Die Bezeichnung Akustikusneurinom ist – und es wird in den einzelnen Beiträgen immer wieder darauf hingewiesen – unrichtig. Die korrekte Nomenklatur wäre, da von den Hüllzellen des Gleichgewichtsnerven ausgehend, Vestibularisschwannom. Den historisch geprägten Begriff Akustikusneurinom wollten wir bei der Behandlung dieser Thematik aber trotzdem beibehalten. Zumal dies nichts an der Problematik ändert, insbesondere hinsichtlich der Therapie dieser Tumorentität.

Die Bezeichnung Akustikusneurinom ist an sich unrichtig

In der von Hans Heinz Naumann herausgegebenen, für das deutschsprachige HNO-Fach bedeutenden Operationslehre Kopf-Hals-Chirurgie von 1996 wird das Kapitel Akustikusneurinomchirurgie mit folgendem Zitat von Madjid Samii [8] eingeleitet: „Grundsätzlich stellt der Nachweis des Akustikusneurinoms die Indikation zur operativen Entfernung dar. Je frühzeitiger diese erfolgt, desto geringer sind die Morbidität, insbesondere im Hinblick auf die Hirnnervenfunktionen, und die Mortalität einzustufen.“

Für einen operativ tätigen Schädelbasischirurgen, sei er von Haus aus Otochirurg oder Neurochirurg, ist dies durchaus ein hilfreicher Leitspruch. Gab es sicher auch in den 1990er-Jahren kontroverse Meinungen zur Akustikusneurinomtherapie [6], so ist die Auseinandersetzung damit jetzt 15 Jahre später aber sicher noch vielfältiger, facettenreicher und schwieriger geworden. Ohne Zweifel einfacher ist die Diagnostik. Sie ist durch die Magnetresonanztomographie übersichtlicher und sicherer geworden. Selbst kleine Tumoren können frühzeitig erkannt, kleinste aber durchaus auch missgedeutet werden. Damit existiert natürlich auch ein Werkzeug, Tumoren in ihrem Wachstum oder auch ihrer Konstanz zu beobachten, um den Zeitpunkt für ein aktives Eingreifen rechtzeitig erkennen zu können. Das sog. „wait and scan“ stellt so betrachtet keine eigentliche Therapie dar, ist aber eine weitverbreitete Strategie, um mit dem Thema Akustikusneurinom umzugehen.

Aufgrund unzureichender diagnostischer Möglichkeiten wurden Akustikusneurinome erst dann diagnostiziert, wenn sie bereits massive neurologische Symptome bewirkten. Sir Charles Ballance, London, wird 1892 die erste erfolgreiche Exstirpation eines Akustikusneurinoms zugeschrieben, Cushing verweist allerdings auf Thomas Annandale 1895 [7]. Der Zugangsweg war subokzipital, retrosigmoidal. Die Opferung der Hirnnerven, insbesondere des N. facialis und der kaudalen Gruppe, war die Regel, das Überleben der Patienten ungewiss. Wichtige Vertreter aus dieser Anfangszeit im deutschsprachigen Raum waren von Eiselsberg [2] in Wien sowie Fedor Krause [4] in Berlin. Harvey William Cushing gelang es, die Mortalität bei seinen Patienten auf 4% zu senken [1].

Der für den Otologen naheliegende translabyrinthäre Zugang wurde erstmals von Rudolf Panse, Dresden [5], beschrieben. Dieser Zugangsweg wurde von verschiedenen Otologen beschritten. Kann man die Ära von 1894–1930 als Phase mit hoher Mortalität der Akustikusneurinomchirurgie bezeichnen, so folgte von 1931 bis Ende der 1950er-Jahre eine evolutionäre Phase mit beständiger Fortentwicklung und Senkung der Mortalitätsrate. Mit den von Wullstein in die Otochirurgie eingeführten Operationsmikroskopen ergaben sich neue Möglichkeiten einer verbesserten chirurgischen Behandlung, sodass seit den 1960er-Jahren die mikrochirurgische Ära in der Akustikusneurinomchirurgie begann.

