Fallbericht

Anamnese

Eine 61-jährige Frau stellte sich mit erstmals aufgetretenen und seit 7 Tagen bestehenden Hautveränderungen an den Extremitäten und der Mundschleimhaut vor. Relevante Vorerkrankungen einschließlich rezidivierender Herpes-simplex-Virusinfektionen und die Einnahme von Medikamenten wurden verneint. Zwei Tage vor Auftreten der ersten Hautläsionen erhielt die Patientin die zweite Impfdosis des mRNA-Impfstoffs BNT162b2 (Tozinameran, Comirnaty®, Firma: Biontech, Mainz in Deutschland).

Klinischer Befund

Bei Vorstellung zeigten sich makulopapulöse Hautläsionen mit zentraler Blasen‑/Krustenbildung und Erythemsaum (Abb. 1). Die scharf begrenzten Effloreszenzen zeigten eine akrale Akzentuierung sowie eine starke Ausprägung an den Ellenbogen. Es bestand leichter bis mäßiger Juckreiz. An der Lippeninnenseite präsentierten sich schmerzhafte, pseudomembranös belegte Ulzera. Allgemeinsymptome lagen, abgesehen von einer leichten Abgeschlagenheit, nicht vor. Es wurde die Verdachtsdiagnose eines Erythema exsudativum multiforme (EEM) gestellt.

Abb. 1
figure 1

Rötliche Papeln, teilweise mit beginnender zentraler Blasenbildung im Bereich der Achselhöhle

Histopathologischer Befund

In der histopathologischen Gewebeuntersuchung zeigten sich diffus in der Epidermis verteilte Keratinozytennekrosen, begleitet von einem ausgeprägten Papillarkörperödem sowie fokal beginnender subepidermaler Blasenbildung. Es imponierten 2 Bereiche mit nekrotischen Keratinozyten aller Zelllagen. Einer der durchgreifenden Nekroseherde wies ein kräftiges, die dermoepidermale Junktionszone verschleierndes lymphozytäres Infiltrat mit Invasion der nekrotischen Epidermis auf. Der andere Nekroseherd präsentierte ein schütteres lymphozytäres Infiltrat. Darüber hinaus zeigte sich ein perivaskuläres und interstitielles Entzündungsinfiltrat mit zahlreichen eosinophilen Granulozyten (Abb. 2). Dieser histopathologische Befund untermauerte die klinische Diagnose eines EEM.

Abb. 2
figure 2

Zytotoxische Interface-Dermatitis: Zwei die gesamte Epidermis durchgreifende Nekroseherde („full-thickness necrosis“). Kräftiges Papillarkörperödem mit fokal beginnender subepithelialer Blasenbildung. Perivaskuläres und interstitielles lymphozytäres Infiltrat mit zahlreichen eosinophilen Granulozyten (Hämatoxylin-Eosin-Färbung, Originalvergr. 10:1)

Labordiagnostik

Im Blutbild zeigten sich eine Lymphopenie (10,6 %) und eine Neutrophilie (80,2 %). Serologisch konnten Infektionen durch das Herpes-simplex-Virus(HSV)-1 oder HSV‑2, das Parvovirus B19, das Zytomegalievirus und das Epstein-Barr-Virus als mögliche Ursachen des EEM ausgeschlossen werden. Auffällig waren erhöhte Titer des Immunglobulins A (IgA) und IgG gegen Mycoplasma pneumoniae und das Varizella-Zoster-Virus. Bei einer Kontrolluntersuchung 2 Wochen später hatten sich die Lymphopenie und Neutrophilie vollständig zurückgebildet. Die Mycoplasma-pneumoniae- und Varizella-Zoster-spezifischen Antikörpertiter blieben erhöht bei einem leichten Rückgang Letzterer. Eine durchgeführte Polymerasekettenreaktion von frischen Läsionen der linken unteren Extremität konnte keine Varizella-Zoster-Virusinfektion nachweisen. Die Zusammenschau der Befunde unterstrich einen ätiopathologischen Zusammenhang mit der vorausgegangenen Immunisierung mit BNT162b2.

