Chronischer Pruritus ist ein weit über die Grenzen der Dermatologie hinaus bekanntes Leitsymptom multidisziplinärer Erkrankungen und schwerwiegender Behandlungsanlass vieler Patienten. So wundert es nicht, dass in vielen Disziplinen klinische und grundlagenwissenschaftliche Forschungsgruppen intensiv an den Pathomechanismen von Pruritus forschen. Spannend wird es für die Forschung und Klinik immer dann, wenn „Grenzüberschreitungen“, d. h. Austausch in Methoden, Daten und Ideen stattfindet, wie u. a. in dem DFG(Deutsche Forschungsgemeinschaft)-geförderten Projekt Translational Pruritusresearch (www.prusearch.net), das die beiden Autoren federführend leiten.

Pruritus ist ein die Fachgrenzen überschreitendes Symptom

Ein klinisches Paradebeispiel hierfür sind der neuropathische Pruritus und der neuropathische Schmerz. Beide beruhen höchstwahrscheinlich auf ganz ähnlichen Mechanismen und kommen sogar bei denselben Patienten vor. Die Theorie geht sogar so weit anzunehmen, dass es eigentlich keine 2 unterschiedlichen Entitäten sind, aber je nach Betrachtung – und damit dahinterstehender Disziplin – mal mehr Wert auf den Schmerz oder Pruritus gelegt wird. Höchste Zeit, diese Barrieren (weiter) einzureißen, was Martin Schmelz (Neurophysiologie und Schmerzforschung, Mannheim), seit Jahren Grenzgänger zwischen verschiedenen Disziplinen, in seinem Übersichtsbeitrag anschaulich darstellt.

In der klinischen Versorgung der Patienten muss man daher immer mit auslösenden Ursachen des Pruritus rechnen, die nicht der eigenen Disziplin zuzuordnen sind, und es erfordert viel Zeit, Wissen und Geschick, damit umzugehen. Dennoch zeigt die Realität, dass meist schon die Zeit der limitierende Faktor ist, um eine gründliche Befragung der Patienten anzustreben. Darüber hinaus sind viele Angaben der Patienten, teilweise spontan berichtet, teilweise mit umfangreichen Fragebögen abgefragt, nicht differenzialdiagnostisch richtungsweisend und haben eher das Ziel, den Leidensdruck zu dokumentieren. Was bleibt also zu tun? Diese Antwort gibt Claudia Zeidler (Dermatologie, Münster) in ihrem Übersichtsbeitrag, in dem sie die wichtigsten anamnestischen und klinischen Befunde darstellt, die als „short cuts“ zu einer konkreten Differenzialdiagnose führen. Ergänzt wird dies durch die rationale Darstellung der sinnvollen Labordiagnostik durch die Internisten und Pruritusexperten Andreas Kremer (Erlangen) und Thomas Mettang (Wiesbaden).

An diesen Kerngedanken schließt sich der Beitrag von Gudrun Schneider (Psychosomatik, Münster) an, die uns fachlich die komplexen Zusammenhänge von psychischen Einflussfaktoren bei chronischem Pruritus aufzeigt. Mal können psychische Faktoren Ursache, mal Folge und mal Komorbidität des chronischen Pruritus sein. Schwer wird es insbesondere dann, wenn weitere organische Ursachen gefunden werden oder sogar eine Artefaktstörung vorliegt, bei der psychische Faktoren und Pruritus Symptome der Erkrankung sind. Alles klar? Nicht? Dann können wir nur den Beitrag von Frau Schneider, einer ausgewiesenen Fachärztin für Psychosomatik und Pruritusexpertin, empfehlen.

Auch die interdisziplinäre Therapie des Pruritus darf nicht zu kurz kommen. An erster Stelle steht für Dermatologen hierbei eine vernünftige Lokaltherapie, die für alle Patienten mit chronischem Pruritus unabhängig von der Ursache wichtig ist. So kommen längst schon Internisten bei der Versorgung der Patienten mit Dialyse-assoziiertem Pruritus und der assoziierten Xerosis nicht mehr ohne dermatologische Begleitung aus. Stefan Salzmann (Dermatologie, Münster) und Petra Staubach (Dermatologie, Mainz) legen Ihnen hierzu und zu vielen anderen Situationen kompetent Tipps und Tricks ans Herz.

Manuel Pereira (Dermatologie, Münster) und Martin Metz (Dermatologie, Berlin) beantworten gekonnt die Frage nach der Systemtherapie bei chronischem Pruritus. Hierzu wird auf die Empfehlungen der aktuellen S2k-Leitlinie eingegangen, und es werden einige wichtige Substanzklassen wie die Gabapentinoide vorgestellt. Anschließend stellen die beiden Experten moderne Therapien vor, die derzeit in klinischen Prüfungen befindlich sind. Hierbei reiht sich ein Highlight an das nächste, und wir dürfen hoffen, in Zukunft über neue zugelassene Therapien zu verfügen. Zum Beispiel hat kürzlich der IL(Interleukin)-31-Antikörper Nemolizumab sehr gute Erfolge in der Therapie der chronischen Prurigo gezeigt, und wir dürfen auf weitere Studien hierzu hoffen. Elke Weisshaar (Dermatologie, Heidelberg) übernimmt als langjährige Expertin dahingegen die schwere Aufgabe, den Abgesang auf die Antihistaminika in der Pruritusmedizin einzuleiten.

Bei so vielen Highlights fragt man sich, was kommt noch; was kommt als Nächstes? Ganz klar geben darauf Alexander Zink (Dermatologie, München) und Martin Dugas (Medizininformatik, Münster) die Antwort: Medizinische Apps sind auf dem Vormarsch und bieten tolle Möglichkeiten bei der Erfassung und Monitorierung von Pruritus. So wurde extra eine ItchyApp für die eigenständige Erfassung des Pruritusverlaufs für Android und iPhone entwickelt und frei verfügbar in die App Stores eingestellt. Über eine intelligente Schnittstelle kann der Patient dem Arzt die Daten zur Verfügung stellen. Darauf haben wir gewartet! Wir würden uns freuen, wenn Sie Ihren Patienten diese Möglichkeit mitteilen und so für die eigene ärztliche Tätigkeit Unterstützung in der Beurteilung des Pruritus erhalten.

Dieses Heft wurde im Vorfeld des 7. Münsteraner Pruritussymposium (12. September 2020, www.pruritussymposium.de) konzipiert. Passend zum „7th year itch“ mussten auch wir leider aufgrund der uns allen bekannten Pandemie von einem Präsenzkongress auf ein digitales webinar umschwenken. Wir freuen uns jedoch auch in diesem Rahmen auf eine vielfältige Interaktion mit Ihnen.

Viel Spaß beim Lesen wünschen daher

Martin Schmelz und Sonja Ständer