Unter dem Thema Notfälle in der Gastroenterologie denkt jeder primär an häufige Notfälle wie Blutungen [Ösophagus-/Fundusvarizen, Mallory-Weis-Einriss am gastroösophagealen Übergang, schwere Refluxösophagitis, peptisches NSAR- (nichtsteroidale Antirheumatika) und/oder Helicobacter-pylori-induziertes Ulkus, Darmblutungen aus Angiodysplasien, Kolondivertikelblutung], akute Sigmadivertikulitis, akute Cholezystitis und Appendizitis. Diese Liste ließe sich verlängern. Notfälle verlangen eine rasche zielgerichtete Diagnostik und interdisziplinäre Entscheidung, ob chirurgisch (z. B. Ileus, Appendizitis, Cholezystitis), interventionell endoskopisch (z. B. Ulkus- oder Varizenblutung) oder interventionell radiologisch (z. B. arterielle Blutung) vorgegangen wird. An Erkrankungen wie eine akute Porphyrie oder das familiäre Mittelmeerfieber wird wahrscheinlich zu selten gedacht und dann fälschlicherweise laparotomiert. Allein mit dem Thema Akutes Abdomen ließe sich ein Schwerpunktheft der Zeitschrift Der Internist füllen. Ziel der Herausgeber dieses Heftes ist es, Ihnen eher seltene Notfälle und ihre oft komplexe Diagnostik und Therapie vorzustellen.

Andreas Ochs aus Freiburg widmet sich der Komplexizität akuter Gefäßkomplikationen der Leber wie Budd-Chiari-Syndrom (BCS), sinusoidales Obstruktionssyndrom (SOS; früher „veno-occlusive disease“, VOD, genannt), Pfortaderthrombosen usw. Diese Komplikationen sind zwar selten, durch die Einführung des transjugulären intrahepatischen portosystemischen Shunts (TIPS) einschließlich der Möglichkeit der transjugulären Thrombolyse von portalvenösen Thrombosen wurden aber die therapeutischen Möglichkeiten bei vielen dieser Erkrankungen erheblich verbessert. Auch hier steht die Lebertransplantation (LTX) als Ultima Ratio zur Verfügung. Die Real-Time-Farbdopplersonographie verbesserte die Diagnostik für diese akuten und oft lebensbedrohlichen Krankheitsbilder in der Hand des erfahrenen Untersuchers erheblich.

Das akute Leberversagen bedarf einer umgehenden Verlegung in ein Transplantationszentrum

Das akute Leberversagen bedarf einer umgehenden Verlegung in ein Transplantationszentrum. Johannes Hadem aus Hannover stellt zusammen mit einem der beiden Herausgeber dieses Schwerpunkthefts das zeitnahe differenzialdiagnostische und therapeutische Vorgehen dar. Oft erholt sich die Leber wieder durch konservative intensivmedizinische Therapie, und eine Transplantation lässt sich vermeiden. Andererseits gilt es, den optimalen Zeitpunkt für eine solche nicht zu verpassen. Für wenige Ursachen, wie die Knollenblätterpilzvergiftung, steht eine medikamentöse Therapie zur Verfügung. Die Leberersatzverfahren bedürfen einer besonders differenzierten Betrachtung. Im vorliegenden Heft wird in einem eigenen Beitrag auch das Krankheitsbild des akuten M. Wilson mit seiner hepatischen und neurologischen Symptomatik dargestellt. Unter den Notfällen in der Gastroenterologie ist der klinisch akut verlaufende M. Wilson zwar selten, muss aber beim akuten Leberversagen differenzialdiagnostisch bedacht werden. Möglich ist neben dem Krankheitsbild des akuten Leberversagens auch das akut auf chronische („acute-on-chronic“) Leberversagen bei bekanntem M. Wilson. Dominik Huster, Wieland Hermann und Michael Bartels aus Leipzig und Zwickau stellen das oft nicht einfache diagnostische und therapeutische Vorgehen dar. Auch diese Patienten sollten umgehend in ein Lebertransplantationszentrum verlegt werden, da die orthotope Lebertransplantation of die einzige Rettung bedeutet. Akutdiagnostik und -therapie setzen große interdisziplinäre Erfahrung voraus. Denn einschleichende Therapie mit Kupferchelatoren, Dialyseverfahren, intensivmedizinische Therapie von verschiedenen Organkomplikationen, neurologische Therapie, Indikationsstellung zur „high-urgency“ (HU) Lebertransplantation können nicht nach definiertem Algorithmus ablaufen. Zu vielen therapeutischen Fragen, insbesondere der neurologischen Therapie, gibt es aufgrund der niedrigen Fallzahlen keine kontrollierten Studien.

