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Arbeit ist im Kern etwas Schönes. Gute, dem Individuum angemessene Arbeit hält körperlich und geistig fit, fördert unsere kognitiven und kreativen Fähigkeiten, Arbeit und Aktivität bis ins Alter sind außerdem Demenzprophylaxe [1]. Der Wert eines Arbeitsplatzes und seines sozialen Umfelds wird oft erst geschätzt, wenn der Arbeitsplatz abhandenkommt.

Aber: Etwa 4 % des Bruttosozialprodukts gehen weltweit durch gesundheitsschädliche Arbeitsplatzeinflüsse verloren [2]. Das gilt mit 3–4 % auch in der Europäischen Union [3]. Bödeker hat in einem BKK(Betriebskrankenkasse)-Report für Deutschland berechnet, dass sich für Männer etwa je ein Drittel des Arbeitsunfähigkeitsgeschehens und der Frühberentung auf Belastungen in der Arbeitswelt zurückführen lässt, bei Frauen lagen die arbeitsbedingten Anteile bei 12 % (Arbeitsunfähigkeit) und 19 % (Frühberentungen; [4]). Diese Zahlen zeigen das extrem hohe Präventionspotenzial der besseren Gestaltung von Arbeitsbedingungen zur Gesunderhaltung großer Teile der Bevölkerung.

Der vorliegende Schwerpunkt spannt einen weiten Bogen vom großen Thema Stress und arbeitsbedingte Erkrankungen [5] über arbeitsbedingte Infektionen mit dem „severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“ (SARS-CoV‑2; [6]), Berufskrankheiten der Atemwege und der Lunge [7] sowie der Hals- und Lendenwirbelsäule [8] im engeren Sinne bis schließlich zur Frage, wie man Arbeitsbedingungen im Krankenhaus gesundheitsförderlicher gestalten kann [9]. Beim letzten Thema geht es nicht „nur“ um Gesundheit und Arbeitszufriedenheit für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitswesen, sondern es ist empirisch gut belegt, dass gestresste Ärztinnen und Ärzte mehr Verordnungsfehler machen als weniger gestresste. Dieses Thema ist durch die Coronavirus-2019(COVID-19)-Pandemie in der Priorität gestiegen. So weist jede*r vierte in der COVID-19-Versorgung Beschäftigte kritische Ängstlichkeits- und Depressionswerte auf.

Der notwendigerweise kurze Titel des Schwerpunkts lautet „Arbeit, Berufskrankheiten und Gesundheit“. Berufskrankheiten sind in Deutschland auf wissenschaftlicher Grundlage in einer vom Gesetzgeber festgelegten Liste aufgeführt. Die gesetzliche Unfallversicherung, allein von Unternehmen finanziert, tritt ein, wenn eine Berufskrankheit droht oder bereits eingetreten ist. Es geht in dieser Ausgabe nicht nur um Berufskrankheiten im engeren Sinne, wie sie bei Nowak et al. [7] auf dem Gebiet der Atemwege und Lunge abgehandelt werden und bei Wicker et al. [6] bezogen auf COVID-19, sondern auch um das weite Feld arbeitsbedingter Gesundheitsstörungen. Nur ein kleiner Teil arbeitsbedingter Gesundheitsstörungen steht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung und kann damit Berufskrankheit sein. Bei arbeitsbedingten Gesundheitsstörungen sind die Unfallversicherungen nur für die Prävention, nicht aber für die Kompensation zuständig.

