Hörstörungen sind eine der häufigsten Erkrankungen, welche die individuelle Lebensqualität stark beeinträchtigen, indem sie die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben erschweren. In Deutschland gibt es schätzungsweise 13–14 Mio. Betroffene [1], darunter etwa 2 Mio., die an einer hochgradigen Schwerhörigkeit leiden [2].

Vielen schwerhörigen und ertaubten Menschen kann geholfen werden durch Techniken, etwa durch ein wie dem Cochleaimplantat (CI), und so besseres Hören ermöglicht werden. Was die Hörleistung und die subjektive Zufriedenheit mit dem CI betrifft finden sich erhebliche Unterschiede zwischen den CI-Trägern. Dies hängt u. a. von Ertaubungsdauer und dem Zeitpunkt der Implantation ab. Bei postlingual ertaubten Erwachsenen kann in den meisten Fällen ein gutes Sprachverstehen in ruhiger Umgebung erreicht werden [3], auch wenn CI-Träger, die vor der Schwerhörigkeit normal gehört haben, von den Wahrnehmungen über das CI oft überrascht sind, teilweise enttäuscht, und eine Gewöhnungsphase an das „neue“ Hören benötigen [4].

Insbesondere die Wahrnehmung von Musik gestaltet sich oft als schwierig für CI-Träger. Musikalische Reize sind nicht mehr so angenehm wie früher, was zu Frustration und einer Vermeidung von Musik führen kann [3, 5, 6]. Ebenso ist die Fähigkeit, den emotionalen Ausdruck in der Stimme zu erfassen und die Sprachmelodie zu erkennen, bei CI-Trägern im Vergleich zu Normalhörenden beeinträchtigt [79].

Trotz der Schwierigkeiten in der Musikwahrnehmung bei CI-Trägern sind Einsatz und Evaluation musiktherapeutischer Interventionen bei Erwachsenen wenig verbreitet [10]. Studien zum Effekt von Musiktherapie befassen sich oft mit CI-versorgten Kindern (z. B [4, 1113]) oder beschränken sich auf Trainings einzelner musikalischer Parameter, wie Tonhöhe, Melodie oder Klangfarbe (z. B.[1417]). Diese Studien zeigen, dass Musiktrainings Verbesserungen in der Hörleistung von CI-Trägern nach sich ziehen können, außerdem lässt sich wohl auch der Bereich der Sprachwahrnehmung fördern ([16, 18, 19]). Aufgrund dieser Annahme und der oft berichteten Schwierigkeiten von erwachsenen CI-Trägern im Musikbereich sind in den letzten Jahren mehr Therapieansätze und Forschungsvorhaben zu finden, die über das Training einzelner musikalischer Parameter hinausgehen [1921]. In Heidelberg wurde am Deutschen Zentrum für Musiktherapieforschung in Kooperation mit der HNO-Universitätsklinik ein Musiktherapiekonzept entwickelt, das sich an erwachsene CI-Träger zeitnah nach der Erstanpassung des Sprachprozessors richtet und ein gezieltes und individuell angepasstes Training im Musikbereich zusätzlich zu anderen Leistungen der ambulanten Rehabilitation bietet.

Ziele der hier vorgestellten Studie sind die Präsentation des Therapiekonzepts, die Erfassung von musikalischen Fähigkeiten bei CI-Trägern im Vergleich zu einer normalhörenden Kontrollgruppe und die Überprüfung der Wirkung der Therapie auf die Klang- und Musikwahrnehmung mit dem CI.

Das Heidelberger Musiktherapiekonzept bei CI-Trägern

Theoretischer Hintergrund

Grundlage des Heidelberger Musiktherapiekonzepts bildet die Parallelität von Parametern der Sprache und der Musik. Das gezielte Training mithilfe musikalischer Parameter, wie Rhythmus, Tonhöhe und Klangfarbe, kann aufgrund dieser Parallelität Auswirkungen haben auf die Fähigkeit zur Sprachwahrnehmung [16, 18]. In der Musiktherapie werden Situationen wie das Hören von Musik, das Erkennen der Sprachprosodie (z. B. Melodie im Satz, Rhythmus und Betonung) sowie Sprache bei Hintergrundgeräuschen, die sich für CI-Implantierte häufig als unangenehm oder stark problembehaftet erweisen, auf eher spielerische Art trainiert. Den therapeutischen Ausgangspunkt hierzu bildet der in der Musiktherapie eingesetzte „frühe“ vorsprachliche Dialog. Dieses Prinzip wird auf das Hören Lernen im Erwachsenenalter übertragen, sodass die Sprachwahrnehmung sozusagen auch indirekt und auf spielerischem Weg über musikalische Komponente und Laute angebahnt wird. Ziel ist es, die Kompensationsarbeit zu fördern, die primäre und sekundäre Hör- und Assoziationsareale im Gehirn zur Wahrnehmung der neuen Höreindrücke leisten müssen. Somit soll die Entwicklung neuronaler Verknüpfungen und Plastizität durch die Musiktherapie angeregt werden [22, 23].

