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Prof. Dr. med. Joachim Heermann

Am 20.07.2018 ist Herr Prof. Dr. med. Joachim Heermann nach langer Krankheit im Kreise seiner großen Familie in Essen verstorben. Mit Joachim Heermann verliert die HNO-Gesellschaft eine außergewöhnliche Persönlichkeit, einen Pionier der Mikrochirurgie des Ohrs und der Nase und einen menschlichen innovativen Geist.

Joachim Heermann wurde als erstes von 6 Kindern am 30.05.1930 in Dülmen geboren. Nach dem Abitur in Essen studierte er ab 1951 Medizin in München, Innsbruck, Grenoble und Freiburg, wo er 1956 mit der Arbeit „Vergleichende sprachaudiometrische Messungen über Kopfhörer und Lautsprecher bei Normal- und Schwerhörigen“ bei Karl-Heinz Hahlbrock promovierte. Seine Weiterbildung zum Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde absolvierte er bei seinem Vater Hans Heermann in Essen, bei Harold Schuknecht in Detroit sowie Georges und Michel Portmann in Bordeaux. Die plastische Chirurgie erlernte er bei Linden A. Peer in Newark (NJ/USA) und Eduard Schmid in Stuttgart.

Joachim Heermann entstammt einer „HNO-Familie“. Bereits sein Großvater San.-Rat. Dr. Josef Heermann und sein Vater Prof. Dr. Hans Heermann leiteten die HNO-Abteilung an den Kruppschen Krankenanstalten in Essen, anfangs analog zu einer Belegabteilung, später als Klinik. Als Nachfolger seines Vaters und seines Großvaters leitete er als Chefarzt die HNO-Klinik des Alfried Krupp Krankenhauses, wie es sich seit 1980 nennt, von 1968 bis 1996.

Die 1960er-Jahre waren eine Zeit großer Innovationen und Dynamik in der Chirurgie des Ohres und der Nase, und Joachim Heermann war eine prägende Instanz dieser Zeit. Zusammen mit seinem Vater veröffentlichte er bereits 1964 ein Buch (Endaural Surgery, Urban & Schwarzenberg, München, Berlin) über die endaurale Mittelohrchirurgie, die damals einen innovativen Zugangsweg darstellte. Auch heute noch wird die endaurale Inzision international als „Heermann-Inzision“ bezeichnet. Ebenfalls in diese Zeit fällt die Etablierung der Verwendung von Knorpel in der Ohrchirurgie, in anderen Zentren als Ossikelersatz, durch Heermann erstmals in Form von „Palisaden“ auch zur Trommelfellrekonstruktion. Heermann hat diese in zahlreichen Publikationen, Kongressbeiträgen und Vorträgen vorgestellt. Wurde er anfangs von manchen Ohrchirurgen für die in ihren Augen „merkwürdige“ Technik belächelt, so ist die Verwendung von Knorpel-Perichondrium heute und seit Jahren international anerkannt und die „Heermann-“ oder „Palisadentechnik“ eine der Standardmethoden in der Ohrchirurgie.

Der zunehmende Bekanntheitsgrad seiner ohrchirurgischen Expertise führte zu überregionalen Patientenzuweisungen und Hospitationen zahlreicher Kollegen (in der Tat waren es in jener Zeit ausschließlich Kollegen und keine Kolleginnen), darunter Wullstein (Würzburg), Plester (Tübingen), Messerklinger (Graz) usw. Weitere Besonderheiten seiner ohrchirurgischen Schule waren die halbsitzende (Fowler‑)Lagerung der Patienten, die der Zeit der Lokalanästhesie und Operation der Patienten „im Stuhl“ entstammte. Diese Lagerung behielt er auch nach Einführung der Allgemeinanästhesie bei. Sie führte ebenso wie die von ihm auch für die Rhinochirurgie propagierte kontrollierte arterielle Hypotension zu einer Blutarmut des Op.-Situs und damit hoher Präzision.

