Lernziele

Nach Lektüre dieses Beitrags ...

  • kennen Sie die aktuellsten Erkenntnisse zur Entstehung, Prävention, Behandlung und Therapieüberwachung des Diabetes mellitus Typ 1 (T1D) bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen.

  • erkennen Sie die Fallstricke, die zu einer Fehldiagnose bei T1D führen können.

  • können Sie die Therapieziele bei Menschen mit T1D benennen.

  • wissen Sie, wie man den Therapieerfolg eines Patienten mit T1D zuverlässig beurteilt.

  • können Sie die kardiovaskulären Risikofaktoren bei Menschen mit T1D beurteilen.

Epidemiologie, Ätiopathogenese und Prävention

Die Inzidenz des Diabetes mellitus Typ 1 (T1D) bei Kindern und Jugendlichen zeigt in den letzten 30 Jahren einen stetigen Anstieg. Im aktuellen EURODIAB-Register, das die T1D-Inzidenzraten aus 26 europäischen Regionen in 22 Ländern zusammenfasst, wurden die Manifestationsdaten von > 84.000 Kindern (0–14 Jahre) in den Jahren 1989–2013 analysiert [1]. Eine gepoolte Analyse der Daten aller Zentren zeigte einen mittleren Anstieg der jährlichen Inzidenz von 3,4 % (95 %-Konfidenzintervall 2,8–3,9 %), entgegen der Vermutung eines reduzierten Anstiegs in den Jahren 2004–2008. Der Anstieg der jährlichen Inzidenz betraf gleichmäßig Jungen und Mädchen in der Altersgruppe 0‑ bis 4‑Jähriger (3,7 % und 3,7 %) und 5‑ bis 9‑Jähriger (3,4 % und 3,7 %). In der Altersgruppe der 10- bis 14-Jährigen war der jährliche Anstieg dagegen bei Jungen signifikant höher als bei Mädchen (3,3 % und 2,6 %). In vier Zentren konnte eine signifikante 4‑Jahres-Periodizität festgestellt werden. Europaweit stellen wir somit unverändert einen jährlichen Anstieg der T1D-Inzidenz bei 0‑ bis 14-Jährigen fest, sodass es alle 20 Jahre zu einer Verdoppelung der Fallzahlen in dieser Altersgruppe kommt. Somit verdoppelt sich auch die Zahl der Menschen, die ihr ganzes Leben lang mit der Erkrankung zurechtkommen müssen.

Die Entstehung und das Fortschreiten des Autoimmunprozesses, der zum Verlust von β‑Zellen in der Bauchspeicheldrüse und zur verminderten Insulinproduktion bei T1D führt, sind multifaktoriell und noch weitestgehend ungeklärt. Sowohl Genetik als auch Umweltfaktoren spielen eine Rolle. Ihre Wechselwirkung und Assoziationen sind zunehmend Bestandteil vieler groß angelegter Studien in verschiedenen Populationen.

Eine sehr gute Zusammenfassung und Diskussion der potenziellen Umweltfaktoren, die einen entscheidenden Einfluss auf Beginn und Unterhaltung des Autoimmunprozesses zum T1D am Anfang des Lebens haben können, bietet die Arbeit von Craig et al. in der Zeitschrift Diabetologia (Tab. 1; [2]). Obwohl es mittlerweile viele gut dokumentierte Hinweise auf potenzielle Umweltfaktoren gibt, steht weiterhin eine effektive Intervention zur Primärprävention bzw. Unterbrechung des Autoimmungeschehens aus. Darüber hinaus ist noch nicht vollständig aufgeklärt, welche Mechanismen dem Beitrag zum Autoimmunangriff zugrunde liegen, der spezifisch auf die β‑Zellen der Bauchspeicheldrüse abzielt. Die Autoren unterstreichen die Bedeutung von Studien mit adäquater Fallzahl, konsistenten Definitionen von Expositions- und Ergebnismessungen, multifaktorieller Modellierung der Pathogenese sowie von Metaanalysen, die auch Publikationsverzerrungen und Studienheterogenität berücksichtigen können.

Tab. 1 Übersicht der prädestinierenden und protektiven Umweltfaktoren für die Entwicklung einer Autoimmunität bzw. eines klinischen Typ-1-Diabetes in der frühen Kindheit. (Nach Craig et al. [2])

Der T1D beginnt mit der Autoimmunität, dem Nachweis von 2 oder mehr persistierenden diabetesassoziierten Antikörpern (Stadium 1). Eine zusätzliche subklinische Dysglykämie wird als Stadium 2 bezeichnet, der manifeste Diabetes als Stadium 3 [3].

