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Liebe Kolleginnen,

liebe Kollegen.

„Fokus Mensch im Mittelpunkt der technisierten Medizin“ ist das Motto der diesjährigen 93. Jahresversammlung unserer Fachgesellschaft, die wir vom 25.05. bis 28.05.2022 in Hannover abhalten werden. Nach 2 Jahren Pandemie mit Ausfall der 91. Jahresversammlung und Zusammenlegung mit der 92. Jahresversammlung als rein digitale Veranstaltung ist dies wieder der erste Präsenzkongress.

Wir stehen mit der Robotik und Op.-Assistenzsystemen am Beginn einer zweiten Welle von Innovationen

Das Motto des Kongresses ist nicht zufällig gewählt. Denken wir an die zahlreichen Innovationen im Kopf-Hals-Bereich, von denen unsere Patienten enorm profitieren. Als ein Beispiel seien die Cochleaimplantate genannt. Hiermit ist es möglich, das Hörvermögen zu rehabilitieren oder im Fall von taub geborenen Kindern überhaupt ein Hörvermögen herzustellen, um eine Sprachentwicklung und somit eine normale Sozialisation zu ermöglichen. Oder denken wir an den N.-hypoglossus-Schrittmacher, der unseren Patienten mit obstruktivem Schlafapnoesyndrom (OSAS) und Maskenintoleranz bei der Therapie mittels CPAP („continuous positive airway pressure“) deutliche Linderung der Symptome bringt. Mit Mittelgesichtsimplantaten, die mittels „computer-aided design“ (CAD) gefertigt wurden, lassen sich die anatomischen Verhältnisse im Bereich des Mittelgesichts, z. B. nach Traumen oder Tumoren, wieder sehr genau rekonstruieren. Aktive Mittelohrimplantate gestatten eine Hörrehabilitation bei Patienten, die kein konventionelles Hörgerät tragen können. Es wird an Retinachips und anderen Möglichkeiten des künstlichen Sehens geforscht, womit Patienten nach einer Erblindung wieder eine gewisse Sehkraft erlangen können. Dies sind nur einige Beispiele. Hiermit ist die Entwicklung noch lange nicht beendet; im Gegenteil: Wir stehen mit der Robotik und der Einführung von Assistenzsystemen in den Op.-Sälen am Beginn einer zweiten Welle von Innovationen, von denen unsere Patienten*innen erheblich profitieren werden, die Operationen sicherer und minimal-invasiver sowie punktgenauer machen werden.

In diesem Zusammenhang soll an die enorm schnell voranschreitende Digitalisierung in der Medizin erinnert werden, die nicht nur zu einem computerisierten und digitalen OP mit Verbesserungspotenzial der Operationen und höheren Patientensicherheit führt, sondern auch Medizin-Apps umfasst, mit denen sich der Patient jederzeit informieren kann, oder digitale Register, die u. a. zur Qualitätssicherung und zur Erfassung epidemiologischer Parameter eingeführt werden. Hier ist es notwendig, entsprechende Kompetenzen sowohl den Patient*innen als auch den Ärzt*innen und anderem medizinischen Fachpersonal zu vermitteln. Die Entwicklung ist rasant und die Liste ließe sich bei Weitem verlängern.

Es sind aber nicht nur technische Innovationen, von denen die Krankenversorgung profitiert; auch die Entwicklung von Biologika haben die Kopf-Hals-Medizin in den letzten Jahren deutlich bereichert und revolutioniert. Hier sind z. B. monoklonale Antikörper zu nennen, mit denen es gelingt, gezielt in die molekularen Vorgänge bei der Polyposis nasi et sinuum einzugreifen, oder mit denen gezielt Proteine und damit ganze Signalwege im Rahmen der Tumorigenese oder der Metastasierung von malignen Tumoren blockiert werden können. Diese Substanzen werden in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu einer tiefgreifenden Wandlung der Therapie von zahlreichen Erkrankungen des Kopf-Hals-Bereichs in Kliniken und Praxen führen.