Neben dem Ziel, Fortschritte in der Hörentwicklung zu erreichen, wird durch ein vom Therapeuten unterstütztes und individuell angepasstes Herangehen an einen problembehafteten Bereich der Hörwahrnehmung versucht, möglichen Frustrationen früh entgegenzuwirken und die Motivation am Hören lernen, die Akzeptanz der neuen Höreindrücke und das Vertrauen in die eigene Hörwahrnehmungen zu fördern. Positive Erfahrungen im Bereich der Musik und eine intensive, konzentrierte Arbeit an musikalischen Höreindrücken sollen es den CI-Trägern ermöglichen, mehr Selbstvertrauen zu gewinnen und eine Teilhabe an gesellschaftlichen Ereignissen zu verbessern.

Aufbau

Das Heidelberger Musiktherapiekonzept für CI-Träger umfasst in der Regel 10 Einzelsitzungen von je 50 min in wöchentlichem Abstand. Das Musiktherapiekonzept ist in 5 Module unterteilt, die jeweils ein bestimmtes therapeutisches Ziel verfolgen. Jedes Modul beinhaltet verschiedene Übungen. In Tab. 1 sind die einzelnen Module aufgeführt, die Ziele genannt und Beispiele für Übungen angegeben. Der Aufbau des Therapieverfahrens wurde im Rahmen einer Pilotstudie entwickelt [24].

Tab. 1 Heidelberger Musiktherapie – Module, Therapieziele und Übungen

Die Module kommen nicht strikt nacheinander zum Einsatz. Grundsätzlich dient die Reihenfolge der Module gemäß der Tabelle als Orientierung. Der Beginn der Therapie und die einzelnen Inhalte werden auf die in der Diagnostik festgestellten Stärken, Bedürfnisse und Problembereiche des CI-Trägers abgestimmt. Die zu den Modulen gehörenden Übungen können vom Therapeuten individuell für den Patienten ausgewählt werden. Bei einseitig implantierten CI-Trägern werden die Übungen meist in unilateraler Präsentation (d. h. nur CI) durchgeführt. Um eine stabile Beziehung zwischen CI-Träger und Therapeut zu ermöglichen, wird jeder CI-Träger prinzipiell über die Therapiestunden hinweg von dem gleichen Therapeuten betreut.

Methodik

Studiendesign

Insgesamt wurden im Zeitraum von Januar 2014 bis März 2016 30 CI-Träger in die Studie aufgenommen und in 2 Gruppen eingeteilt: Die Therapiegruppe (n = 15) erhielt zusätzlich zur Regelversorgung nach der CI-Implantation 10 Musiktherapiestunden in wöchentlichem Abstand. Die psychologische und musikalische Diagnostik fand vor und nach der musiktherapeutischen Behandlung statt. In der Wartegruppe (n = 15) erfolgte nach dem ersten Diagnostiktermin eine Wartezeit mit Regelversorgung ohne Musiktherapie, bevor in zur Therapiegruppe vergleichbarem Zeitabstand der zweite Diagnostiktermin durchgeführt wurde. Die Zuordnung zu Therapie- und Wartegruppe erfolgte weitgehend randomisiert, wobei sich aus organisatorischen Gründen auf Seiten der CI-Träger Ausnahmen von der Randomisierung nicht vermeiden ließen.

Als Kontrollgruppe durchliefen 55 normalhörende Probanden die für CI-Träger entwickelte musikpsychologische Diagnostik als Kontrollgruppe.

Probanden

An der Studie teilnehmen konnten erwachsene CI-Träger, die postlingual (Muttersprache Deutsch in der Kindheit erworben) ertaubt und einseitig implantiert waren und sich in der frühen Rehabilitationsphase befanden. Die Erstanpassung des Sprachprozessors musste abgeschlossen sein, sollte aber nicht länger als 6 Monate zurückliegen.

Diagnostische Methoden

Fragebogenerhebungen

Hearing Implant Sound Quality Index (HISQUI) –Erfassung der subjektiven Klangqualität.

Der HISQUI [25] besteht aus 29 Items und erfasst verschiedene Bereiche zur Klang- und Geräuschwahrnehmung in Alltagssituationen. Die CI-Träger werden aufgefordert, die Häufigkeit einzuschätzen, in der sie bestimmte Geräusche, Stimmen oder Elemente von Musik gut wahrnehmen können.