Studie zur Prävention

In einer randomisierten, placebokontrollierten, doppelblinden Phase-II-Studie wurde die Effektivität und Sicherheit von Teplizumab, einem nicht an den Fc-Rezeptor bindenden monoklonalen Anti-CD3-Antikörper, auf die Progression vom Stadium des Prädiabetes (Stadium 2) zum Stadium des klinischen Diabetes (Stadium 3) bei Personen mit hohem Risiko untersucht [4]. Als solche wurden Verwandte von Patienten mit T1D definiert, die multiple diabetesassoziierte Antikörper hatten. Die Teilnehmer erhielten unter ambulanten Bedingungen eine 14-tägige Gabe von Teplizumab oder Placebo und wurden mithilfe eines oralen Glukosetoleranztests (OGTT) in 6‑Monats-Intervallen nachverfolgt. An der Studie nahmen 76 Personen teil; 55 davon (72 %) waren jünger als 18 Jahre, 44 erhielten Teplizumab und 32 Placebo. Die Zeit bis zur Diagnose eines T1D betrug 48,4 Monate in der Teplizumab- und 24,4 Monate in der Placebogruppe. Ein behandlungsbedürftiger Diabetes wurde bei 19 Personen (43 %) mit Teplizumab und 23 (72 %) mit Placebo diagnostiziert. Somit ergab sich eine Hazard Ratio (Teplizumab vs. Placebo) von 0,41 (95 %-Konfidenzintervall 0,22–0,78; p = 0,006) für T1D. Der größte Effekt der Teplizumabtherapie wurde im ersten Therapiejahr festgestellt: Diabetes wurde bei nur 3 der 44 Teilnehmer (7 %) in der Teplizumabgruppe diagnostiziert, verglichen mit 14 von 32 Teilnehmern (44 %) in der Placebogruppe. In einer Subgruppenanalyse wurde gezeigt, dass der Therapieeffekt bei Studienteilnehmern mit einer niedrigeren C‑Peptid-Antwort im OGTT bei Studienbeginn am ausgeprägtesten war (Hazard Ratio 0,19; 95 %-Konfidenzintervall 0,08–0,47). Personen ohne humanes Leukozytenantigen HLA-DR3, aber mit HLA-DR4 und solche ohne Antikörper gegen den Zinktransporter 8 (ZnT8) hatten größere Chancen, von der Teplizumabtherapie zu profitieren. Als erwartete Nebenwirkungen traten Exantheme und eine transiente Lymphopenie auf. Letztere hatte ihren Nadir am fünften Behandlungstag und war spätestens nach 45 Tagen aufgehoben. Somit konnte erstmalig eine Verschiebung bei der Entwicklung der klinischen Diabetesmanifestation um etwa 2 Jahre erzielt werden. Die Zulassung des Medikaments für das Stadium des Prädiabetes ist bei der US Food and Drug Administration (FDA) beantragt worden. Da der Effekt bei Personen mit fortgeschrittenem Stadium 2 am ausgeprägtesten war, wird nun der Einsatz von Teplizumab auch direkt nach der Manifestation des T1D zum Erhalt der Restfunktion und Verlängerung der Remissionsphase bei Kindern und Jugendlichen (8–17 Jahre) überprüft (ClinicalTrials.gov Identifier: NCT03875729).

Klinik des Typ-1-Diabetes

Kinder und Jugendliche

Obwohl die klinische Manifestation des T1D einen epidemiologischen Gipfel vor dem Beginn der Pubertät und einen kleineren Gipfel vor dem Schulbeginn zeigt, tritt der T1D in jeder Altersgruppe auf. Bei einem Kind oder Jugendlichen mit klassischer Vorgeschichte von zunehmender Polyurie, Polydipsie und Gewichtsabnahme über 2–6 Wochen lässt sich die Diagnose einfach stellen. Wenn jedoch die Möglichkeit eines Diabetes, speziell von Formen mit atypischen Präsentationen nicht in Betracht gezogen wird, kann dies zu einer späten Diagnose und einem erhöhten Risiko einer diabetischen Ketoazidose (DKA) führen. Folgende Konstellationen führen häufig zur Verzögerung der Diagnose und Entstehung einer lebensbedrohlichen DKA bei Kindern und Jugendlichen:

  • Sehr kleine Kinder, bei denen ein schwerer Insulinmangel schnell einsetzt und die Diagnose nicht rechtzeitig in Betracht gezogen wird

  • Die Hyperventilation der Ketoazidose kann als Lungenentzündung oder Asthma fehldiagnostiziert werden.

  • Bauchschmerzen im Zusammenhang mit einer Ketoazidose können ein akutes Abdomen simulieren und eher an Appendizitis denken lassen.

  • Polyurie und Enuresis können als Harnwegsinfektion fehldiagnostiziert werden.

  • Polydipsie kann als psychogen angesehen werden.

  • Erbrechen kann als Gastroenteritis fehldiagnostiziert werden.

Manuwald et al. [5] untersuchten die zeitlichen Trends zur Inzidenz der DKA bei Manifestation der Erkrankung in Sachsen zwischen 1999 und 2016. Als Basis wurde das populationsbasierte pädiatrische Diabetesregister in Sachsen für Kinder von 0 bis 14 Jahren genutzt. Die Autoren fanden eine unverändert hohe jährliche DKA-Rate von 35,2 % während des ganzen Beobachtungszeitraums. Es wurde ein statistisch signifikanter Anstieg der DKA-Inzidenz in den jüngeren Altersgruppen gefunden, ohne Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen. Der Anteil schwerer (pH < 7,1 oder Bikarbonat < 5 mmol/l) und moderater Ketoazidosen (pH < 7,2 oder Bikarbonat < 10 mmol/l) war in den Jahren signifikant und disproportional angestiegen im Vergleich zum jährlichen Anstieg der T1D-Inzidenz im selben Beobachtungszeitraum.

