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Der demografische Wandel bringt es mit sich, dass wir immer mehr (hoch-)betagte Menschen mit einer Multimorbidität behandeln. Diese Multimorbidität geht praktisch obligat mit einer Polypharmazie (fünf und mehr Substanzen) einher. Wenn einzelne Erkrankungen leitliniengetreu behandelt werden, addieren sich die einzunehmenden Medikamente zu einem beachtlichen Cocktail. So sind bei betagten Menschen etwa 10 % der Noteinweisungen durch Nebenwirkungen oder unerwünschte Interaktionen von Medikamenten bedingt („drug-drug, drug-disease, disease-disease interactions“). Probleme wie eine verminderte Adhärenz bei der Medikamenteneinnahme bei Polypharmazie sind damit noch nicht adressiert. Denn es ist bekannt, dass die Anzahl verschiedener Medikamente negativ mit der Adhärenz verbunden ist.

Multimorbidität geht praktisch obligat mit einer Polypharmazie einher

Viele Medikamentenpackungen sind nicht nur vor Öffnung durch Kinder sicher, sondern verwehren auch betagten Menschen den Zugriff, beispielsweise wegen Arthrose in den Fingern. Vorstöße bei der European Medicines Agency (EMA), dass Medikamente vor der Registrierung auch bei älteren Menschen getestet werden müssten – wo sie ja meist eingesetzt werden –, sind bis jetzt leider recht frustran geblieben.

Im vorliegenden Schwerpunkt wird das Thema der Polypharmazie von diversen Seiten besprochen.

Listen, in denen nicht nur beschrieben wird, welche Medikamente bei (hoch-)betagten Menschen nicht oder nur mit Vorsicht gegeben werden sollten, sondern die auch Alternativlösungen enthalten, sind rar. Die Fit-fOR-The-Aged(FORTA)-Liste ist hier eine Ausnahme, wie es deren Entwickler Martin Wehling und dessen Mitarbeiter Farhad Pazan in ihrem Beitrag beschreiben.

Ute Hoffmann beleuchtet die Herausforderungen aus Sicht der Geriatrie. Sie erläutert, wie im täglichen Alltag die Priorisierung der Medikamenteneinnahme vorgenommen werden kann.

Bei über 80-jährigen Menschen mit Multimorbidität hat etwa ein Drittel auch kognitive Probleme, einerseits durch eine der diversen Formen von Demenzerkrankungen, andererseits durch delirante Zustände, wofür eine demenzielle Entwicklung ein starker Risikofaktor ist. Dies kompliziert die Medikamentengabe in Bezug auf Timing, Adhärenz, aber auch unerwünschte Arzneimittelnebenwirkungen noch einmal mehr. Man denke hier nur an den Einsatz von Medikamenten mit anticholinerger Wirkung – beispielhaft bei der Behandlung einer Urininkontinenz oder beim Morbus Parkinson – und an deren negative Auswirkungen auf die Kognition. Marlena Schnieder und Birte Viehmeister thematisieren dies und geben praktische Hinweise für den Umgang mit diesem Problemkreis.

Menschen mit akuten und ganz speziell chronischen Nierenerkrankungen benötigen viele Medikamente, sind sie doch zumeist multimorbid. Chronische Nierenerkrankungen sind zudem meist altersabhängig. Hier verbindet sich also eine chronische Organerkrankung mit altersbedingter Multimorbidität. Diese spezielle Konstellation mit ihren inhärenten Komplikationen bei der Medikamentenverschreibung ist im Beitrag von Roxana Manaila und Andrea Huwiler beschrieben.

Polypharmazie darf keineswegs nur negativ gesehen werden

Polypharmazie darf aber keineswegs nur negativ gesehen werden, wie dies häufig geschieht. Gerade auch alte Menschen profitieren von den Errungenschaften neuer Medikamentenentwicklungen. Eine repetitive Reevaluation ist jedoch angezeigt und auch die 1:1-Umsetzung von Leitlinien ist aus Sicht des Geriaters kritisch zu sehen. Der Mensch ist ja doch ein „Gesamtkunstwerk“ und nicht die Addition vieler Organe, die auch alle ganz individuell altern. Eine an den Betroffenen ausgerichtete Priorisierung ist deshalb oft notwendig. Die in dieser Ausgabe von Die Innere Medizin kompilierten Beiträge zeigen dies gut auf und werden sicher auf eine interessierte Leserschaft treffen.

C. Sieber