Liebe Kolleginnen und Kollegen,

jedes Zeitalter hat seine charakteristischen Krankheiten. Nach Lepra, Pest, Cholera, Schwindsucht und Syphilis leben wir heute im Psychozeitalter von Angst und Depression, Burn-out, Borderline-Persönlichkeitsstörungen sowie Hässlichkeitsfurcht [4].

In den letzten Jahren ist es uns gelungen, die erweiterte biopsychosoziale Sichtweise immer mehr als eine Normalität im dermatologischen Alltag zu etablieren. Mit großer Freude können wir beim Nachwuchs beobachten, dass inzwischen psychosomatische Grundversorgung und Psychoedukation den Assistenzärzten in Fleisch und Blut übergegangen sind und heute zur klinischen Normalität gehören [2]. Besonders findet dies im Rahmen der ärztlichen Betreuung von onkologischen und chronisch kranken Patienten statt. Der Bedarf an psychosozialer Versorgung der onkologischen Patienten ist deutlich spürbar, in Studien mit größeren Patientenzahlen wird dieser mit ca. 36 % erhoben [5].

Die erweiterte biopsychosoziale Sichtweise wird immer mehr zur Normalität im dermatologischen Alltag

Als neues Phänomen ist derzeit eine Zunahme von psychischen Störungen als Stellvertreterbeschwerden einer konsumorientierten Wachstumsgesellschaft und zunehmender gesellschaftlicher Komplexität zu verzeichnen. Diese gehen im Alltag mit Stressüberforderung, Selbstunsicherheit und Selbstwertproblemen einher, die zunehmend in die Praxis für Psychotherapie oder ästhetische Sprechstunde führen. Typische Beispiele sind Angstschweiß in der Hyperhidrose-Sprechstunde, Versagerangst und Lifestyle-Impotenz in der Andrologie, ebenso wie die Paradiesdepression, Luxuskrankheiten (Glamour-Probleme), Furcht vor Hässlichkeit, Botulinophilie oder Tanorexie in der Beauty- und Lasersprechstunde. Ewige Jugend steht als Ideal im Mittelpunkt der Lifestyle-Medizin. Ästhetische Medizin greift diesen Wunsch auf mittels einer Realisierung durch das Handwerk der Faltenbeseitigung und Glättung.

In diesem Leitthemenheft „Ästhetische Psychodermatologie“ werden ästhetische Fragestellungen und psychosoziale Störungen gemeinsam betrachtet.

Der Autor Harth geht in seiner einleitenden Übersicht den zentralen Schönheitsidealen: glatt, rund und braun sowie den damit verbundenen dermatologischen Komplikationen nach.

Die grundsätzliche Frage „Was ist Schönheit“ muss auch in der Beauty-Sprechstunde gestellt werden. Dienstleistungswünsche und Glücksmedizin sollten Anlass sein, unter Zuhilfenahme von kultur- und geisteswissenschaftlichen Fächern eine erweiterte Herangehensweise in der Ästhetik und Psychodermatologie zu initiieren und zu überdenken. Bedeutsam ist dabei die Unterscheidung zwischen subjektiver Wahrnehmung und der Welt da draußen. Untersuchungen zum Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen gehen bereits auf frühe Texte von Platon zurück. Edmund Burke thematisierte 1757 spezifische ästhetische Merkmale der Erhabenheit, wie das Glatte oder das Runde [1]. Diese werden immer wieder aufgegriffen und neu interpretiert, wie zuletzt eindrucksvoll von Han im Jahr 2015 [3].

In einem weiteren Beitrag werden die aktuellen Erklärungsmodelle der Bräunungssucht (Tanorexie) erörtert, und als ein besonderes Phänomen unseres Kulturraumes dargelegt. Das individuelle Bräunungsverhalten trägt zur Kanzerogenese von onkologischen Erkrankungen bei und ist von gesellschaftlichen Modeströmungen abhängig. Präventivkonzepte müssen demnach ein breites Spektrum von öffentlicher Aufklärung und individueller Psychotherapie umfassen.

Bleibt, sich mit den Nebenwirkungen von Schönheitsmaßnahmen auseinanderzusetzen. Die Frage: „Was kann man tun, wenn schwere Beauty-Pannen auftreten?“, wird in einem weiteren Beitrag erörtert.

Und hier schließt sich der Kreis. Das Schöne, Glatte und Runde eines insgesamt frischen Wesens ist als idealistische Charaktervorstellung nicht mit aggressiven ästhetischen Eingriffen zu erzielen, sondern der Trend geht zum Minimalinvasiven.

In einem Beitrag von Borkenhagen et al. konnte an einer Untersuchung von 145 Frauen, die sich einer Botox-Behandlung und einer Behandlung mit Hyaluronsäure-Fillern unterzogen hatten, gezeigt werden, dass diese durchaus positiv mit dem Wunsch nach Kosmetik umgehen können. Das Körperbild, das Gewicht und die Entstellungsangst waren nicht auffällig verändert. Im Gegensatz hierzu stellt die Übersicht von Lahousen et al. die Schattenseite der Schönheit vor: die körperdysmorphe Störung, die immerhin ca. 1% der normalen deutschen Bevölkerung zu betreffen scheint. Diese Patienten stellen in der Hautarztpraxis, der kosmetischen Dermatologie und in der plastischen Chirurgie immer eine Herausforderung dar, die es zunächst zu diagnostizieren und auch einer adäquaten psychosomatischen bzw. psychiatrischen Behandlung zuzuführen gilt.

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit kosmetischen Eingriffen und Anwendungen in der Dermatologie zeigt die unterschiedlichen Sichtweisen und Erfahrungen auf. Es ist nicht alles nur negativ, aber nur positiv ist es eben auch nicht!

Mit dem vorliegenden Leitthemenheft möchten die beiden Herausgeber erstmals die ästhetische Psychodermatologie als wissenschaftliche Disziplin fokussieren und eine lebhaft positive Diskussion zur Umsetzung in die Praxis anregen.

Viel Freude beim Lesen wünschen Ihnen

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W. Harth

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U. Gieler