Die Skalierung erfolgt auf einer 7‑stufigen Likert-Skala (immer [99 %] – fast immer [87 %] – häufig [75 %] – meistens [50 %] – gelegentlich [25 %] – selten [12 %] – nie [1 %]) sowie der Zusatzkategorie N/A („nicht anwendbar“), wenn eine bestimmte Aussage nicht zutrifft, wenn beispielsweise die erfragte Situation noch nie mit dem CI erlebt wurde.

Der Gesamtwert aus den ersten 29 Items liegt zwischen 29 und 203 Punkten, dabei entspricht eine größere Punktzahl einer besseren subjektiven Klangqualität.

Die Punktwerte des HISQUI können in 5 Kategorien unterteilt werden, die Auskunft über die Klangqualität geben (<60: sehr schlechte Klangqualität, 60–90: schlechte Klangqualität; 90–120: mittelmäßige Klangqualität; 120–150: gute Klangqualität; >150: sehr gute Klangqualität).

Da der HISQUI in dieser Untersuchung frühzeitig nach der Erstanpassung des Sprachprozessors eingesetzt wurde, wurde zur Auswertung neben dem Gesamtwert zusätzlich der durchschnittliche Wert der Antworten, bei denen den CI-Trägern eine Einschätzung möglich war, herangezogen.

Fragebogen zu musikalischen Erfahrungen.

Um den möglichen Einfluss der individuellen Musikhörgewohnheiten neben Effekten der Musiktherapie auf die erhobenen musikalischen Fähigkeiten zu erfassen wurde ein Fragebogen zu Erfahrungen mit Musik (musikalische Aktivität vor der Hörminderung eingesetzt: Häufigkeit des Musikhörens vor der Hörminderung und nach der CI-Implantation in Stunden pro Woche).

Musikalische Testdiagnostik

Um das musikalische Hörvermögen der CI-Träger zu untersuchen wurden den Probanden verschiedene Höraufgaben gestellt. Beim Erstellen des Tests galten als Orientierung Testverfahren zur Musikwahrnehmung bei CI-Trägern wie des AMICI (Appreciation of Music in Cochlear Implantees; [26]), des MBEA (Montreal Battery for Evaluation of Amusia; [27]), des MCI (Melodic Contour Identification; [28]) oder der CAMP (Clinical Assessment of Music Perception; [29]). Die speziell für die Studie entwickelten Tests umfassen die Kategorien „Tonhöhendiskrimination“ (als 24 feste Aufgaben und als adaptiver Test in drei verschiedenen Tonlagen), die „Melodieerkennung“ (6 Aufgaben) sowie die „Klangfarbenerkennung“ (8 Aufgaben).

Die Testdurchführung erfolgte durch eine Diplom-Psychologin mit musiktherapeutischem Hintergrund.

Erfasst wurde die Leistung bei den CI-Trägern sowohl in bilateraler Präsentation (CI-Ohr und kontralaterales, nichtimplantiertes Ohr) als auch in unilateraler Aufgabenbearbeitung (nur CI-Ohr unter Abdichtung des kontralateralen Ohres mit Ohropax® [Ohropax, Wehrheim, Deutschland] und Implementierung eines lauten Rauschens über einen einseitigen Kopfhörer unabhängig vom Ausmaß des Restgehörs).

„Tonhöhendiskrimination“.

Im Untertest „Tonhöhendiskrimination“ wurden 2 Töne am Klavier unterschiedlicher Tonhöhe aufeinander folgend vorgespielt, wobei eingeschätzt werden sollte, ob der zweite Ton höher oder tiefer war als der erste. Wenn die Probanden keinen Unterschied wahrnahmen, konnten sie angeben, dass die Töne für sie gleich klingen. Präsentiert wurden Intervalle von über einer Oktave bis zur kleinen Sekunde in 24 festen Aufgaben. Die Aufgaben befanden sich zu gleichen Teilen in einer mittleren (C4 bis F5; Grundfrequenz: 262–698 Hz), einer hohen (G5 bis H6; Grundfrequenz: 784–1980 Hz) und einer tiefen Tonlage (D2 bis H3; Grundfrequenz: 73–247 Hz).

Untertest feste Aufgaben (24 Standardintervalle). Präsentiert wurden 24 feste Aufgaben. In jeder Tonlage wurden je eine Aufgabe mit einem Intervall größer als eine Oktave, einer Sexte oder Septime, einer Quinte, einer Quarte, einer großen und kleinen Terz und einer großen und kleinen Sekunde gestellt.

