Die Bildgebung der Gefäße ist heute ein fester Bestandteil der Diagnostik, sowohl in der ambulanten als auch in der stationären Versorgung. Die Indikation wird von nahezu allen Fachdisziplinen gestellt, sei es, weil eine Gefäßerkrankung im engeren Sinne diagnostiziert und zur Behandlung gebracht werden soll, sei es, um Beschwerden mit einem breiten Ursachenspektrum systematisch abzuklären. Immer häufiger werden einzelne Abschnitte des Gefäßsystems auch bei Gesunden untersucht, als Teil von Screening- oder Vorsorgeprogrammen oder – noch unspezifischer – im Rahmen eines „Gesundheits-Check-up“.

Die Duplexsonographie spielt in dieser Entwicklung eine große Rolle, da sie zum einen in den letzten zwei Dekaden eine stürmische technische Verbesserung erfahren hat und zum anderen ohne jedes Risiko für den Patienten zur Anwendung gebracht werden kann. Da im selben Zeitraum die Preise für Geräte vergleichbarer Bildqualität auf ein Zehntel gefallen sind, ist die Verfügbarkeit der Duplexsonographie zumindest in Deutschland heute beinahe unbegrenzt.

Der schwellenlose Zugang zur Duplexsonographie der Gefäße hat allerdings zu einem allgemeinen Verfall der gedanklichen Klarheit bei der Indikationsstellung geführt. Die Bindung der Abrechenbarkeit bestimmter Pauschalen an die Durchführung der Gefäßsonographie in der vertragsärztlichen Versorgung hat der Fixierung auf dieses Verfahren weiteren Vorschub geleistet. Zuletzt hat das Geschäftsmodell der individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) den Marktplatz für unbegründete ärztliche Leistungen zu beträchtlicher Blüte gebracht.

Das Überangebot in der Gefäßsonographie hat neben der Ressourcenvergeudung zwei weitere schädliche Folgen. Die eine ergibt sich aus den Gesetzmäßigkeiten der Testtheorie: Jedes diagnostische Verfahren erzeugt auch falsch-positive Befunde. Das Verhältnis von falsch- zu richtig-positiven Ergebnissen ist umso ungünstiger, je niedriger die Vortestwahrscheinlichkeit im untersuchten Kollektiv ist. Unnötige Folgeprozeduren, dann auch mit weit aufwendigeren Schnittbildverfahren, sind die unausweichliche Konsequenz. Gar nicht einberechnet sind hier Folgeuntersuchungen durch eine ungenaue Befunderhebung („Verdacht auf …, weitere Abklärung erforderlich“).

Jedes diagnostische Verfahren erzeugt auch falsch-positive Befunde

Der andere Schaden entsteht durch die Visualisierung von Gefäßveränderungen, deren prognostische Relevanz unklar ist. Mehrheitlich werden sie dennoch zum Anlass für „prophylaktische“ oder „therapeutische“ Maßnahmen genommen, obwohl der Nutzen für die Gruppe von Patienten, denen sie verordnet werden (meist eigentlich Gesunde), in keiner Weise bewiesen ist. Wie viele Personen werden zu einer Prophylaxe mit Acetylsalicylsäure gedrängt, allein, weil an Karotis oder Femoralarterie Plaques gefunden wurden.

Die Beiträge des vorliegenden Schwerpunkts zu den hirnversorgenden Gefäßen, zur Aorta, zu den viszeralen Gefäßen und zu den peripheren Arterien und Venen bieten daher keine Leistungsschau, was moderne Verfahren heute alles können. Sie beschäftigen sich vielmehr mit den Situationen, in denen der Wunsch nach Bildgebung entsteht, mit den Kriterien zur Indikationsstellung, mit den Stärken und Schwächen der einzelnen Verfahren sowie mit Anhaltspunkten, welche Befunde Grundlage für weitere Entscheidungen sind.

Der Schwerpunkt wird der oben geschilderten Fehlentwicklung keinen Einhalt gebieten können. Dafür sind die treibenden Kräfte zu stark. Kollegen aber, die sich für die Zielgenauigkeit ihrer Arbeit interessieren, bekommen für die wesentlichen Gefäßprovinzen Informationen an die Hand, mit denen sie die Anforderung und Bewertung bildgebender Verfahren an den Gefäßen verbessern können. Dies aus zwei Richtungen: vorwärts gedacht durch die Konzentration auf Patientengruppen mit hoher Vortestwahrscheinlichkeit, rückwärts gedacht durch angemessene Bewertung der zu erwartenden – oder bereits erhaltenen – Befunde.

In diesem Sinne wünsche ich eine gewinnbringende Lektüre.

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S.M. Schellong