Auch in einer US-amerikanischen Studie wurde die DKA-Inzidenz zum Zeitpunkt der T1D-Manifestation zwischen 2010 und 2017 untersucht [6]. Als Studienpopulation dienten die Patienten < 18 Jahre am Barbara Davis Center for Diabetes in Aurora, Colorado. Zwischen 2010 und 2017 stieg die DKA-Rate von 41 % auf 58 % an. Dieser Anstieg war ausgeprägt bei Privatversicherten (von 35,3 % auf 59,6 %, p < 0,0001) und ebenso nachweisbar bei „gesetzlich“ Versicherten („public insurance“; 52,2–58,8 %).

Gerade in der jüngsten Zeit der Coronavirus-disease-2019(COVID-19)-Epidemie mit dem allgemein verhängten Lockdown, der unter anderem zu einer signifikant niedrigeren Rate der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen führte, zeigten Kamrath et al. [7] einen dramatischen Anstieg der DKA-Rate bei Manifestation des T1D zwischen März und Mai 2020 im Vergleich zu den entsprechenden Zeiträumen 2018 und 2019 in Deutschland. 44,7 % der 532 Kinder und Jugendlichen mit T1D-Manifestation erlitten eine Ketoazidose, 103 (19,4 %) sogar eine schwere DKA mit pH < 7,1.

Die Ergebnisse dieser jüngsten Studien zeigen eindrucksvoll ein sehr großes Problem der pädiatrischen Diabetologie auf: die verspätete Erkennung des T1D. Je jünger die Kinder sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Diagnose im Rahmen einer lebensgefährlichen und komplikationsreichen metabolischen Entgleisung erhalten. Eine im Raum Stuttgart durchgeführte Aufklärungskampagne im Rahmen von Einschulungs- und U‑Untersuchungen im Vorschulalter war mit einer Reduktion der DKA-Rate assoziiert [8]. Eine bundesweite Ausweitung einer solchen Maßnahme könnte daher zu einer entsprechenden Reduktion führen.

Erwachsene

Im Gegensatz zum T1D bei Kindern und Jugendlichen, dessen Inzidenz und Prävalenz auch für Deutschland inzwischen gut untersucht sind, gibt es nur wenige aussagekräftige Daten zu Patienten, bei denen sich der Diabetes im Erwachsenenalter manifestiert. Nach aktuellen Schätzungen für den Zeitraum 2014–2016 basierend auf den Daten des bundesweiten Diabetes-Patienten-Verlaufsdokumentations(DPV)- und des nordrhein-westfälischen Registers beträgt die Inzidenz für Erwachsene (≥ 18 Jahre) 6,1 pro 100.000 Patientenjahre und für Kinder und Jugendliche (< 18 Jahre) 23,6 pro 100.000 Patientenjahre. Das entspricht deutschlandweit jährlich etwa 4150 Neuerkrankungen bei Erwachsenen und 3100 bei Kindern und Jugendlichen. Demnach hat sich bei einem erheblichen Anteil der für Deutschland für das Jahr 2016 geschätzten 335.000 Patienten mit T1D die Erkrankung erst im Erwachsenenalter manifestiert [9].

In der Praxis wird der im Erwachsenenalter manifestierte Diabetes zumindest initial immer wieder als Typ-2-Diabetes (T2D) klassifiziert und behandelt. In einer populationsbasierten Studie aus Exeter (Großbritannien) hatten von 583 Patienten, deren Diabetes nach dem 30. Lebensjahr manifest wurde, 123 (21 %) einen T1D. Für die Definition des T1D waren ein Gelegenheits-C-Peptid-Wert im Serum unter 200 pmol/l und ein Beginn der Insulinbehandlung innerhalb von 3 Jahren nach Diagnose erforderlich. Bei 20 % dieser Patienten war klinisch die Diagnose eines T2D gestellt worden und 38 % der Patienten mit T1D wurden nicht von Beginn an mit Insulin behandelt. Die Studie zeigte auch, dass die klassischen klinischen Kriterien der Diabetesmanifestation keine zuverlässige Klassifikation erlaubten [10]. Der T1D kann sich in seltenen Fällen auch im höheren Alter manifestieren, was diagnostisch oft eine besondere Herausforderung ist. Eine Analyse von Daten deutscher Krankenkassen aus den Jahren 2009 und 2010 ergab für den T1D bei über 80-Jährigen eine erstaunlich hohe Prävalenz von 0,43 bis 0,50 % [11].

