Zusammenfassung
Seit Anfang der 2000er-Jahre wurde vom Gesetzgeber die Gründung medizinischer Versorgungszentren (MVZ) als Ergänzung und zur Flexibilisierung ärztlicher Kooperationsmodelle zugelassen. Mehrfache gesetzliche Änderungen in den Folgejahren konnten nicht verhindern, dass entgegen der ursprünglichen Intention fast 90 % der Neugründungen in Kernstädten und Mittelzentren erfolgten, Konzentrationsprozesse und Monopolisierung vorangetrieben wurden und die Wahlfreiheit für Patient*innen eingeschränkt wurde. Um der Gefahr der Aushöhlung freier ärztlicher Berufsausübung und dem Diktat der Ökonomie vor patientenorientierter Medizin im ambulanten Sektor zu begegnen, fordern Körperschaften, wissenschaftliche Gesellschaften und Berufsverbände mehr Transparenz und engere Grenzen für nichtärztliche Kapitalinvestoren. Aktuell gibt es in Deutschland mehr als 3000 MVZ mit rund 20.000 angestellten Medizinern, davon ein großer Teil Internisten. Regional vernetzte MVZ-Strukturen verbinden die Vorteile einer optimierten Patientenversorgung mit dem wachsenden Wunsch der jungen Medizinergeneration nach flexiblen Arbeitsbedingungen in Anstellung. Bei zunehmender Akzeptanz vonseiten der Ärzteschaft sind vernetzte MVZ in der Lage, lokale Strukturen zum Ausbau einer modernen intersektoralen Versorgung zu schaffen, und können parallel für die ambulante fachärztliche Weiterbildung in der Inneren Medizin zur Verfügung stehen.
Abstract
Since the early 2000s, legislators have allowed the establishment of medical care centers to supplement and increase the flexibility of medical cooperation models. Several legal changes in subsequent years were unable to prevent that, contrary to the original intention, almost 90% of the newly founded facilities were established in urban cores and medium-sized centers; that concentration processes and monopolization were encouraged; and that the freedom of choice for patients was restricted. In order to counter the risk of undermining the free exercise of the medical profession and the dictates of economics over patient-oriented medicine in the outpatient sector, corporations, scientific societies, and professional associations are demanding more transparency and narrower limits for non-physician capital investors. There are currently more than 3000 medical care centers in Germany employing around 20,000 physicians, many of whom are internal medicine specialists. Regionally networked medical care center structures combine the advantages of optimized patient care with the growing desire of the younger generation of physicians for flexible working conditions within employment. With increasing acceptance on the part of the medical profession, networked medical care centers are able to create local structures for the expansion of modern intersectoral care and, at the same time, can be available for outpatient specialist training in internal medicine.
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Grebe, I.G. Strukturen medizinischer Versorgungszentren in der ambulanten Versorgung – ein Zukunftsmodell für die Innere Medizin?. Internist 61, 912–921 (2020). https://doi.org/10.1007/s00108-020-00842-9
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Schlüsselwörter
- Versorgungsforschung
- Ökonomie und Organisation des Gesundheitswesens
- Angestelltenverhältnis
- Intersektorale Zusammenarbeit
- Kapitalinvestoren