Die akute Pankreatitis ist unverändert ein Krankheitsbild, dessen Verlauf zu Beginn schwer vorausgesagt werden kann, daher ist eine umgehende Krankenhauseinweisung Pflicht. Viele Fälle verlaufen glücklicherweise ödematös mit einer Restitutio ad integrum. Eine nekrotisierende Pankreatitis aber kann bereits innerhalb der ersten Woche nach Krankheitsbeginn aufgrund der Folgen von SIRS („systemic inflammatory response syndrome“) tödlich enden, auch im weiteren Verlauf können die Betroffen an den Folgen des Multiorganversagens auf dem Boden der Sepsis nach Infektion der Nekrosen versterben. Die neue Atlanta-Klassifikation, die wahrscheinlich in Kürze publiziert werden wird, ermöglicht eine bessere Klassifizierung der Erkrankungsverläufe. Wolfgang Huber und Roland Schmid aus München stellen diese enigmatische Erkrankung dar und betonen besonders die Schwierigkeit der adäquaten Substitution der enormen Flüssigkeitsverluste. Für den Ausschluss eines schweren Verlaufs sind einfach zu bestimmende Parameter wie Blutzucker, Hämatokrit und BUN („blood urea nitrogen“, Blut-Harnstoff-Stickstoff) oft ausreichend. Die akute nekrotisierende Pankreatitis muss intensivmedizinisch interdisziplinär behandelt werden. Zur Aufrechterhaltung der Organfunktionen ist die Therapie infizierter Nekrosen Vorraussetzung. Hier ist der „step up approach“, d. h. sonographie- oder computertomographiegesteuerte Drainage der Nekrosen und erst bei Erfolglosigkeit Operation, dem primären operativen Vorgehen überlegen. Aber auch transgastrische endoskopische Nekrosektomien sind möglich und stellen inzwischen eine wertvolle Erweiterung des Therapiespektrums dar.

Eine Thromboseprophylaxe ist auch bei bettlägerigen Patienten mit Colitis ulcerosa nötig und erhöht nicht das Blutungsrisiko

Jürgen Büning und Klaus Fellermann aus Lübeck stellen das Vorgehen bei schwerer akuter Colitis ulcerosa und M. Crohn dar. Ein nicht rechtzeitig operiertes toxisches Megakolon kann letal sein. Auch der M. Crohn kann äußerst akut mit raschem diagnostischem und therapeutischem Handlungsbedarf verlaufen. Eine hochdosierte immunsuppressive Therapie bei einer infektiösen Kolitis unter der Annahme einer Colitis ulcerosa ist ebenfalls höchst gefährlich. Es muss aber auch bei vorliegender chronisch entzündlicher Darmerkrankung (CED) an eine zusätzliche Infektion mit Zytomegalievirus oder Clostridium difficile gedacht werden. Thrombembolische Komplikationen, wie eine Lungenembolie, im Rahmen der CED werden wahrscheinlich zu selten ins Kalkül gezogen. Eine Thromboseprophylaxe ist daher auch bei bettlägerigen Patienten mit Colitis ulcerosa nötig und erhöht nicht das Blutungsrisiko.

Die Herausgeber hoffen, mit diesem Schwerpunktheft auch das Interesse der primär nicht in der Gastroenterologie spezialisierten Internisten geweckt zu haben. Insbesondere bei Noteinweisungen in Krankenhäuser der Regelversorgung ist es wichtig, zu wissen, welche Notfälle wann in ein Zentrum verlegt werden müssen. So sollte der niedergelassene Internist oder Allgemeinmediziner bei Patienten mit akutem Schub einer bekannten chronischen Pankreatitis immer eine stationäre Einweisung anstreben, da der Verlauf der Erkrankung schwer vorhergesagt werden kann.

Prof. Dr. med. Joachim Mössner

Prof. Dr. med. Michael P. Manns