Zur Art der Insulinbehandlung des T1D bei Erwachsenen (≥ 20 Jahre) liegen Daten aus dem DPV-Register vor [12]. Demnach wurden 2017 37 % der Patienten mit kontinuierlicher subkutaner Insulininfusion (CSII) behandelt, 5 % mit sensorunterstützter Pumpentherapie (SuP). Eine kontinuierliche Glukosemessung („continuous glucose monitoring“ [CGM]) wurde von 15 % der Patienten angewendet, bei 8 % länger als 100 Tage/Jahr. Die Patienten führten 2017 4–5 Blutzuckerselbstmessungen/Tag durch. Man kann davon ausgehen, dass inzwischen die Zahlen für CGM und SuP deutlich angestiegen sind. Für die Subgruppe von Patienten mit höherem Alter (≥ 65 Jahre) zeigte sich im DPV-Register, dass der Anteil der mit CSII behandelten Patienten von 2008 bis 2018 von 12 % auf 23 % angestiegen ist [13]. Die Auswertung der Daten von 56.250 erwachsenen Patienten (≥ 18 Jahre) aus dem DPV- und Diabetes-Versorgungs-Evaluations(DIVE)-Register (2000–2017) ergab mediane Hämoglobin‑A1c(HbA1c)-Werte von 8,1 % (18–25 Jahre), 7,9 % (26–49 Jahre) und 7,5 % (> 49 Jahre; [14]).

In der Insulintherapie des T1D bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen gibt es keine prinzipiellen Unterschiede, insbesondere was die Modalitäten der Insulinapplikation und die Anwendung neuer technischer Möglichkeiten anbelangt.

Schwere Hypoglykämien, das heißt Hypoglykämien, zu deren Beseitigung Fremdhilfe erforderlich ist, können beim T1D grundsätzlich in jedem Lebensalter auftreten. Betroffen ist vor allem eine Untergruppe von 10 bis 25 % der Patienten. Die wichtigsten Risikofaktoren für das Auftreten von schweren Hypoglykämien sind eine lange Diabetesdauer und eine Wahrnehmungsstörung für die Symptome der Hypoglykämie. Bei den betroffenen Patienten treten die Ereignisse in der Regel wiederholt auf. Im DPV-Register war ein deutlicher Anstieg der Inzidenz von schweren Hypoglykämien mit zunehmendem Lebensalter zu beobachten [15]. Bei jüngeren Patienten (≤ 60 Jahre) betrug die Inzidenz 24,3, bei älteren Patienten (> 60 Jahre) 40,1 pro 100 Patientenjahre. Noch vor 10–20 Jahren stellten häufige schwere Hypoglykämien Patienten und Ärzte vor ein praktisch unlösbares Problem und die Inselzelltransplantation wurde als Ultima Ratio angesehen, aber selten durchgeführt. Dies hat sich mit der breiten Verfügbarkeit von CGM-basierten Systemen grundlegend geändert. Nicht nur in Studien, sondern auch in der täglichen Praxis konnte gezeigt werden, dass bei Patienten mit hohem Risiko schwerer Hypoglykämien mithilfe von CGM-Systemen allein oder in Verbindung mit SuP die Inzidenz der Ereignisse auf weniger als die Hälfte reduziert werden konnte [16, 17]. In einigen Fällen kann durch Umstellung von Insulin glargin 100 E/ml auf Insulin degludec die Zahl schwerer Hypoglykämien vermindert werden (SWITCH-1-Studie; [18]). Unabhängig von diesen technischen und pharmakologischen Methoden darf nicht vergessen werden, dass häufig durch strukturierte Schulung allein eine bedeutende Reduktion schwerer Hypoglykämien möglich ist [19].

Die Inzidenz von Ketoazidosen, die eine stationäre Behandlung erfordern, betrug bei Erwachsenen mit T1D (≥ 18 Jahre) in der letzten Auswertung des DPV-Registers von 2000 bis 2016 2,5 pro 100 Patientenjahre. Am höchsten war sie mit 4,03 pro 100 Patientenjahre bei 18- bis 30-Jährigen. Die niedrigsten Inzidenzen fanden sich bei sehr kurzer (≤ 2 Jahre) und sehr langer Diabetesdauer (> 20 Jahre). Ketoazidosen traten bei Patienten mit hohen HbA1c-Werten (≥ 9 %) sehr viel häufiger auf als bei Patienten mit HbA1c-Werten < 7 % (6,04 vs. 0,88 pro 100 Patientenjahre; [20]).

Ein spezielles Problem gibt es bei geriatrischen Patienten mit labilem T1D, vor allem wenn gehäuft schwere Hypoglykämien und Ketoazidosen auftreten. Eine randomisierte, kontrollierte Studie („randomized controlled trial“ [RCT]) untersuchte in diesem Zusammenhang den Effekt der Verwendung eines CGM-Systems bei über 60-jährigen Patienten mit T1D. Das Ergebnis ist beeindruckend: Die Inzidenz schwerer Hypoglykämien sank von 22,2 auf 1,9 pro 100 Patientenjahre [21]. Wenn diese Patienten jedoch körperliche und kognitive Einschränkungen haben, ist es oft nicht möglich, eine selbstverantwortete Insulintherapie durchzuführen. Auch können aus diesen Gründen moderne technische Hilfsmittel nicht angewendet werden. In der Regel bleibt dann nur die Steuerung der Insulintherapie durch das Pflegepersonal, was aber häufig nicht zum gewünschten Ergebnis führt.

