Deutschen Instituts für Kindergesundheit würde dem von verantwortlichen Politikern betonten Bild eines Landes, welches sich intensiv um seine nachwachsenden Generationen kümmert, eine weithin sichtbare wissenschaftliche Institution zuordnen.

Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen.

Prof. Dr. N. Wagner

Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin