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Liebe Leserinnen und Leser,

die Innere Medizin mit all ihren Fachdisziplinen hat als Kernanliegen, Gesundheit zu bewahren und bis in das hohe Lebensalter Gesundung herbeizuführen. Der Aspekt der Geschlechtsidentität unserer Patienten (weiblich oder männlich, selten divers) wird zwar in der Epikrise festgehalten, dennoch müssen wir uns die Frage stellen, inwieweit uns diese Information in Entscheidungsprozessen im medizinischen Alltag tatsächlich begleitet.

Der aktuelle Schwerpunkt behandelt diese Thematik exemplarisch in sechs Beiträgen:

  • Geschlechtsspezifische Unterschiede bei hämatoonkologischen Erkrankungen werden in der Übersichtsarbeit von Lehnen u. Hallek aus Köln referiert. Hierbei werden auch mögliche Ursachen der geschlechtsspezifischen Prognose von Tumorerkrankungen beleuchtet und Unterschiede in der Toxizität von Tumortherapien bei Männern und Frauen angesprochen.

  • Im Beitrag von Sandek u. Hasenfuß aus Göttingen werden am Beispiel des Myokardinfarkts Unterschiede in Manifestation und Pathogenese bei Männern und Frauen thematisiert und Versorgungslücken aufgezeigt: Frauen erhalten seltener als Männer eine leitliniengerechte Therapie.

  • Geschlechtsspezifische Unterschiede bei gastroenterologischen Erkrankungen werden im Beitrag von Roth et al. aus Halle diskutiert. Während Autoimmunhepatitis und primär biliäre Cholangitis bei Frauen deutlich häufiger sind, tritt die primär sklerosierende Cholangitis mit einer höheren Inzidenz beim männlichen Geschlecht auf. Inzidenz und Ursachen der akuten und chronischen Pankreatitis unterscheiden sich ebenfalls zwischen den Geschlechtern mit einer höheren Letalität und Rezidivwahrscheinlichkeit bei Männern.

  • Die Autorinnen Albrecht u. Strangfeld aus Berlin beleuchten Geschlechtsaspekte in Diagnostik und Therapie entzündlicher rheumatischer Erkrankungen. Für viele dieser Krankheitsbilder ist eine erhöhte Inzidenz bei Frauen bekannt. Interessanterweise ist aber die Latenzzeit bis zur Diagnose bei Frauen länger als bei Männern. Darüber hinaus bestehen krankheitsübergreifend häufig niedrigere Remissions- und Therapieansprechraten bei Frauen.

  • Ein gemeinsamer Beitrag von Horn et al. aus Köln behandelt die Datenlage zu Geschlechtsunterschieden in der Immunantwort bei Infektionen. Beispielsweise zeigen Frauen bei Infektionen eine stärkere humorale und zelluläre Immunantwort als Männer und erleiden häufiger unerwünschte Reaktionen bei Impfungen.

  • Geschlechtsspezifische Unterschiede in Manifestation und Verlauf von Schilddrüsenerkrankungen werden von Lampropoulou et al. aus Essen referiert. Männliches Geschlecht ist mit einem ungünstigeren Verlauf von Morbus Basedow und endokriner Orbitopathie assoziiert. Bei Frauen wird Schilddrüsenkrebs eher in früheren Stadien diagnostiziert. Die Folgen einer Schilddrüsenfehlfunktion, insbesondere hinsichtlich Fertilität und Osteoporose, variieren bei Frauen und Männern.

Für alle in dieser Ausgabe behandelten Krankheitsentitäten gilt, dass die Datenlage längst nicht so zuverlässig ist, wie man es in der modernen, evidenzbasierten Medizin eigentlich erwarten dürfte. Warum also finden geschlechtsspezifische Aspekte in der Diagnostik und Therapie von Krankheiten im medizinischen Alltag des 21. Jahrhunderts – gerade mit dem Anspruch der Präzisionsmedizin – weiter unzureichend Beachtung?

Die Rolle der Geschlechtshormone im Kontext internistischer Erkrankungen ist unzureichend erforscht

Ein Schlüssel liegt sicher im Endokrinium und insofern erscheint es nachvollziehbar, dass eine Endokrinologin aus dem Herausgebergremium von Die Innere Medizin das Vorwort zu diesem Schwerpunkt übernimmt. Die Rolle der Geschlechtshormone – weiblicher wie männlicher – im Kontext internistischer Erkrankungen ist in der Tat bis dato unzureichend erforscht, selbst wenn die Notwendigkeit zur besseren Prävention, Diagnostik und Therapie dies eigentlich dringend erforderlich macht. Auch endokrin bedingte und „anerzogene“ Unterschiede in Verhaltensmustern spielen sicher eine Rolle. Schon allein die Wahrnehmung der Angebote zur Gesundheitsvorsorge unterscheidet sich bei Frauen und Männern erheblich. Ebenfalls unzureichend erforscht sind Aspekte der Arzneimittelwirkung, sodass die Behandlung im Alltag meist „geschlechtsunabhängig“ erfolgt. Auch auf Behandlerseite mag es relevante Unterschiede zwischen Arzt und Ärztin im Umgang mit männlichen und weiblichen Patienten geben. Die Ursachen sind also komplex und sicher vielfältiger Natur.

Fazit: Geschlechtsspezifische Diagnostik und Therapie ist eine gesamtmedizinische Notwendigkeit, für die dieses Schwerpunktheft nur einen Denkanstoß geben kann.

Den Leserinnen und Lesern wünsche ich, dass sie durch die Lektüre des Schwerpunkts zum Nachdenken angeregt werden und wir alle gemeinsam darauf hinarbeiten, geschlechtsspezifische Aspekte in Grundlagen-, translationaler und klinischer Forschung stärker einzufordern und in der praktischen Medizin nachhaltiger in den Fokus zu nehmen. Dies sind wir unseren Patienten (geschlechtsunabhängig) schuldig.

Ich wünsche viel Freude und neue Erkenntnisse bei der Lektüre.

Mit herzlichen kollegialen Grüßen

Ihre

Prof. Dr. Dr. med. D. Führer