„Late-onset autoimmune diabetes in adults“

Der „late-onset autoimmune diabetes in adults“ (LADA) manifestiert sich klinisch als T2D, wird aber schneller insulinpflichtig und zeichnet sich durch die Existenz von Diabetesantikörpern im Blut aus. Nach der Definition der Immunology of Diabetes Society (IDS) liegt ein LADA vor, wenn der Diabetes nach dem 30. Lebensjahr festgestellt wird, Antikörper gegen β‑Zell-Antigene (meist Glutamat-Decarboxylase) nachweisbar sind und der Diabetes in den ersten 6 Monaten nach Diagnose nicht mit Insulin behandelt werden muss. Diese Definition lässt Überschneidungen zum T1D und T2D zu. Einerseits kann der T1D nach dem 30. Lebensjahr auftreten und in diesem Manifestationsalter auch erst nach mehr als 6 Monaten insulinpflichtig werden. Andererseits sind bei 4–12 % aller Patienten mit T2D Diabetesantikörper nachweisbar [22]. Nachdem die aktuellen Diabetesklassifikationen den LADA nicht enthalten und Diabetesantikörper das Charakteristikum des T1D sind, würde dies bedeuten, dass ein erheblicher Teil der Patienten mit T2D als T1D zu klassifizieren wäre. Schließlich ist es wichtig zu wissen, dass die Behandlung des LADA mit Insulin keine Vorteile gegenüber anderen Antidiabetika aufweist.

Unter diesen Aspekten sollte in der klinischen Praxis auf die Diagnose LADA verzichtet werden. Dies schließt natürlich nicht aus, dass die klinische Forschung an Patienten mit dieser Diabetesform wichtige Erkenntnisse zur Pathogenese des Diabetes liefern kann. Für die klinische Praxis sollten Diabetesantikörper nur zur Bestätigung der Diagnose T1D oder bei jungen Patienten mit der klinischen Diagnose T2D, die ungewöhnlich schnell insulinpflichtig werden, bestimmt werden.

Das Pendant zum LADA ist der „latent autoimmune diabetes in the young“ (LADY), der bei Jugendlichen auftritt und sich klinisch als T2D manifestiert, aber durch die Anwesenheit von Diabetesantikörpern charakterisiert ist. Auch wenn diese Diabetesform wissenschaftlich sehr interessant ist, ist sie als Diagnose klinisch wenig hilfreich.

Typ-1-Diabetes durch Immuncheckpointinhibitoren

Immuncheckpointinhibitoren (ICI) werden zunehmend zur Immuntherapie in der Onkologie eingesetzt. Bei 1–2 % der so behandelten Patienten entwickelt sich wenige Wochen bis Monate nach Medikamentengabe ein irreversibler T1D mit fehlender Insulinrestsekretion, Blutzuckerlabilität und Ketoseneigung [23]. Der Diabetes entwickelt sich unter allen für die Therapie erhältlichen Inhibitoren des Rezeptors „programmed cell death 1“ (PD‑1; Nivolumab, Pembrolizumab, Cemiplimab) und des „programmed cell death 1 ligand 1“ (PD-L1; Avelumab, Durvalumab, Atezolizumab), aber selten unter dem Cytotoxic-T-lymphocyte-associated-protein-4(CTLA-4)-Inhibitor Ipilimumab. In 50 % der Fälle manifestiert sich der Diabetes mit einer mäßigen bis schweren Ketoazidose. Die Anwesenheit von Diabetesantikörpern (50 % der Fälle) verkürzt die Zeit bis zur Manifestation. Entsprechend der onkologischen Grunderkrankung liegt das mittlere Alter der betroffenen Patienten über 50 Jahren. Diese Diabetesform kann aber auch bei Kindern auftreten, wie es für ein 12-jähriges Mädchen nach Therapie eines Hodgkin-Lymphoms beschrieben wurde [24].

Wichtig für die tägliche Praxis ist, bei allen mit ICI behandelten Patienten daran zu denken, dass ein insulinpflichtiger T1D vorliegen kann, und nicht die beim Alter der Patienten naheliegende, aber falsche Diagnose eines T2D zu stellen.

Therapie des Typ-1-Diabetes – Einsatz moderner Technik

Die intensivierte Insulintherapie nach dem Basis-Bolus-Prinzip ist der Goldstandard bei T1D (Stadium 3) in jeder Altersgruppe. Seit etwa zwei Jahrzehnten erleben wir eine zunehmende Expansion der modernen technologiebasierten Therapien des T1D. Diese beinhalten die Verwendung von Insulinpumpen und CGM-Systemen sowie neuerdings auch deren Kombination in sogenannten Hybrid-closed-loop- oder Automated-insulin-delivery(AID)-Systemen.

Hämoglobin A1c und Zeit im Zielbereich

Die Festlegung eines HbA1c-Bereichs als Therapieziel muss generell individuell erfolgen. Für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene wird in der Regel ein HbA1c-Wert < 7 % (< 53 mmol/mol) angestrebt. Bei geriatrischen Patienten mit T1D sind auch Zielwerte bis 8,5 % zu tolerieren, wenn das Hauptziel die Vermeidung von Hypoglykämien ist [25]. HbA1c ist der Laborparameter mit der besten Abschätzung der langfristigen Prognose. Er spiegelt jedoch keine glykämischen Schwankungen wider und ist auch nicht als Prädiktor beispielsweise von schweren Unterzuckerungen geeignet.