Adaptiver Test. Zu folgenden Intervallen wurde in jeder der oben genannten Tonlage ein adaptives Testverfahren angewandt: große None (14 Halbtöne), große Septime (11 Halbtöne), große Sexte (9 Halbtöne), Quinte (7 Halbtöne), Quarte (5 Halbtöne), große (4 Halbtöne) und kleine (3 Halbtöne) Terz, große (2 Halbtöne) und kleine (1 Halbton) Sekunde. Begonnen wurde mit dem größten Intervall. Bei 2 richtigen Antworten wurden Aufgaben des nächstkleineren Intervalls gestellt. Wurde bei insgesamt 6 Aufgaben eines Intervalls nur die Ratewahrscheinlichkeit oder weniger erreicht, wurden dieses Intervall als nicht gelöst betrachtet und die Aufgaben in kleineren Intervallen nicht weiter fortgeführt.

„Melodieerkennung“.

Bekannte Melodien von Volks- und Kinderliedern, die ohne Text einstimmig auf dem Klavier gespielt wurden, mussten von den Probanden erkannt werden. Sechs Lieder wurden als Tonfolge ohne Rhythmus präsentiert. Als erkannt wurde gewertet, wenn die Person den Namen des Liedes kannte oder die Melodie frei nachsummen konnte. Vor Beginn der Aufgaben wurde den Probanden eine Liste von Liedern gezeigt, die gespielt werden konnten.

„Klangfarbenerkennung“.

Acht Musikstücke unterschiedlicher Musikstile wurden von CD über Lautsprecher präsentiert. Die Musikstücke wurden entweder von einem einzelnen, von mehreren Instrumenten einer Kategorie oder einem Soloinstrument mit Begleitung anderer Instrumente dargeboten. Aufgabe war es zu erkennen, um welches Instrument bzw. um welche Instrumentengruppe es sich beim Hauptinstrument handelte (Kategorien: Streichinstrument, Holzblasinstrument, Blechblasinstrument, Tasteninstrument, Schlaginstrument, Zupfinstrument). Verwechslungen innerhalb einer Instrumentalgruppe wie zum Beispiel Posaune anstatt Trompete wurden nicht als Fehler gewertet.

Statistische Analyse

Statistische Analysen wurden mithilfe des Programms IBM SPSS 22 durchgeführt. Verwendet wurden Varianzanalyse mit Messwiederholungen sowie post-hoc t‑Tests für abhängige bzw. unabhängige Stichproben. Als Korrelationskoeffizient wurde der Koeffizient nach Pearson berechnet. Non-parametrische Datenverteilungen wurden mittels χ2-Test verglichen. Das Signifikanzniveau wurde bei p < 0,05 festgelegt.

Ergebnisse

Probanden

Die Patientencharakteristik und ein Überblick über die wesentlichen Merkmale der untersuchten Gruppen sind in Tab. 2 zusammengefasst.

Tab. 2 Vergleich der Charakteristika von Therapie- und Wartegruppe

Das Alter der CI-Träger reichte von 34–71 Jahren (Mittelwert, MW = 54,6; Standardabweichung, SD = 8,6), das Alter der Kontrollgruppe lag zwischen 19 und 76 Jahren (MW = 51,0; SD = 11,5). Das durchschnittliche Alter der Probanden in Therapie-, Warte- und Kontrollgruppe unterschied sich nicht signifikant.

In Bezug auf die Ertaubungsdauer vor der CI-Implantation ergab sich eine durchschnittlich längere Ertaubungsdauer in der Therapiegruppe als in der Wartegruppe. Kontralateral zur CI-versorgten Seite trugen aufgrund von Hörverlust in der Therapiegruppe 53,3 % der Personen permanent ein Hörgerät, in der Wartegruppe 73,3 %. Als Gründe für die Ertaubung wurden von den Probanden Hörstürze (26,7 %), progredienter Hörverlust (20 %), Tumorerkrankungen (13,3 %), Otosklerose (10 %) und andere (z. B. Morbus Menière, unbekannte Ätiologie).

Die musikalische Aktivität vor der Hörminderung (erlerntes Musikinstrument) war in beiden Gruppen der CI-Träger gleich verteilt, ebenso war die Häufigkeit des Musikhörens vor der Hörminderung und seit der CI-Versorgung in beiden Gruppen ähnlich.