Sein kreativer, innovativer Geist gab auch der Rhinologie entscheidende Impulse. Die Erfahrungen der mikroskopischen Technik in der Otochirurgie übertrug er auf die Chirurgie der Nasennebenhöhlen, während andernorts noch die Stirnlampe Verwendung fand. Ein weiterer Schwerpunkt seiner rhinochirurgischen Arbeit war die Weiterentwicklung der endonasalen Tränenwegs-Op. nach West, die bereits von seinem Großvater erfolgreich ausgeführt wurde; er propagierte diese als funktionelle und „minimalinvasive“ Alternative zur externen Methode nach Toti. Joachim Heermann veröffentlichte 183 wissenschaftliche Arbeiten, davon 3 Buchveröffentlichungen. Er war Mitglied der französischen und österreichischen HNO-Gesellschaft.

Folgerichtig wurde ihm 1989 für seine Verdienste in der Mikrochirurgie von Ohr und Nase von der Ministerin für Wissenschaft und Forschung des Landes NRW, Anke Brunn, der Professorentitel verliehen.

Auch in anderen Bereichen setzte er Standards: Qualitäts- und Verlaufskontrollen bei der Tumortherapie in Form von „Tumorbüchern“, aber auch durch Organisationshandbücher für die Klinikabläufe. Nachbeobachtungen und audiometrische Erfassungen der Hörergebnisse nach Tympanoplastiken, oft über Jahrzehnte, ermöglichten die Entwicklung eines hochstehenden, nachhaltigen Qualitätsstandards in der Otorhinolaryngologie.

Im Laufe seiner Tätigkeit als Chefarzt bildete er 25 Fachärzte aus, so auch seinen ältesten Sohn Prof. Dr. med. Ralf Heermann zu Beginn von dessen HNO-Facharztausbildung. Eine Assistentenstelle bei Joachim Heermann war begehrt, die Bewerbungen zahlreich. Jeder Bewerber wusste, was am Ende eines Vorstellungs-Hospitationstags wartete: Die legendäre Hammerprobe. Statt langer Gespräche forderte Heermann die Bewerber auf, eine oder mehrere Stecknadeln in einen Hartholzblock zu hämmern. Natürlich gelang das nie, aber es verriet die manuelle Geschicklichkeit und die Herangehensweise an Stresssituationen. Entscheidungen über Neueinstellungen fällte er im Konsens mit dem ganzen Team. Mit seinem liberalen Führungsstil war er nicht nur der Tradition verpflichtet, sondern bezüglich Mitarbeiterführung seiner Zeit weit voraus.

Die Förderung von Nachwuchs und Innovationen findet besonderen Ausdruck durch die Auslobung des Hofmann- und Heermann-Preises. Friedrich Hofmann erfand 1841 den Ohrenspiegel. Hans Heermann hat 1975 mit einer Schenkung den Anstoß zur Schaffung des Friedrich-Hofmann-Preises gegeben, Joachim Heermann hat 1995 diesen Preis durch eine großzügige Spende auf eine gesicherte finanzielle Grundlage gestellt, der nun als Hofmann- und Heermann-Preis von der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie an besondere Persönlichkeiten und Vorbilder des Fachs verliehen wird.

Eine derart facettenreiche Persönlichkeit wie Joachim Heermann in einem kurzen Nachruf darzustellen, kann nicht gelingen. Er vermochte es, über die beruflichen und fachlichen Begegnungen hinaus Menschen zusammenzubringen, zu begeistern und zu fördern, mit ihnen Sport zu treiben, zu reisen und zu lachen. Die Jahre nach seiner aktiven beruflichen Tätigkeit widmete er ganz seiner großen Familie. Er hinterlässt seine Ehefrau, 3 Kinder, 7 Enkel und einen Urenkel. Ihnen gilt unser Mitgefühl.

Dr. Winfried Hohenhorst, Essen

Prof. Dr. Andreas Neumann, Neuss