Durch die zunehmende Anwendung der kontinuierlichen subkutanen Glukosemessung (CGM) gewinnt die „time in range“ (Zeit im Zielbereich) als Indikator für die Dauer der normo-, hypo- und hyperglykämischen Phasen an Bedeutung. In der Praxis dienen die prozentuale Zeit im Zielbereich von 70 bis 180 mg/dl (3,9–10,0 mmol/l) und die Zeit im hypoglykämischen Bereich < 70 mg/dl (3,9 mmol/l) zur Orientierung hinsichtlich der Therapiequalität. Für die „Zeit im Zielbereich“, also den Anteil der gemessenen Sensorwerte, der zwischen 70 und 180 mg/dl (3,9 und 10 mmol/l) liegt, werden mehr als 70 % angestrebt (entsprechend mehr als 16 h pro Tag). Die Zeit unter 70 mg/dl (3,9 mmol/l) sollte 4 % nicht überschreiten; dies entspricht etwa 1 h pro Tag [26].

Anwendungsbereiche und -häufigkeit sowie Effekte verschiedener Techniken

Während Vorschulkinder ab Manifestation mit einer Pumpentherapie behandelt werden, ist ab dem Schulalter die intensivierte Insulintherapie mit mehrfachen täglichen Injektionen zunächst die erste Wahl [27]. Für die Insulintherapie im pädiatrischen Alter werden wegen der notwendigen Flexibilität der Therapieanpassung keine Misch- oder Kombinationsinsuline verwendet. Zugelassen sind hier, neben den Human- und NPH-Insulinen, diverse lang und kurz wirksame Insulinanaloga, die für die Therapie entsprechend den Lebensumständen der Patienten ausgewählt werden können, wie auch bei erwachsenen Patienten [28].

Neben den RCT, die meist die Effektivität moderner Therapien über einen mittellangen Zeitraum von 6 bis 12 Monaten überprüfen, erlauben uns Untersuchungen großer Kohorten die Beurteilung längerfristiger Effekte der modernen T1D-Therapien unter den Bedingungen der jeweiligen Versorgung. So konnten van den Boom et al. [12] auf der Basis der Daten von 96.547 Patienten mit T1D aus der deutsch-österreichischen DPV-Datenbank zeigen, dass die Anwendung einer Insulinpumpentherapie von 1 % im Jahr 1995 auf 53 % im Jahr 2017 kontinuierlich zunahm. Gerade bei jüngeren Patientengruppen wird eine Pumpe eingesetzt:

  • 92 % bei Vorschulkindern

  • 74 % bei Kindern

  • 56 % bei Adoleszenten < 15 Jahren

  • 46 % bei Adoleszenten ≥ 15 Jahre

  • 37 % bei Erwachsenen

Die Häufigkeit des Einsatzes eines CGM-Systems nahm ebenso zu: von 3 % im Jahr 2006 auf 38 % im Jahr 2017. Auch hier sind die jüngeren Patienten Vorreiter (CGM-Häufigkeit: 58 %, 52 %, 45 %, 33 % und 15 % in den jeweiligen oben genannten Altersgruppen). Die Intensivierung der Therapie spiegelte sich auch in der Zunahme der Häufigkeit täglicher Blutzuckerselbstkontrollen, die zwischen 1995 und 2016 kontinuierlich anstieg und danach mit dem zunehmenden Einsatz der Flash-glucose-monitoring(FGM)- und CGM-Systeme wieder zurückging. Die Entwicklung der diabetesassoziierten Therapieergebnisse zeigte eine Reduktion des prozentualen Anteils von Patienten mit HbA1c >9 % von 27,6 % im Jahr 1995 auf 16,6 % im Jahr 2017 sowie der schweren Hypoglykämien von 13,3 % auf 6 % bzw. auch der Hypoglykämien mit Koma von 4,4 % auf 2,1 %. Diese positive Entwicklung war insbesondere bei Patienten mit einer Pumpentherapie zu verzeichnen.

Tauschmann et al. [29] untersuchten die Entwicklung der diabetesassoziierten Akutkomplikationen ein Jahr nach der Einführung eines CGM bei 3553 pädiatrischen Patienten (medianes Alter 12,1 Jahre) mit T1D seit 4,2 Jahren (53 % Jungen; 62 % mit Pumpentherapie). Im Vergleich zu den Ausgangswerten waren die HbA1c-Werte in den ersten 6 Monaten (p < 0,0001) und in den Monaten 6–12 (p < 0,0001) nach CGM-Start signifikant niedriger. Der Anteil der Patienten mit HbA1c <7,5 % (<58 mmol/mol) war nach 6 (p < 0,0001) und 12 Monaten CGM-Anwendung (p < 0,0001) höher. Zudem war der Anteil der Patienten mit einer DKA 6 (p = 0,0055) und 12 Monate nach CGM-Start (p = 0,0143) niedriger; die DKA-Prävalenz (Ereignisse pro 100 Patientenjahre) nahm in den CGM-Monaten 6–12 signifikant ab (p = 0,0254).

