Zusammenfassung
Es wird über den Fall eines ausgeprägten Erythema exsudativum multiforme infolge einer COVID-19-Impfung berichtet. Die Effloreszenzen an Haut und Schleimhaut entwickelten sich 48 h nach der zweiten Dosis des mRNA-Impfstoffs BNT162b2 (Tozinameran, Comirnaty®). Unter der Anwendung glukokortikoidhaltiger Externa kam es innerhalb von 3 Wochen zu einer folgenlosen Abheilung.
Abstract
We report a case of a patient with erythema multiforme major following COVID-19 (coronavirus disease 2019) vaccination. Lesions on skin and mucous membranes developed 48 h after the second dose of the mRNA-vaccine BNT162b2 (Tozinameran, Comirnaty®). Under the application of external glucocorticoids complete resolution was achieved within 3 weeks.
Fallbericht
Anamnese
Eine 61-jährige Frau stellte sich mit erstmals aufgetretenen und seit 7 Tagen bestehenden Hautveränderungen an den Extremitäten und der Mundschleimhaut vor. Relevante Vorerkrankungen einschließlich rezidivierender Herpes-simplex-Virusinfektionen und die Einnahme von Medikamenten wurden verneint. Zwei Tage vor Auftreten der ersten Hautläsionen erhielt die Patientin die zweite Impfdosis des mRNA-Impfstoffs BNT162b2 (Tozinameran, Comirnaty®, Firma: Biontech, Mainz in Deutschland).
Klinischer Befund
Bei Vorstellung zeigten sich makulopapulöse Hautläsionen mit zentraler Blasen‑/Krustenbildung und Erythemsaum (Abb. 1). Die scharf begrenzten Effloreszenzen zeigten eine akrale Akzentuierung sowie eine starke Ausprägung an den Ellenbogen. Es bestand leichter bis mäßiger Juckreiz. An der Lippeninnenseite präsentierten sich schmerzhafte, pseudomembranös belegte Ulzera. Allgemeinsymptome lagen, abgesehen von einer leichten Abgeschlagenheit, nicht vor. Es wurde die Verdachtsdiagnose eines Erythema exsudativum multiforme (EEM) gestellt.
Histopathologischer Befund
In der histopathologischen Gewebeuntersuchung zeigten sich diffus in der Epidermis verteilte Keratinozytennekrosen, begleitet von einem ausgeprägten Papillarkörperödem sowie fokal beginnender subepidermaler Blasenbildung. Es imponierten 2 Bereiche mit nekrotischen Keratinozyten aller Zelllagen. Einer der durchgreifenden Nekroseherde wies ein kräftiges, die dermoepidermale Junktionszone verschleierndes lymphozytäres Infiltrat mit Invasion der nekrotischen Epidermis auf. Der andere Nekroseherd präsentierte ein schütteres lymphozytäres Infiltrat. Darüber hinaus zeigte sich ein perivaskuläres und interstitielles Entzündungsinfiltrat mit zahlreichen eosinophilen Granulozyten (Abb. 2). Dieser histopathologische Befund untermauerte die klinische Diagnose eines EEM.
Labordiagnostik
Im Blutbild zeigten sich eine Lymphopenie (10,6 %) und eine Neutrophilie (80,2 %). Serologisch konnten Infektionen durch das Herpes-simplex-Virus(HSV)-1 oder HSV‑2, das Parvovirus B19, das Zytomegalievirus und das Epstein-Barr-Virus als mögliche Ursachen des EEM ausgeschlossen werden. Auffällig waren erhöhte Titer des Immunglobulins A (IgA) und IgG gegen Mycoplasma pneumoniae und das Varizella-Zoster-Virus. Bei einer Kontrolluntersuchung 2 Wochen später hatten sich die Lymphopenie und Neutrophilie vollständig zurückgebildet. Die Mycoplasma-pneumoniae- und Varizella-Zoster-spezifischen Antikörpertiter blieben erhöht bei einem leichten Rückgang Letzterer. Eine durchgeführte Polymerasekettenreaktion von frischen Läsionen der linken unteren Extremität konnte keine Varizella-Zoster-Virusinfektion nachweisen. Die Zusammenschau der Befunde unterstrich einen ätiopathologischen Zusammenhang mit der vorausgegangenen Immunisierung mit BNT162b2.
