Sehminderungen bei Kindern sind in Deutschland häufig, sie werden auf 15–30% aller Kinder geschätzt. Während die Mehrheit der Betroffenen unter Refraktionsfehlern leidet, spielen dennoch die Sehschärfenminderungen mit einer Prävalenz von 1–5% eine bedeutende Rolle. Unter einem manifesten Schielen leiden 4,5% aller Kindergartenkinder, 60% davon weisen eine einseitige Amblyopie auf. Diese erworbene Funktionseinschränkung des Sehapparates, die bei Früherkennung vollständig geheilt werden kann, hat, wenn sie nicht behoben wird, eine lebenslange Minderung der Lebensqualität der Betroffenen zur Folge. Aus diesem Grund führte der Gemeinsame Bundesausschuss 2008 eine zusätzliche Vorsorgeuntersuchung 7a ein, bei der die Kinderärzte 4 Tests zur Erkennung von Sehfehlern durchführen sollen. Diese neuroophthalmologischen Testverfahren sind in der Diagnostik von Sehstörungen sowie Augenbewegungsstörungen in der kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchung unverzichtbar.

Die Vorsorgentersuchung 7a dient u. a. der Erkennung von Sehfehlern

Aufgrund der Häufigkeit der Sehstörungen bei Kindern erscheint es notwendig, wieder einmal ausführlich nach dem heutigen Stand der Kenntnisse über die Diagnostik und Therapie von neuroophthalmologischen Krankheiten bei Kindern in einem Schwerpunktsheft der Monatsschrift Kinderheilkunde zu informieren, um den Blick für derartige Untersuchungen zu schärfen.

Prof. Dr. Michael Gräf von der Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde der Justus-Liebig-Universität Gießen gibt einen Überblick über die gängigen neuroophthalmologischen Testverfahren. Diese Untersuchungen geben Auskunft über wichtige Partialfunktionen des Sehens, die zentrale Reizverarbeitung, die okulomotorische Efferenz und die Funktion der inneren und äußeren Augenmuskeln. In seinem Beitrag werden einfache Untersuchungsverfahren dargestellt, die großteils in der Kinderarztpraxis durchführbar sind und die Differenzierung akut behandlungsbedürftiger von harmlosen Störungen ermöglichen.

Prof. Dr. Oliver Ehrt von der Augenklinik der Ludwig-Maximilians-Universität in München fokussiert auf die Amblyopie, da Kinder nicht über die schlechte Sehschärfe klagen, ihr Verhalten unauffällig ist und die Augen auf den ersten Blick meist regelrecht aussehen. Daher sind gezielte Vorsorgeuntersuchungen notwendig, um die Amblyopie frühzeitig zu erkennen und erfolgreich behandeln oder sogar vollständig heilen zu können. Aufgrund der guten Prognose einer frühen Therapie ist es ein wichtiges Anliegen der Augen- und Kinderärzte, diese häufige Sehstörung frühzeitig zu erkennen. Fazit von Prof. Dr. Oliver Ehrt ist: Die im Rahmen der U7a vorgeschriebene Visusprüfung ist in dieser Altersgruppe oft noch nicht zuverlässig möglich, am geeignetsten hierfür erscheint jedoch der LEA-Test.

Dr. Christiana Pieh und Dr. Irene Gottlieb von der Universitätsaugenklinik Freiburg im Breisgau gehen in ihrem Artikel auf den kindlichen Nystagmus ein. Die häufigsten frühkindlichen und erworbenen Formen werden im Detail beschrieben, wobei das Hauptaugenmerk auf differenzialdiagnostischen Aspekten liegt. Hierbei spielt der Unterschied zwischen einem frühkindlichen oder einem erworbenen Nystagmus eine bedeutende Rolle. Während Ersterer zwar zeitnah, aber nicht unverzüglich abzuklären ist, muss bei Letzterem eine sofortige Abklärung mittels Bildgebung erfolgen, da die Ursachen des erworbenen Nystagmus in der vorderen Sehbahn oder in der Hirnstamm-Kleinhirn-Region liegen.

Prof. Dr. Birgit Lorenz von der Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde der Justus-Liebig-Universität Gießen gibt einen Einblick in aktuelle diagnostische und therapeutische Methoden bei ausgewählten Netzhauterkrankungen im Kindesalter, die bereits heute oder in naher Zukunft deren Prognose wesentlich beeinflussen können. Dargestellt werden neue Aspekte bei der akuten Frühgeborenenretinopathie (RPM) und bei erblichen generalisierten oder zentralen Netzhautdystrophien mit Manifestation im Kindesalter. Diagnostik und Therapie diverser kindlicher Netzhauterkrankungen sind einem ständigen Wandel unterworfen. Aufgrund der Seltenheit der einzelnen Erkrankungen ist die Betreuung der betroffenen Kinder in Spezialzentren anzustreben. Um unnötige und nicht zielführende Untersuchungen zu vermeiden, sollte die differenzierte augenärztliche Untersuchung einer neuropädiatrischen Abklärung vorausgehen. Bei komplexen Erkrankungen sind eine interdisziplinäre Diagnostik und Betreuung erforderlich. Die Palette der augenärztlichen Diagnostik umfasst derzeit hochauflösende elektrophysiologische, psychophysische, bildgebende und molekulargenetische Methoden. Erstmals kann eine spezifische Form einer frühkindlichen Netzhautdystrophie kausal behandelt werden.

Sehstörungsvorsorgeuntersuchungen müssen in die reguläre GKV-Vergütung integriert werden

Sehstörungen im Kindesalter zu erkennen, ist ein wichtiger Bestandteil von Vorsorgeuntersuchungen durch Kinder- und Jugendärzte. Zwar werden diese Leistungen bereits von einigen Krankenkassen übernommen, leider ist dies aber noch nicht flächendeckend der Fall. Es ist daher dringend notwendig, diese Leistungen im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung 7a in die reguläre Vergütung der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) aufzunehmen. Erst dann werden Kinder- und Jugendärzte flächendeckend dazu beitragen, diese häufigen und in der Regel gut behandelbaren Sehstörungen zu erkennen und den betroffenen Kindern eine bessere Lebensqualität durch gutes Sehen zu gewährleisten. Damit könnte eine wichtige Aufgabe in unserer allgemeinen Gesundheitsfürsorge im Rahmen der Prävention erfüllt werden.

Prof. Dr. M.J. Lentze