Die Daten aus der Versorgungsforschung zweier unabhängiger Kohorten mit unterschiedlichem genetischem, geografischem, kulturellem und gesundheitspolitischem Hintergrund, nämlich der DPV in Deutschland und Österreich und der Western Australian Children’s Diabetes Database (WACDD) in Westaustralien zwischen 1995 und 2016, zeigten eindrucksvoll, dass eine Verbesserung der glykämischen Stoffwechsellage nicht mit einer Erhöhung des Risikos schwerer Hypoglykämien einhergeht [30].

In einer nichtrandomisierten, prospektiven Studie wurden vier Therapiestrategien bei 94 Erwachsenen mit T1D über den Zeitraum von 3 Jahren untersucht: kontinuierliche Glukosemessung in Echtzeit („real-time continuous glucose monitoring“ [rtCGM]) mit multiplen täglichen Insulininjektionen („multiple daily insulin injections“ [MDI]) vs. rtCGM mit Pumpe vs. Blutglukoseselbstmessung („self-monitoring of blood glucose“ [SMBG]) mit MDI vs. SMBG mit Pumpe [31]. Es konnte gezeigt werden, dass die rtCGM effektiver als die Blutzuckereigenkontrolle ist, unabhängig von der Art der Insulintherapie. Der Einsatz der rtCGM bei Patienten mit einer intensivierten konventionellen Insulintherapie (ICT) sollte unterstützt werden und stellt eine kostengünstigere Alternative zur sensorunterstützten Insulinpumpentherapie dar.

Die Kombination einer Insulinpumpentherapie mit dem CGM unter Anwendung verschiedener Algorithmen erlaubt mittlerweile eine automatische Insulinregulation in den sogenannten Closed-loop-Systemen. Der „hybrid closed loop“ führt eine automatisierte Insulindosierung der Basalrate auf Grundlage der per Sensor gemessenen Glukosewerte durch und unterbricht die Insulinabgabe bei drohender Unterzuckerung, benötigt aber weiterhin eine manuelle Eingabe zu den Mahlzeiten und zur Korrektur (daher Bezeichnung als Hybrid: manuelle Eingabe des Mahlzeiten- und Korrekturbolus kombiniert mit automatisierter Regulation des Basalinsulins; [32]).

Das erste System dieser Art ist seit 2019 für Patienten mit T1D ab einem Alter von 7 Jahren in Deutschland zugelassen. Verschiedene Studien und die Erfahrung aus der klinischen Praxis haben gezeigt, dass dadurch insbesondere in der Nacht eine deutliche Stabilisierung der Einstellung im Zielbereich von 70 bis 180 mg/dl gelingt. Lal et al. [33] analysierten in einer Beobachtungsstudie die klinische Erfahrung mit der 1‑Jahres-Anwendung dieses ersten kommerziellen Hybrid-closed-loop-Systems bei 84 Patienten mit T1D (Alter 9–61 Jahre) in den USA. Sie fanden, dass im Laufe der Zeit die Aktivierung des Automodus signifikant abnahm, obwohl zu allen Zeitpunkten eine signifikante inverse Korrelation zwischen Zeit im Automodus und HbA1c bestand. Gründe für das Abschalten des Automodus waren Probleme mit dem Sensor (62 %), kein Zugang zu Materialien (12 %), Angst vor Unterzuckerung (12 %), Bevorzugung einer ICT (8 %) und Sport (8 %). Die US-amerikanische Erfahrung betont die Notwendigkeit einer strukturierten Schulung und umfassenden Aufklärung und Beratung über die Erwartungen und Möglichkeiten des ersten kommerziellen Hybrid-closed-loop-Systems. Die neueste Generation des „hybrid closed loop“ („advanced hybrid closed loop“), bei dem die automatisierte Basalinsulinregulation durch die automatisierte Abgabe von Korrekturbolusgaben ergänzt wird, erhielt im Juni 2020 die CE-Markierung als Voraussetzung für eine europäische Markteinführung.

Mortalität und kardiovaskuläre Komplikationen

Lange Zeit gab es keine aussagekräftigen Daten zur Mortalität des T1D. Dies hat sich in den letzten Jahren durch verschiedene epidemiologische Studien geändert. Eine dieser Studien kommt aus Schottland und beruht auf dem dortigen Register, in dem alle erwachsenen Patienten (> 20 Jahre) mit T1D erfasst werden [34]. Ausgewertet wurde in dieser Studie der Zeitraum von 2008 bis 2010. Ausgehend von einem Alter von 20 Jahren betrug die fernere Lebenserwartung bei Patienten mit T1D 46,2 Jahre, bei Kontrollpersonen 57,3 Jahre, das heißt durch den Diabetes verkürzt sich die Lebensdauer um 11,1 Jahre. Insgesamt war die koronare Herzkrankheit (36 % bei Männern, 31 % bei Frauen) die führende Todesursache. Bei jüngeren Patienten, die vor dem 50. Lebensjahr verstarben, waren jedoch Ketoazidose und hypoglykämisches Koma führend (29,4 % bei Männern, 21,7 % bei Frauen).

