Die vorliegende Ausgabe von Der Internist gibt einen Überblick über Erkrankungen bei Flüchtlingen, Asylbewerbern und Migranten und über deren medizinische Versorgung. Der Schwerpunkt war schon weit im Vorfeld geplant. Mit der Entwicklung in der zweiten Jahreshälfte 2015 konnte diese Planung dann aber kaum mehr Schritt halten. Die Ausgabe erscheint dennoch in engem zeitlichem Zusammenhang zur Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), auf der dieses Thema ebenfalls zum Schwerpunkt geworden ist.

Deutschland ist kein klassisches Einwanderungsland wie die USA oder Kanada. Die gesetzlichen Regelungen für die häufig notfallmäßige Versorgung waren den Handelnden häufig nicht sofort geläufig und konnten auch nicht immer rasch vor der notwendigen Behandlung geklärt werden. Der Beitrag von P. Klein bringt Licht in die gesetzlichen Versorgungsregeln. Die Autorin beschreibt mögliche Versorgungsmodelle, die allerdings starke regionale Unterschiede aufweisen.

Auch in der weiteren Versorgung stellen sich Fragen: Welche Infektionskrankheiten müssen vor der Unterbringung in Gemeinschaftseinrichtungen abgeklärt werden? Wie soll das geschehen? Das sind nur zwei Fragen von vielen. Die wichtigsten Infektionskrankheiten mit ihrem spezifischen geografischen Hintergrund werden von A. Stich dargestellt, die spezifische Situation von Kindern und Jugendlichen beleuchtet M. Hufnagel.

Nach der notfallmäßigen Versorgung der akuten Probleme und dem Screening auf übertragbare Erkrankungen folgt die Versorgung von chronischen und nicht sofort behandlungsbedürftigen Erkrankungen. Hierzu gehören sowohl psychische Erkrankungen, denen traumatische Erfahrungen im Heimatland oder auf der Flucht zugrunde liegen können, als auch Erkrankungen, die aufgrund der geografischen Herkunft bei Migranten häufiger sind als in der einheimischen Bevölkerung, z. B. Thalassämien. Die Thematik der psychischen Erkrankungen wird von J. Schellong et al. dargestellt, genetische Erkrankungen der Blutbildung im Beitrag von B. Zur.

Unterschiede im Verständnis von Gesundheit und Krankheit sind eine kulturelle Barriere

Diese beiden Erkrankungsgruppen sind sicher nicht die einzigen, die in der nächsten Zeit in der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen und Migranten eine wichtige Rolle spielen. Nicht nur Krankheiten selbst, auch das Verständnis von Gesundheit und Krankheit ist kulturell geprägt, und Sprachschwierigkeiten erhöhen diese kulturellen Barrieren noch einmal. Hier müssen wir aufmerksam bleiben und entsprechend adäquate und niedrigschwellige Behandlungsangebote schaffen – nur so kann die Gesundheit dieser Menschen gesichert werden. Hierfür müssen wir auch eigene Regeln bzw. Leitlinien entwickeln. C. Rauscher stellt den Weg zu solchen Leitlinien am Beispiel von Publikationen der Kollegen aus den USA und Kanada dar.

Die hohe Welle von Migranten und Flüchtlingen in den letzten Monaten hat unser Gesundheitssystem überrascht und beansprucht, aber nicht überrollt. Das ist dem raschen und intensiven Einsatz von medizinischem Personal und freiwilligen Helfern zu verdanken, die die Situation meistern halfen. Diese häufig ehrenamtliche und freiwillige, aber immer still und pragmatisch geleistete Hilfe droht im medialen Echo und der politischen Debatte in den Hintergrund zu geraten. Dabei ist sie die adäquate und professionelle Antwort unserer Berufsgruppe auf die aktuelle Herausforderung.

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B. Salzberger

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S. Schellong