William F. House [3] entwickelte mit den modernen Möglichkeiten konsequenterweise den translabyrinthären Zugang weiter. Er ergänzte mit der Entwicklung des Zugangs über die mittlere Schädelgrube („middle fossa approach“) transtemporal einen Zugang oberhalb des Labyrinthblocks zum inneren Gehörgang, der somit neben dem von Neurochirurgen fortentwickelten subokzipitalen, retrosigmoidalen Zugang einen Hörerhalt ermöglicht. Interessant ist hierbei die unterschiedliche Sichtweise. Otochirurgen sprechen von transtemporal, gemeint ist der Knochen, das Felsenbein; Neurochirurgen bezeichnen den Zugang häufig als subtemporal, unter dem Temporallappen gelegen. Alle 3 Zugänge sind inzwischen etabliert und verbreitet; sie werden in erster Linie entweder von Otochirurgen (transtemporal, translabyrinthär) oder von Neurochirurgen (subokzipital, retrosigmoidal) verwendet. An verschiedenen Zentren haben sich auch interdisziplinäre Teams gebildet, was sicher nicht nur hinsichtlich der Indikationsstellung für ein Vorgehen, sondern v. a. auch für die Planung und Durchführung der chirurgischen Methode von Vorteil ist.

Wesentliche Impulse der letzten Jahrzehnte kamen aus der Entwicklung und intraoperativen Anwendung eines subtilen elektrophysiologischen Monitorings. Die Rate des Hörerhalts, aber v. a. auch die Verbesserung der postoperativen Fazialisfunktion wurden damit erheblich gesteigert. In den 1970er-Jahren wurde die Magnetresonanztomographie entwickelt und zunehmend in den klinischen Alltag eingebracht, ein diagnostisches Verfahren, welches für Beobachtung, Indikationsstellung und Therapie der Akustikusneurinome von immenser Bedeutung ist. Frühzeitig wurde bereits ein weiterer Weg beschritten. Die sog. Radiochirurgie mit dem γ-Knife wurde 1969 am Karolinska-Institut in Stockholm erstmals vorgestellt, hat seitdem zunehmend Verbreitung gefunden und sich als alternative Behandlungsmethode bei entsprechenden Indikationen inzwischen etabliert.

Wesentliche Impulse zur Verbesserung der chirurgischen Ergebnisse kamen aus der Entwicklung eines elektrophysiologischen Monitorings

Aus dem komplexen Geschehen, auch dem Für und Wider verschiedener Therapieformen, stellt sich die Situation für die behandelnden Ärzte, aber gerade auch für betroffene Patienten sehr unübersichtlich und schwierig dar. Viele aufkommende Fragen sind auch heute noch nicht hinreichend beantwortet, was die Beratung von Patienten und die Entscheidungsfindung nicht einfacher macht. Eine Vielzahl von Patientenforen sowie Zusammenschlüsse von Betroffenen und deren Angehörigen sind über das World Wide Web ausfindig zu machen. Vieles enthält brauchbare Informationen, manches ist weniger hilfreich, einiges – wie häufig – auch reine Glaubensfrage.

Das Themenheft zur Therapie des Akustikusneurinoms stellt eine aktuelle Bestandsaufnahme der Sichtweisen der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, der Neurochirurgie und der Radiochirurgie dar, wobei uns allen bewusst ist, dass innerhalb der einzelnen Fachdisziplinen durchaus divergierende Einschätzungen existieren. Bedeutsam ist dabei auch das Thema „wait and scan“, ebenso was darüber hinaus die moderne Neuroradiologie zur prognostischen Einschätzung der Fazialis- und Hörfunktion beitragen kann.

Alle beteiligten Autoren wünschen Ihnen eine interessante Lektüre und hoffen, dass die Beiträge in ausreichendem Maße Informationen liefern, um betroffene Patienten adäquat zu beraten und ihnen zu helfen, den individuell richtigen therapeutischen Weg einzuschlagen.

Ihr

K. Schwager