Andere Daten aus dem schwedischen nationalen Diabetesregister zeigen, dass der Verlust an Lebensjahren besonders groß ist bei früher Diabetesmanifestation (16 Jahre bei Diagnose vor dem 10. Lebensjahr) im Vergleich zu späterer Manifestation (10 Jahre bei Diagnose im 26. bis 30. Lebensjahr; [35]). In einer weiteren Auswertung des schwedischen Registers wurde der Zusammenhang zwischen Risikofaktoren, Mortalität und kardiovaskulären Ereignissen bei T1D untersucht [36]. Für die Risikofaktoren galten als Grenzwerte: HbA1c <6,9 %, systolischer Blutdruck <140 mmHg, Low-density-Lipoprotein-Cholesterin <3,0 mmol/l, keine Mikro- oder Makroalbuminurie, nicht rauchen. Es zeigte sich, dass bei Unterschreiten aller Werte kein gegenüber Kontrollpersonen erhöhtes Risiko für Mortalität, Herzinfarkt, Schlaganfall und Krankenhausaufenthalte wegen Herzinsuffizienz nachweisbar war. Dieses Risiko erhöhte sich exponentiell mit der Anzahl der überschrittenen Grenzwerte. Aus den Ergebnissen der Kohortenstudie lassen sich zwar keine unmittelbaren Therapieempfehlungen ableiten, sie unterstreichen aber, dass die Behandlung der Risikofaktoren nicht nur beim T2D, sondern auch beim T1D wichtig ist.

Für die Praxis bedeutet dies: In der Sekundärprävention werden Acetylsalicylsäure und Statine als Dauertherapie gegeben, zudem erfolgt eine antihypertensive Therapie bei Hypertonie, initial mit Blockern des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems. In der Primärprävention werden Statine eingesetzt, wenn das Risiko des Auftretens einer kardiovaskulären Erkrankung ≥ 20 % pro 10 Jahre beträgt. Dieses Risiko kann mit dem Steno-Rechner für T1D ermittelt werden. Der Rechner ist evaluiert und im Internet verfügbar (https://steno.shinyapps.io/T1RiskEngine/).

Hemmer von Natrium-Glukose-Kotransportern bei Typ-1-Diabetes

In den letzten Jahren wurden die Auswirkungen einer zusätzlichen Gabe verschiedener Sodium-glucose-co-transporter(SGLT‑2)-Hemmer auf die Blutzuckerkontrolle bei Patienten mit T1D untersucht. Die Ergebnisse waren einheitlich: Senkung des HbA1c um 0,4 %, des Körpergewichts um 2–3 kg, des systolischen Blutdrucks um 2–3 mmHg und der Insulindosis um 6 E/Tag [37]. Klinisch bedeutsamer war aber die sehr ausgeprägte Zunahme von Ketoazidosen und genitalen Infektionen mit Odds Ratios von jeweils 3,4 [37]. Studien mit dem SGLT-1/2-Hemmer Sotagliflozin kamen zu einem ähnlichen Ergebnis, wobei die Zunahme von Ketoazidosen eher noch ausgeprägter war.

Es ist schwer zu verstehen, warum bei dieser Nutzen-Risiko-Konstellation mit geringer HbA1c-Senkung und ausgeprägter Zunahme von Ketoazidosen SGLT-Hemmer bei Patienten mit T1D angewendet werden sollen. Gegenwärtig (März 2021) hat in Deutschland nur Dapagliflozin in der Dosierung von 5 mg die Zulassung zur Anwendung bei Erwachsenen mit Body-Mass-Index ≥ 27 kg/m2. Die Zulassung ist an regelmäßige Messungen von Ketonkörperspiegeln bei den behandelten Patienten geknüpft, wobei die Praxis zeigen muss, ob dies tatsächlich Ketoazidosen verhindern kann.

Wenn zukünftige RCT zeigen können, dass SGLT-Hemmer auch beim T1D einen bedeutsamen Einfluss auf kardiovaskuläre und renale Endpunkte haben, kann es durchaus sein, dass der Nutzen dieser Medikamente neu bewertet werden muss.

Fazit für die Praxis

  • Der Diabetes mellitus Typ 1 (T1D) kommt durch eine immunologisch vermittelte Zerstörung der pankreatischen β‑Zellen zustande, die zu einen meist vollständigen Insulinmangel führt. Der T1D ist charakterisiert durch den Nachweis von Diabetesantikörpern im Serum.

  • Ein T1D kann in jedem Alter auftreten (von 6 Monaten bis > 80 Jahre).

  • Bei verspäteter Diagnosestellung oder bei Fehldiagnose ist das Risiko einer diabetischen Ketoazidose sehr hoch.

  • Die intensivierte Insulintherapie nach dem Basis-Bolus-Prinzip stellt den Goldstandard der T1D-Therapie in allen Altersgruppen dar.

  • Moderne technische Hilfsmittel sowohl zur Insulinsubstitution (Insulinpumpe) als auch zur Stoffwechselkontrolle (subkutaner Glukosesensor) werden zunehmend angewendet. Deren Kombination ermöglicht erstmalig eine automatisierte Insulindosierung bei den sogenannten Hybrid-closed-loop-Systemen.

  • Neben der Vermeidung diabetesbedingter mikrovaskulärer Langzeitkomplikationen ist die rechtzeitige Erkennung und Behandlung kardiovaskulärer Risikofaktoren auch bei jungen Menschen mit T1D von außerordentlicher Bedeutung.