Die Beispiele zeigen aber auch, dass im Mittelpunkt aller diese Entwicklungen der Mensch steht, dessen Erkrankungen geheilt oder zumindest gelindert werden sollen. Hierbei ist aber klar, dass der Patienten bei allem technischen Fortschritt nicht nur ein technisches Objekt ist, der Arzt nicht nur Molekularbiologe oder Ingenieur. Der Arzt mit seiner Erfahrung, seinem Können und seiner Empathie wird auch weiterhin die zentrale Anlaufstelle für den Patienten bleiben und die Bezugsperson für den Patienten in allen Gesundheitsfragen. Hiermit schließt sich der Kreis mit dem Motto des diesjährigen Jahreskongresses: der Mensch steht im Mittelpunkt der Medizin – nicht nur aus Arzt-, sondern auch aus Patientensicht.

Es wird verkannt, dass Medizin nicht rein ökonomisch zu sehen ist

Dabei dürfen wir nicht verkennen: Medizinischer Fortschritt ist nicht zum Nulltarif zu haben. Medizinischer Fortschritt lebt von der interinstitutionellen Kooperation und vom interdisziplinären Informations- und Erfahrungsaustausch – häufig über Landes- und Kontinentgrenzen hinweg. Medizinischer Fortschritt ist dann auch oft kostenintensiv, denken wir allein an die Entwicklungskosten neuer Medikamente oder neuer Bioimplantate. Heutige gesundheitspolitische Diskussionen sehen in Patienten meist einen Kostenfaktor, im Arzt einen Kostenverursacher. Hierbei wird verkannt, dass Medizin nicht rein ökonomisch zu sehen ist. Die Rehabilitation einer Behinderung oder das Kurieren einer andernfalls chronisch verlaufenden Erkrankung oder eines Tumors ist nicht oder nur extrem schwer zu taxieren. Somit muss moderne Gesundheitspolitik in einer humanen Gesellschaft auch immer den einzelnen Menschen, den betroffenen Patienten, in den Mittelpunkt der Diskussionen stellen.

In dem vorliegenden Kongress-Heft der HNO werden einige Themen aufgegriffen, die im Rahmen des Kongresses diskutiert werden und ein wenig den „Randbereich“ unseres Fachs repräsentieren. Sie zeigen, wie interdisziplinär unser Fach ist. Russell und Orloff geben einen Überblick über die Zukunft der Sonographie, Müller und Bleier stellen die moderne endoskopische Orbitachirurgie vor. Das auch für HNO-Ärzte wichtige Thema der Schädel- und Schädelbasisverletzungen bei Kindern wird von Konrad et al. im Rahmen einer Auswertung der Daten von 224 Kindern und Jugendlichen beschrieben. Ein bisher nur unzureichend beachtetes Thema im Rahmen der Bioimplantate sind potenzielle allergische Reaktionen auf das Implantatmaterial, was vom Klimek in seinen klinischen und therapeutischen Konsequenzen dargelegt wird. Nagel et al. geben einen Ausblick auf die robotergestützte Tumorchirurgie und gehen der Frage nach, ob die Patienten hiervon im Vergleich zur konventionellen Lasermikrochirurgie profitieren. Extrakranielle Gefäßmalformationen bedürfen einer interdisziplinären Diagnostik und Therapie, wie von Geisthoff et al. beschrieben. Letztlich stellen Steinke et al. die Ergebnisse der Vagusnervstimulatorimplantation bei Kindern mit therapierefraktärer Epilepsie vor. Hier ist der HNO-Chirurg Dienstleister für den Epileptologen, indem er die entsprechende Operation durchführt.

Ich hoffe, wir konnten Ihr Interesse an unserem Jahreskongress mit Durchsicht dieses Kongresshefts nochmals erhöhen, und freue mich, Sie in Hannover begrüßen zu können.

Bis dahin verbleibe ich mit herzlichen Grüßen

Prof. Dr. Dr. H.-J. Welkoborsky

Präsident der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie (DGHNO-KHC)