Therapie und Verlauf

Aufgrund der milden klinischen Symptomatik und nur geringer Allgemeinsymptome wurden zunächst klinische Kontrollen vereinbart. Bei Wiedervorstellung der Patientin 10 Tage nach der BNT162b2-Impfung zeigte sich ein progredienter Befund des EEM mit Ausbreitung der Hauteffloreszenzen auf den Körperstamm und die untere Extremität. Charakteristische targetoide Läsionen (Kokarden) mit trizonalem Aufbau waren nun deutlich sichtbar. Insbesondere die palmaren und plantaren Lokalisationen präsentierten ausgeprägte Befunde mit starker Schwellung, Rötung und Bläschenbildung (Abb. 3). Die eingangs beschriebene Abgeschlagenheit bestand nicht mehr, und auch andere Allgemeinsymptome wurden verneint. Eine symptomatische Lokaltherapie mit Lotio zinci für Areale mit beginnender Bläschenbildung und externen Glukokortikoiden (Mometasonfuroat-Creme) für erythematöse Areale wurde eingeleitet. Ferner erhielt die Patientin eine glukokortikoidhaltige Haftsalbe zur Therapie weiterhin bestehender Schleimhautulzerationen. Unter diesen Therapiemaßnahmen kam es binnen 2 Wochen zu einer vollständigen Rückbildung der Haut- und Schleimhautveränderungen.

Abb. 3
figure 3

Erythematöse Plaques mit zentraler Blasenbildung, heller Intermediärzone und rotem Randsaum (Kokarden) an den Handinnenflächen der Patientin

Diskussion

Das EEM beschreibt eine akute, meist selbst-limitierende Hypersensitivitätsreaktion. In der typischen Ausprägung präsentiert es sich anhand symmetrisch verteilter, leicht erythematöser makulopapulöser Hauteffloreszenzen mit einem Durchmesser von 1–2 cm und mittiger Blasenbildung. Die Läsionen finden sich häufig gruppiert an den Ellenbogen, Knien und den Streckseiten der Extremitäten. Zumeist entwickelt sich das EEM in Assoziation mit einer vorausgegangenen oder akuten Herpes-simplex-Virus(HSV)-1- oder HSV-2-Infektion. Aber auch ein Zusammenhang mit anderen Viren, dem Bakterium Mycoplasma pneumoniae, verschiedenen Medikamenten und Impfungen wird beobachtet [1, 4]. Erhöhte Mycoplasma-pneumoniae-Antikörper können auf eine akute Infektion hindeuten. Jedoch zeigte sich im vorliegenden Fall bei der Verlaufsuntersuchung ein konstanter Antikörpertiter ohne Dynamik nahe dem Cut-off-Wert. Zusätzlich konnten zu keinem Zeitpunkt IgM-Antikörper gegen Mycoplasma pneumoniae nachgewiesen werden. Diese Beobachtungen lassen eine Seropersistenz der IgA- und IgG-Antikörper vermuten, welche für Mycoplasma pneumoniae bekannt ist [8].

In der Literatur sind EEM-ähnliche Hauterscheinungen im Zusammenhang mit SARS-CoV-2-Infektionen beschrieben. Betroffen waren wie im vorliegenden Fall insbesondere ältere Frauen (Altersdurchschnitt 66,75 Jahre) [3]. Aber auch bei jüngeren Patienten traten EEM-typische akrale Läsionen im Zusammenhang mit SARS-CoV-2-Infektionen auf. Das in mRNA-Impfungen kodierte Spikeprotein des Virus konnte in diesen Fällen immunhistochemisch im betroffenen Hautgewebe nachgewiesen werden [6]. Nicht nur im Zusammenhang mit SARS-CoV-2-Infektionen, sondern auch nach mRNA-Covid-19-Impfungen konnte eine Vielzahl an kutanen Hauterscheinungen beobachtet werden. Neben Lokalreaktionen, Urtikaria und morbilliformen Läsionen wurde erst kürzlich bei 3 Patienten das Auftreten eines EEM nach der ersten Impfdosis mit mRNA-1273 (COVID-19 Vaccine Moderna, Firma: Moderna, NIAID) beschrieben [5]. Aber auch infolge einer Impfung mit BNT162b2 sind mittlerweile 3 Fälle eines EEM beschrieben [2]. Es bleibt abzuwarten, ob die Wahrscheinlichkeit eines Erythema exsudativum multiforme im Zusammenhang mit SARS-CoV-2-mRNA Impfstoffen häufiger auftritt als bei anderen Impfungen, bei welchen das EEM ca. 0,2 % aller gemeldeten unerwünschten Impfnebenwirkungen ausmacht [7].

Fazit für die Praxis

Die aktuelle SARS-CoV-2-Pandemie stellt die Dermatologie durch assoziierte Hautveränderungen und mögliche unerwünschte Impfreaktionen vor neue Herausforderungen. Im Rahmen groß angelegter Impfprogramme kann es zu seltenen kutanen Manifestationen kommen, welche für den dermatologischen Alltag relevant sind.