Hearing Implant Sound Quality Index (HISQUI)

Die Ergebnisse des HISQUI zeigten sowohl in den absoluten Werten (Tab. 3) als auch bei der Einteilung in 5 Klangkategorien (von sehr schlechter bis sehr guter Klangqualität, Abb. 1) in beiden Gruppen eine deutliche Verschiebung zur besseren Klangqualität. Es zeigte sich sowohl in Therapie- als auch Wartegruppe eine statistisch signifikante Verbesserung der Klangqualität. Insgesamt erreichten die Probanden der Wartegruppe durchwegs eine höhere Klangqualitätseinstufung (χ2 = 38,47, p < 0,001). In der Auswertung des Durchschnittswerts bei den beantworteten Fragen zeigte sich hingegen ein signifikanter Zuwachs der Klangqualität lediglich in der Therapiegruppe (vgl. auch Abb. 2). Die Werte und berechneten Statistiken sind in Tab. 3 zusammengefasst.

Tab. 3 HISQUI-Werte vor und nach der Therapie, Statistik für abhängige Stichproben
Abb. 1
figure 1

HISQUI-Kategorien der Klangqualität im Vergleich

Abb. 2
figure 2

Veränderung der durchschnittlichen Antwort im HISQUI in der Therapie- und Wartegruppe

Zwischen der Häufigkeit des Musikhörens nach der CI-Versorgung mit den Werten im HISQUI zum zweiten Testzeitpunkt wurden keine signifikanten Korrelationen gefunden. Signifikante Korrelationen der Werte im HISQUI ergaben sich mit der Ertaubungsdauer vor der CI-Versorgung (Tab. 4): Je länger eine Person ertaubt war, desto schlechter war die subjektive Klangqualität mit dem CI. Während im Gesamtwert zum ersten und zweiten Testzeitpunkt signifikante Korrelationen mit der Ertaubungsdauer gefunden wurden, verringerte sich der Zusammenhang beim Durchschnittswert der beantworteten Fragen mit der Ertaubungsdauer zum zweiten Testzeitpunkt.

Tab. 4 Zusammenhang von subjektiver Klangqualität (HISQUI) und Ertaubungsdauer (Korrelationskoeffizient nach Pearson)

Musikalische Testdiagnostik

Vergleich CI-Träger und Normalhörende

Um das grundlegende Niveau zu erfassen, in dem CI-Träger Aufgaben im musikalischen Bereich bearbeiten, wurden die Ergebnisse im ersten Testdurchgang mit der Leistung einer normalhörenden Kontrollgruppe verglichen. Die Fähigkeiten unterschieden sich meist signifikant zwischen CI-Trägern und Kontrollprobanden. Die Leistungen der CI-Träger waren in allen Untertests zur Tonhöhendiskrimination, zur Melodieerkennung und zur Klangfarbenerkennung deutlich beeinträchtigt, wenn die Aufgaben nur mit dem CI-Ohr bearbeitet wurden. Auch in bilateraler Präsentation der Aufgaben erreichten die CI-Träger durchwegs weniger gute Leistungen als die Kontrollprobanden, diese waren jedoch in den Aufgaben zur Tonhöhendiskrimination weniger ausgeprägt und erreichten hier keine statistische Signifikanz. In Tab. 5 werden die genauen Werte und Statistiken zusammengefasst.

Tab. 5 Ergebnisse in den Musiktests bei Kontrollprobanden und CI-Trägern

Entwicklung der Leistungen in den Musiktests bei CI-Trägern

Um mögliche Veränderungen der Hörleistungen im musikalischen Bereich bei den CI-Trägern durch musiktherapeutische Behandlung zu untersuchen wurden die Testergebnisse in der Therapie- und Wartegruppe über die Zeit hinweg vom ersten zum zweiten Diagnostiktermin untersucht.

Bei bilateraler Aufgabenpräsentation wurden bis auf eine signifikante Verbesserung im Melodieerkennen über die Zeit in beiden Gruppen (CI-Träger mit und ohne Musiktherapie) keine signifikanten Veränderungen gefunden. In unilateraler Aufgabenbearbeitung (nur CI-Ohr) zeigte sich eine Verbesserung vom ersten zum zweiten Testzeitpunkt in beiden Gruppen im Untertest der Tonhöhendiskrimination in mittlerer Lage, was die Unterscheidung von Intervallen betraf, und im Erkennen von Melodien.

Spezifische Therapieeffekte zeigten sich in der Tonhöhendiskrimination bei festen Aufgaben, in der Tonhöhendiskrimination von Intervallen in hoher Tonlage, in der Tonhöhendiskrimination von Intervallen in der tiefen Tonlage und in der Klangfarbenerkennung. Beim Vergleich von Therapie- und Wartegruppe zeigte sich, dass sich die Therapiegruppe zum ersten Testzeitpunkt in der Tonhöhendiskrimination von Intervallen in hoher Tonlage auf einem signifikant niedrigerem Leistungsniveau befand (t-Test für unabhängige Stichproben: t = 2,78; p = 0,01). Zum zweiten Testzeitpunkt war die Leistung innerhalb der Therapiegruppe in der Klangfarbenerkennung besser als in der Wartegruppe (t-Test für unabhängige Stichproben: t = 2,11; p = 0,044).

