Den Begriff Lichen, Flechte, beschreibend und vergleichend mit Flechten in der freien Natur für Hauterkrankungen heranzuziehen, erscheint uns heute selbstverständlich und allzu naheliegend – und doch, es bedurfte eines Mitbegründers unserer Fachdisziplin, der den Begriff Lichen vielleicht nicht als Erster aus der Biologie ausborgte, aber zumindest als Erstbeschreiber des Lichen planus diese prototypisch papulöse, zur lichenoiden Konfluenz neigende Dermatose mit all ihren Facetten fest im kollektiven Bewusstsein der dermatologischen Welt verankerte: Sir Erasmus Wilson. Sein maßgebliches Werk Diseases of the skin – a system of cutaneous medicine wurde 1868 aufgelegt. Wilson war Dermatologe und Chirurg – wie die meisten von uns heute. Er wurde von Queen Victoria 1881 geadelt ob seiner wissenschaftlichen Meriten. Geboren wurde Wilson 1809, also im selben Jahr wie Charles Darwin, dessen legendäres Werk On the origin of species 1859 erschien, also rund 10 Jahre vor Wilsons Werk. Nicht auszuschließen ist, dass Darwin und Wilson sich kannten und sich in den vornehmen Gelehrtenkreisen der Royal Society begegneten, auch ist es denkbar, dass sich Wilson in der Anlage eines Systems der Hauterkrankungen an Darwins Methoden, dem morphologischen Vergleich als Ordnungsprinzip, orientierte. Dermatologie, Botanik, Vogelkunde und andere Disziplinen haben hier einiges gemeinsam – das 19. Jahrhundert war nach der Aufklärung und Französischen Revolution geprägt von der wissenschaftlichen Erschließung der Welt, dazu gehörte gerade auch, Ordnungen herauszuarbeiten und Verwandtschaftsbeziehungen zu erschließen und zu begreifen.

Lichenartige Hautphänomene als lichenoid zu kategorisieren und so in verwandtschaftliche Nähe zueinander zu bringen ist aber nicht nur morphologisch weiterhin richtig, sondern bleibt auch im Zeitalter der molekularen Medizin statthaft, verbindet sie doch eine grundlegende Störung, die T‑Zell-vermittelte, vermutlich gegen Fremd- oder Autoantigene gerichtete, zytotoxische Inflammation. Dies gilt für Lichen planus und Lichen sclerosus ebenso wie für Graft-versus-Host-Reaktion (GvHD) und lichenoide Arzneireaktionen. „Sonderlinge“ wie der Lichen nitidus mögen eine Nuance abweichen, z. B. durch die fein-granulomatöse Note des Infiltrats – und doch suggeriert mindestens die spiegelnde Papel so viel Gemeinsames, dass die Herausgeber auch diese Erkrankung in dieses Leitthemenheft haben einbeziehen wollen.

Die Kategorisierung „lichenoid“ bleibt auch im Zeitalter molekularer Medizin statthaft

Die Lichen-Dermatologie ist durchaus artenreich, und so mussten die Herausgeber manch weitere Krankheitsbilder aus Platzgründen beiseitelassen, so z. B. den Lichen trichophyticus, den Lichen syphiliticus, den Lichen myxoedematosus und den Lichen amyloidosus. Jedoch sind kutane Lichen (glücklicherweise) nicht ganz so artenreich wie die Flechten, archaische Lebensgemeinschaften von symbiotisch existierenden Algen-Bakterien- bzw. Algen-Pilz-Plaques, die in der freien Natur mit rund 25.000 Arten taxiert werden. Diese rückten mit Ernst Haeckel – dem „deutschen Darwin“ in Berlin, geboren 1834 in Potsdam – als Parade- und Lehrbeispiel für Evolutionsmechanismen in den wissenschaftlichen Fokus. Flechten geben bis heute immer wieder neue aufregende Geheimnisse preis darüber, wie das Leben auch unter extremer UV-Exposition und extremer Kälte, beispielsweise in den Felsenregionen des Hochgebirges jenseits der 3000-m-Grenze an den Grenzen der Biosphäre oder in der Arktis, möglich ist. Lichen produzieren MRSA(multiresistenter Staphylococcus aureus)-wirksame Antibiotikaprototypen, krebsprotektive Substanzen und wohlriechende Odoranzien, wie etwa das Eichenmoos.

Die Analogien zwischen Haut-Lichen und Lichen in der freien Natur sind also vielfältig: Lichenoides an der Haut lehrt uns Staunen über die morphologische Vielfalt, die Verwandtschaft lichenoider Erkrankungen als morphologische Spiegelbilder eines speziellen ätiopathogenetischen Prinzips. Zudem taugt der Lichen an der Haut als ein lehrreiches Modell, um beispielsweise die lichenoiden Phasen der GvHD besser zu verstehen, Wirkmechanismen von Arzneien zu ergründen, Therapien zu entwickeln, die andere, z. B. systemische Autoimmunerkrankungen, in Zukunft heilen helfen könnten.

Viel Freude beim Lesen!

Ihre Heftherausgeber

figure c

Thomas Vogt

figure d

Matthias Goebeler