Arbeitsbedingte Gesundheitsstörungen wesentlich häufiger als Berufskrankheiten

Um diese etwas komplizierte und dem Kliniker und Praktiker nicht unbedingt eingängige Differenzierung an einem Beispiel zu illustrieren: Chronischer Rückenschmerz ist häufig eine arbeitsbedingte Erkrankung, ohne eine „Listen-Berufskrankheit“ im engeren Sinne zu sein, wie sie im Beitrag von Schiltenwolf und Schwarze [8] beschrieben werden. An beides muss die behandelnde Ärztin bzw. der behandelnde Arzt denken: Erstens: Kann durch ungünstige Einflüsse der Arbeit eine Berufskrankheit der Hals- oder Lendenwirbelsäule ausgelöst worden sein? Dann sind Ärztin und Arzt gesetzlich verpflichtet, den Verdacht auf eine Berufskrankheit dem zuständigen Unfallversicherungsträger oder dem staatlichen Gewerbearzt/Landesgewerbearzt zu melden. Nicht oder, sondern und zweitens: Gibt es arbeitsbedingte Einflüsse, die den chronischen Rückenschmerz unterhalten? Beispielsweise psychosoziale Belastungsfaktoren am Arbeitsplatz oder in der beschäftigenden Organisation bzw. im Unternehmen. Etablierte Konzepte und Modelle liefern hier Erklärungen für mögliche Einflussfaktoren und Wirkprinzipien in Bezug auf arbeitsbedingte Gesundheitsstörungen – siehe Beitrag von Siegrist [5].

Wirksamer als rein verhaltensorientierte Maßnahmen sind verhältnisorientierte Interventionen

Im Klartext: Schlechtes Führungsverhalten, mangelndes Feedback, zu geringe Kontrolle über die eigene Arbeit und zu geringe Ressourcen sind wirkungsvolle Risikofaktoren. Wenn Letzteres der Fall ist, wird gern nach Maßnahmen der Steigerung der Resilienz gesucht. Die Mitarbeiter sollen robust gemacht werden gegen die ungünstigen psychosozialen Einflüsse des Arbeitsplatzes. Das kann man tun und damit auch Gutes bewirken. Aber es reicht nicht, weil es an der Ursachenbehandlung vorbeigeht. Ein alleiniges solches Vorgehen wäre – bewusst überspitzt formuliert – ähnlich wie die historische Vorstellung, die „Giftfestigkeit“ von Arbeitnehmern durch roborierende Maßnahmen zu erhöhen, damit sie toxische Arbeitseinflüsse besser tolerieren. Wirksamer als rein verhaltensorientierte Maßnahmen sind vielmehr verhältnisorientierte Interventionen, die darauf abzielen, leistungs-, gesundheits- und auch persönlichkeitsförderliche Bedingungen am Arbeitsplatz zu schaffen. Erst kombinierte Ansätze aus verhaltens- und verhältnisorientierten Maßnahmen – so Weigl u. Schreyer in ihrem Beitrag [9] – tragen der Komplexität Rechnung und zielen auf die gleichzeitige Änderung ungünstiger individueller Verhaltensweisen und ungünstiger Umgebungsbedingungen ab.

Das gilt ganz generell – von der Baustelle bis zum Arbeitsplatz in der Klinik. Es wäre grundverkehrt, auf der Baustelle nur körperliche und am Arbeitsplatz Klinik nur psychomentale Belastungen und gegebenenfalls Fehlbeanspruchungen zu sehen. Der Bauarbeiter hat nicht nur schwer zu schleppen, sondern auch einen Vorgesetzten, der ihn im ungünstigen Fall bei Problemen auflaufen lässt und auf diese Art einen eigenständigen Risikofaktor für chronischen Rückenschmerz darstellt. Während unsere ärztlichen Einflussmöglichkeiten am Arbeitsplatz Baustelle recht limitiert sind (es sei denn, als Arbeitsmedizinerin oder Arbeitsmediziner in der Baubranche), sieht das am Arbeitsplatz Krankenhaus ganz anders aus. Lesen Sie die neuen Daten über effektive Interventionen und Rahmenbedingungen für erfolgreiche Veränderungen an Arbeitsplätzen im Gesundheitswesen und schauen Sie bitte, was Sie davon an Ihren Arbeitsplätzen in Klinik und Praxis umsetzen können.