Tab. 6 gibt einen Überblick über die Ergebnisse in den einzelnen Testaufgaben und die gerechnete Statistik. In den Abb. 3 und 4 werden die Testergebnisse in allen Studiengruppen veranschaulicht dargestellt.

Tab. 6 Ergebnisse in den Musiktests bei den CI-Träger in bilateraler und unilateraler (nur CI-Seite) Aufgabenpräsentation und zum ersten (prä) und zweiten (post) Testzeitpunkt
Abb. 3
figure 3

Ergebnisse im adaptiver Test zur Tonhöhendiskrimination in Therapie-, Warte- und Kontrollgruppe (*p ≤0,05)

Abb. 4
figure 4

Überblick über die Ergebnisse in den musikalischen Tests

Musiktests – Zusammenhang mit Häufigkeit von Musikhören und Ertaubungsdauer

Die Leistungen in den musikalischen Tests nach der Musiktherapie oder der Wartezeit korrelierten nicht mit der Häufigkeit, seit der CI-Versorgung außerhalb der Musiktherapie Musik zu hören. Während in bilateraler Präsentation der Aufgaben kein Zusammenhang der Leistung mit der Ertaubungsdauer gefunden wurde, waren in unilateraler Aufgabenbearbeitung zum ersten Zeitpunkt die Leistungen in der Tonhöhendiskrimination in hoher und tiefer Lage sowie in der Klangfarbenerkennung bei kürzerer Ertaubungsdauer besser als bei längere Ertaubungsdauer. Zum zweiten Testzeitpunkt ging eine kürzere Ertaubungsdauer nur noch mit besseren Leistungen in der Tonhöhendiskrimination in tiefer Lage einher. Die Zusammenhänge sind in Tab. 7 aufgeführt.

Tab. 7 Statistisch signifikante Korrelationen von musikalischen Tests und Ertaubungsdauer

Diskussion

Die Studie befasste sich mit der Wahrnehmung der musikalischen Parameter Tonhöhe, Melodie und Klangfarbe sowie mit der subjektiven Klangqualität des CI bei erwachsenen CI-Trägern. Einseitig implantierte CI-Träger wurden etwa 4 Monate nach der ersten Aktivierung des Sprachprozessors untersucht und in ihrer Leistung im musikalischen Bereich mit einer normalhörenden Kontrollgruppe verglichen. Die Wirksamkeit eines für CI-Träger entwickelten Musiktherapiekonzepts wurde untersucht durch eine zweite Erhebung nach Abschluss von 10 Musiktherapieeinheiten im Vergleich zu einer Wartegruppe von CI-Trägern, die zwischen den Erhebungen lediglich die Regelversorgung erhielten.

Wie erwartet fand sich grundsätzlich eine beeinträchtigte Hörleistung in musikalischen Tests der Tonhöhendiskrimination, Melodieerkennung und Klangfarbe bei den CI-Trägern etwa 4 Monate nach der Erstanpassung des Sprachprozessors gegenüber einer normalhörenden Kontrollgruppe. Dies bestätigt die Ergebnisse in anderen Studien zur Musikwahrnehmung, die durchwegs große Unterschiede zwischen CI-Trägern und Normalhörenden zeigen [27, 30, 31]. Die musikalische Testdiagnostik wurde in dieser Studie in 2 unterschiedlichen Bedingungen durchgeführt, bilateral (mit variablem Resthörvermögen kontralateral zum CI) und unilateral (nur CI-Ohr). In unilateraler Aufgabenpräsentation war die Beeinträchtigung in den musikalischen Tests besonders stark ausgeprägt. Für musikbezogene Aufgaben stellt das bimodale Hören demnach eine große Erleichterung für die einseitig implantierten CI-Träger dar. Auch in einer kürzlich veröffentlichten Studie [32] wird bei bimodalem Hören dem CI der Hauptbeitrag für das Sprachverstehen und dem kontralateralen Ohr für das Musikhören zugeschrieben. Die Klangfarbenerkennung scheint für CI-Träger besonders schwierig zu sein, da hier die CI-Träger sowohl uni- als auch bilateral deutlich schlechtere Werte als die normalhörende Kontrollgruppe erreichten.