Therapie und Verlauf
Aufgrund der milden klinischen Symptomatik und nur geringer Allgemeinsymptome wurden zunächst klinische Kontrollen vereinbart. Bei Wiedervorstellung der Patientin 10 Tage nach der BNT162b2-Impfung zeigte sich ein progredienter Befund des EEM mit Ausbreitung der Hauteffloreszenzen auf den Körperstamm und die untere Extremität. Charakteristische targetoide Läsionen (Kokarden) mit trizonalem Aufbau waren nun deutlich sichtbar. Insbesondere die palmaren und plantaren Lokalisationen präsentierten ausgeprägte Befunde mit starker Schwellung, Rötung und Bläschenbildung (Abb. 3). Die eingangs beschriebene Abgeschlagenheit bestand nicht mehr, und auch andere Allgemeinsymptome wurden verneint. Eine symptomatische Lokaltherapie mit Lotio zinci für Areale mit beginnender Bläschenbildung und externen Glukokortikoiden (Mometasonfuroat-Creme) für erythematöse Areale wurde eingeleitet. Ferner erhielt die Patientin eine glukokortikoidhaltige Haftsalbe zur Therapie weiterhin bestehender Schleimhautulzerationen. Unter diesen Therapiemaßnahmen kam es binnen 2 Wochen zu einer vollständigen Rückbildung der Haut- und Schleimhautveränderungen.
Diskussion
Das EEM beschreibt eine akute, meist selbst-limitierende Hypersensitivitätsreaktion. In der typischen Ausprägung präsentiert es sich anhand symmetrisch verteilter, leicht erythematöser makulopapulöser Hauteffloreszenzen mit einem Durchmesser von 1–2 cm und mittiger Blasenbildung. Die Läsionen finden sich häufig gruppiert an den Ellenbogen, Knien und den Streckseiten der Extremitäten. Zumeist entwickelt sich das EEM in Assoziation mit einer vorausgegangenen oder akuten Herpes-simplex-Virus(HSV)-1- oder HSV-2-Infektion. Aber auch ein Zusammenhang mit anderen Viren, dem Bakterium Mycoplasma pneumoniae, verschiedenen Medikamenten und Impfungen wird beobachtet [1, 4]. Erhöhte Mycoplasma-pneumoniae-Antikörper können auf eine akute Infektion hindeuten. Jedoch zeigte sich im vorliegenden Fall bei der Verlaufsuntersuchung ein konstanter Antikörpertiter ohne Dynamik nahe dem Cut-off-Wert. Zusätzlich konnten zu keinem Zeitpunkt IgM-Antikörper gegen Mycoplasma pneumoniae nachgewiesen werden. Diese Beobachtungen lassen eine Seropersistenz der IgA- und IgG-Antikörper vermuten, welche für Mycoplasma pneumoniae bekannt ist [8].
In der Literatur sind EEM-ähnliche Hauterscheinungen im Zusammenhang mit SARS-CoV-2-Infektionen beschrieben. Betroffen waren wie im vorliegenden Fall insbesondere ältere Frauen (Altersdurchschnitt 66,75 Jahre) [3]. Aber auch bei jüngeren Patienten traten EEM-typische akrale Läsionen im Zusammenhang mit SARS-CoV-2-Infektionen auf. Das in mRNA-Impfungen kodierte Spikeprotein des Virus konnte in diesen Fällen immunhistochemisch im betroffenen Hautgewebe nachgewiesen werden [6]. Nicht nur im Zusammenhang mit SARS-CoV-2-Infektionen, sondern auch nach mRNA-Covid-19-Impfungen konnte eine Vielzahl an kutanen Hauterscheinungen beobachtet werden. Neben Lokalreaktionen, Urtikaria und morbilliformen Läsionen wurde erst kürzlich bei 3 Patienten das Auftreten eines EEM nach der ersten Impfdosis mit mRNA-1273 (COVID-19 Vaccine Moderna, Firma: Moderna, NIAID) beschrieben [5]. Aber auch infolge einer Impfung mit BNT162b2 sind mittlerweile 3 Fälle eines EEM beschrieben [2]. Es bleibt abzuwarten, ob die Wahrscheinlichkeit eines Erythema exsudativum multiforme im Zusammenhang mit SARS-CoV-2-mRNA Impfstoffen häufiger auftritt als bei anderen Impfungen, bei welchen das EEM ca. 0,2 % aller gemeldeten unerwünschten Impfnebenwirkungen ausmacht [7].
Fazit für die Praxis
Die aktuelle SARS-CoV-2-Pandemie stellt die Dermatologie durch assoziierte Hautveränderungen und mögliche unerwünschte Impfreaktionen vor neue Herausforderungen. Im Rahmen groß angelegter Impfprogramme kann es zu seltenen kutanen Manifestationen kommen, welche für den dermatologischen Alltag relevant sind.
Literatur
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K. Wunderlich und T. Dirschka geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Wunderlich, K., Dirschka, T. Erythema exsudativum multiforme infolge einer COVID-19-Impfung (BNT162b2). Hautarzt 73, 68–70 (2022). https://doi.org/10.1007/s00105-021-04911-4
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00105-021-04911-4
Schlüsselwörter
- Erythema exsudativum multiforme
- COVID-19-Impfung
- BNT162b2, Tozinameran
- Hypersensitivitätsreaktion
- Interface-Dermatitis