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Bei kaum einem soliden Tumor erfolgt die klinische Umsetzung biologischen Wissens in den letzten Jahren mit einer solchen Dynamik wie beim Lungenkrebs. Und das ist auch bitter notwendig. Noch immer ist Lungenkrebs die häufigste Krebstodesursache weltweit, so auch in Deutschland, wo jeder fünfte Krebstote darauf zurückzuführen ist.

Die Fortschritte beruhen auf Erkenntnissen der Genom- und der immunologischen Forschung (Fassunke et al.). Im Jahr 2009 wurde die erste personalisierte Therapie – ein Kinaseinhibitor gegen den „epidermal growth factor receptor“ (EGFR) – in Europa zugelassen. Seither ist eine Fülle neuer, zielgerichtet therapierbarer Treibermutationen identifiziert worden. Heute stehen für mehr als die Hälfte der Patienten mit fortgeschrittenem Adenokarzinom der Lunge, dem häufigsten Subtyp, personalisierte Therapien zur Verfügung (Scheffler et al.). War die alleinige Chemotherapie bei diesen Patienten nur marginal wirksam mit medianen Überlebenszeiten von 10 bis 12 Monaten, sehen wir jetzt in genetisch definierten Subgruppen ein medianes Überleben von mehreren Jahren. Auch für Patienten, für die diese treibermutationsgerichteten Therapien nicht zur Verfügung stehen, haben Immuncheckpointinhibitoren zu einer deutlichen Verbesserung der Prognose geführt (Frost et al.). Hier ist die Entwicklung noch frischer: Der erste Programmed-cell-death-1(PD-1)-Antikörper wurde im Jahr 2015 in Deutschland zugelassen, zunächst für die Rezidivtherapie. Mittlerweile sind Antikörper gegen PD‑1, „programmed cell death 1 ligand 1“ (PD-L1) und „cytotoxic T‑lymphocyte-associated protein 4“ (CTLA-4), mit oder ohne Chemotherapie, in der Erstlinie fest etabliert, sodass heute, nur 7 Jahre später, die alleinige Chemotherapie aus den Leitlinienempfehlungen für das fortgeschrittene Lungenkarzinom verschwunden ist. Mit Macht drängen aktuell sowohl die treibermutationsgerichteten Therapien als auch die Immuntherapien in die Behandlung der frühen und lokal fortgeschrittenen Stadien, in Kombination mit der Operation als adjuvante oder neoadjuvante Therapien oder in Kombination mit der Radiochemotherapie (Wiesweg et al.).

Die nächsten Herausforderungen zur weiteren Prognoseverbesserung sind bei den Treibermutationen das Verständnis und die Beherrschung der klonalen Heterogenität als Ursache für die Resistenz gegen zielgerichtete Therapien und bei den Immuncheckpointinhibitoren das Verständnis der Heterogenität des Tumormikromilieus als Ursache für die primäre und sekundäre Resistenz. Ganz am Anfang stehen wir noch bei der Beschreibung und klinischen Umsetzung therapeutischer Vulnerabilitäten beim kleinzelligen Lungenkarzinom (Weber et al.). Die Entwicklung der letzten Jahre stimmt optimistisch, dass weitere Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung in die Klinik überführt werden können und alle Untergruppen des Lungenkrebses sich immer mehr hin zu chronisch verlaufenden Erkrankungen verändern werden.

Noch immer werden in Deutschland viel zu viele Patienten nicht molekular getestet

Wie der Beitrag von zwei Patientinnen (Hatzfeld u. Söhlke) in dieser Ausgabe eindrucksvoll unterstreicht, haben wir aber nicht nur wissenschaftliche Herausforderungen zu meistern, sondern, gerade in Deutschland, ein Umsetzungsproblem. Mutationsgerichtete Therapien erfordern eine breite molekulare Testung vor der Erstlinientherapieentscheidung. Die Einführung dieser Testung lief in Deutschland schleppend, gerade auch im europäischen Vergleich, und noch immer werden viel zu viele Patienten nicht getestet. So gehen schrecklicherweise Tausende von Patientenlebensjahren verloren, obwohl Testung wie neue Therapien zur Verfügung stehen. Paradigmatisch für die Onkologie insgesamt zeigt das nationale Netzwerk Genomische Medizin Lungenkrebs, wie mit einer intelligenten Arbeitsteilung zwischen hochspezialisierten Zentren und regionalen Netzwerkpartnern auch diese Herausforderung zugunsten unserer Patienten angenommen und bewältigt werden kann.

Michael Hallek

Jürgen Wolf