Die Leistungen der CI-Träger in den untersuchten musikalischen Bereichen Tonhöhe, Melodie und Klangfarbe lagen in Vergleich zu anderen Studien mit CI-Trägern auf einem hohen Niveau, obwohl die erste Erhebung schon etwa 4 Monate nach der Erstanpassung des Sprachprozessors stattfand [15, 27, 29, 30].

Spezifische Effekte der Musiktherapie im Vergleich zur Standardversorgung nach einer CI-Implantation waren in der Tonhöhendiskrimination, in der Klangfarbenerkennung und in der subjektiven Klangqualität des CI zu erkennen. Insbesondere in der unilateralen Aufgabenbearbeitung nur mit dem CI-Ohr fanden sich deutliche Verbesserungen nach der Therapie. Während der Therapie wurde ebenfalls gezielt meist ausschließlich das CI-Ohr einbezogen.

Das kleinste zuverlässig zu unterscheidende Intervall verringerte sich in der Therapiegruppe in der hohen und tiefen Tonlage. Der signifikante Therapieeffekt in der tiefen Tonlage, die normalerweise bei CI-Trägern sehr problembehaftet ist, zeigt, dass ein Training in diesem Bereich trotz der technischen und anatomischen Einschränkungen in diesem Frequenzbereich Fortschritte erzielen kann. Dies könnte daran liegen, dass in der Diagnostik und Therapie keine Sinustöne verwendet wurden, sondern natürliche Klänge am Klavier, die durch das Schwingen von Saiten erzeugt werden. Die dabei entstehenden Obertöne könnten es den CI-Trägern ermöglichen, die in der Studie gefundene Differenzierung von 5–6 Halbtönen zu meistern. In der hohen Lage war in der ersten Diagnostik eine schlechtere Leistung in der Therapiegruppe aufgefallen, sodass die Aussagekraft des spezifischen Therapieeffekts verringert ist, da bei von Anfang an besserer Leistung eine Steigerung schwieriger sein dürfte als bei schlechterer Leistung.

Ein allgemeiner Effekt über die Zeit, der durch allgemeine Lerneffekte zu erklären ist, zeigte sich in der Tonhöhendiskrimination in mittlerer Tonlage und im Melodieerkennen. Ursächlich hierfür könnte sein, dass sich in diesem Frequenzbereich im Alltag mehr Erfahrungen ergeben als bei sehr tiefen und sehr hohen Tönen, die teilweise von den CI-Trägern sogar vermieden werden. Die in der Diagnostik verwendeten Melodien wurden ebenfalls in der mittleren Tonlage präsentiert, und es ist anzunehmen, dass CI-Träger durch die alltägliche Beschäftigung mit Musik in diesem Bereich in einem frühen Stadium der Hörentwicklung generell Fortschritte erzielen.

Im Bereich der Klangfarbenerkennung war ein deutlich ausgeprägter therapiespezifischer Effekt unilateral zu beobachten: Während die Werte der Wartegruppe stagnierten, erreichten die Probanden der Therapiegruppe fast eine Verdopplung ihres Ausgangswerts. In dieser Studie wird ersichtlich, dass sich die Wahrnehmung der Klangfarbe durch gezieltes Training deutlich verbessern lässt und dass ein Niveau deutlich über dem in anderen Studien gefundenem [15, 29, 30] erreicht werden kann.

Die subjektive Klangqualität mit dem CI wurde anhand des HISQUI erhoben. Dabei zeigte sich insgesamt eine Verbesserung der subjektiven Klangqualität über die Zeit zwischen erster und zweiter Diagnostik. Auch in den Kategorien des HISQUI konnte in beiden CI-Gruppen eine signifikante Verschiebung der Klangqualitäten gefunden werden. Bei Eliminierung der hohen Anzahl fehlender Antworten ist insbesondere in der Therapiegruppe ein Zuwachs der durchschnittlichen Einschätzung der Klangqualität zu sehen, was einen therapiespezifischen Effekt auf die Klangeinschätzung nahelegt. Zu bedenken ist hier die hohe Zahl fehlender Antworten v. a. beim ersten Diagnostiktermin, was die Aussagekraft des Fragebogens in dieser Untersuchung schmälert. Es ist anzunehmen, dass die CI-Träger aufgrund der geringen Zeitspanne zwischen Erstanpassung und erster Diagnostik noch wenige Erfahrungen mit dem CI gemacht hatten und dadurch häufig die Antwort N/A ankreuzten.

Dass eine selbstständige musikalische Aktivität neben der Musiktherapie die Ergebnisse v. a. in der Therapiegruppe beeinflusst hat, scheint in dieser Studie unwahrscheinlich. Musikalische Aktivität und Musikhörgewohnheiten vor der Hörminderung und nach der CI-Versorgung waren in Therapie- und Wartegruppe der CI-Träger vergleichbar. Zudem waren zwischen der Zeit des Musikhörens und den Leistungen in den Musiktests keine signifikanten Zusammenhänge nach der Therapie bzw. Wartezeit zu erkennen. Hingegen war die Vergleichbarkeit bezüglich der Ertaubungsdauer der Warte- und Therapiegruppe mit einer durchschnittlich längeren Ertaubungsdauer in der Therapiegruppe nicht gegeben. Die Ertaubungsdauer kann Effekte auf die Entwicklung der Hörwahrnehmungen nach einer CI-Implantation haben, was in dieser Studie die Korrelationen zwischen Ertaubungsdauer und subjektiver Klangqualität des CI und einigen Untertests insbesondere zum ersten Testzeitpunkt erklären könnte. Dennoch erreichte die Therapiegruppe nach der Musiktherapie trotz längerer Ertaubungsdauer und einer damit schlechteren Prognose für das Hören mit dem CI vergleichbare und teilweise sogar leicht bessere Werte in den musikalischen Aufgaben als die Wartegruppe.

Die Ergebnisse dieser Studie zeigen Verbesserungen durch das Heidelberg Musiktherapiekonzept im häufig problembehafteten Bereich der Musikwahrnehmung bei erwachsenen CI-Trägern. Insbesondere in der Wahrnehmung der Klangfarbe und der Tonhöhendifferenzierung in tiefer Tonlage sowie der subjektiven Klangqualität zeigten sich Fortschritte unabhängig von den Musikhörgewohnheiten vor der Hörminderung und nach der CI-Versorgung. Neben dem bisher wenig untersuchten Einsatz von Musiktherapie bei erwachsenen CI-Trägern ist auch bei Kindern musiktherapeutische Unterstützung wichtig und sinnvoll [13].

Im Gegensatz zu anderen musiktherapeutischen Angeboten in Form von Gruppentherapien oder Workshops zeichnet sich das vorgestellte Therapiekonzept durch ein individuell angepasstes Training zeitnah nach der Erstanpassung aus. Wie auch bei anderen Therapieansätzen und Forschungsvorhaben argumentiert ist es sinnvoll, ein Training einzusetzen, das über das Üben einzelner musikalischer Parameter hinausgeht [1921]. Auf psychologischer Ebene wird durch ein vom Therapeuten unterstütztes und individuell angepasstes Herangehen an einen problembehafteten Bereich der Hörwahrnehmung versucht, möglichen Frustrationen früh entgegenzuwirken und die Motivation am Hören Lernen, die Akzeptanz der neuen Höreindrücke und das Vertrauen in die eigene Hörwahrnehmungen zu fördern. Wichtig in dieser Therapie ist eine hohe motivationale Beteiligung der CI-Träger durch lockere Übungen und Spaß bei der Therapie, sodass emotionale Barrieren überwunden und das Hören mit dem CI wieder zu einem klangvollen Erlebnis werden kann. Positive Erfahrungen im Bereich der Musik, eine intensive, konzentrierte Arbeit an musikalischen Höreindrücken und spürbare, in der Abschlussdiagnostik sichtbare Verbesserungen können es den CI-Trägern ermöglichen, mehr Selbstvertrauen zu gewinnen und eine Teilhabe an gesellschaftlichen Ereignissen zu verbessern.

Fazit für die Praxis

  • Musik wahrzunehmen ist für CI-Träger oft eine Herausforderung, diese Beeinträchtigung hat sich in Studien deutlich gezeigt. Durch ein individuell angepasstes Musiktherapiekonzept konnten in diesen Bereichen Verbesserungen erzielt und die Hörentwicklung positiv unterstützt werden.

  • Schon früh in der CI-Rehabilitation ein an das Hörniveau angepasstes Musiktraining einzusetzen und sich gezielt mit dem CI an Parameter der Musik „heranzuwagen“ scheint sinnvoll. Neben Verbesserungen in der Musikwahrnehmung und Klangqualität des CI könnte die Musiktherapie durch positive Erfahrungen in dem schwierigen Bereich auch einer einsetzenden Frustration entgegenwirken und Vertrauen in die Hörwahrnehmungen aufbauen.

  • Weiterführende Untersuchungen der Musiktherapieeffekte auf psychologischer Ebene, wie Selbstvertrauen, gesellschaftliche Teilhabe und Wohlbefinden, sind für eine umfassendere Bewertung der Bedeutung von Musiktherapie in der CI-Rehabilitation sinnvoll.