Wer ist für die Erkrankungen im Mund zuständig? Konfrontiert man Passanten mit dieser Frage, so erhält man als Antwort meist Angaben wie der Hausarzt, der Zahnarzt, der Hals-Nasen-Ohren-Arzt oder vielleicht auch der Mund- und Kieferchirurg. Dass wir Dermatologen eine spezielle Kompetenz für diese Körperregion haben, ist vielen unbekannt. Dabei schreibt unsere Weiterbildungsordnung vor, dass wir uns neben den Erkrankungen der Haut auch mit den „Erkrankungen der einsehbaren Schleimhäute“ befassen (sollten). Da sich nicht jeder Dermatologe auf diesem Gebiet kompetent fühlt, erschien im November 2009 ein erstes Themenheft des Hautarztes mit eben diesem Titel: „Erkrankungen der einsehbaren Schleimhäute“. In Ergänzung zu den Themen dieses inhaltlich noch sehr aktuellen Heftes (Plattenepithelkarzinom und potenziell maligne Veränderungen der Mundschleimhaut, die Mundschleimhaut als Spiegel systemischer Erkrankungen, HPV-Infektionen der Mund- und Genitalschleimhaut, Schleimhautbeteiligung bei blasenbildenden Erkrankungen sowie bei papulosquamösen Erkrankungen) berichten wir in der vorliegenden Ausgabe des Hautarztes über weitere für den Dermatologen relevante stomatologische Themen.

Erkrankungen der einsehbaren Schleimhäute gehören zum Aufgabengebiet des Dermatologen

Gelegentlich scheitert der Dermatologe schon an grundlegenden Begriffen der Mundhöhlenanatomie und -pathologie. Was meint der überweisende Zahnarzt, wenn er bei einem auffallenden Mundschleimhautbefund von einer gleichzeitig bestehenden Gingivitis oder Parodontitis spricht oder die Lokalisation einer Läsion mit mesial, distal oder bukkal von Zahn 46 angibt? Peter Eickholz liefert uns hierzu ein kurzes, hilfreiches Repetitorium. Die Pathologie der Mundhöhle wird erst verständlich, wenn man über die physiologischen Gegebenheiten der wichtigsten Eintrittspforte unseres Körpers Bescheid weiß. Wie setzt sich die normale Flora unserer Mundhöhle zusammen, welche Abwehrfunktionen halten uns pathogene Erreger fern, welche Rolle spielt die humorale Immunantwort, das sekretorische IgA in der Mundschleimhaut? Das einleitende Kapitel „Physiologie der Mundhöhle: die dermatologisch relevanten Aspekte“ von Peter Eickholz gibt viele Antworten auf diese krankheitsrelevanten Fragen.

Das orale Immunsystem ist auch Gegenstand der praxisnahen Übersicht „Klinische Symptomatik und Diagnostik allergischer Reaktionen der Mundschleimhaut“ von Ulrike Raap, Meike Stiesch und Alexander Kapp. Nach den differenzialdiagnostischen Überlegungen zur Klinik allergischer Mundschleimhauterkrankungen wird der Leser an die praktische Vorgehensweise zur Abklärung herangeführt. Testmethoden und die Art der häufigsten Allergene (Reinigungssubstanzen, Zahnersatzmaterialen usw.) werden beschrieben und bezüglich ihrer klinischen Bedeutung gewichtet.

Um weitere entzündliche Mundschleimhauterkrankungen geht es im Beitrag „Klinik und Therapie chronisch rezidivierender Aphthen“ der Arbeitsgruppe um Christos Zouboulis, die sich seit vielen Jahren mit der Vielfalt aphthöser Läsionen und ihrer differenzierten Therapie auseinandersetzt. In diesem Beitrag, der wegen der Häufigkeit der Aphthenerkrankungen und der häufig frustranen Therapieansätze auch Zahnärzte sehr interessieren dürfte, erfolgt bei noch immer unklarer Pathogenese eine sorgfältige klinische Abgrenzung der verschiedenen Krankheitsbilder. Andreas Altenburg eröffnet je nach Schweregrad der Erkrankung eine breite Palette topischer und systemischer Therapieoptionen.

Die bereits 2009 beschriebenen Plattenepithelkarzinome der Mundhöhle werden im Beitrag von Johann Beck-Managetta durch die diversen pigmentierten Mundschleimhauterkrankungen ergänzt. Noch immer sind nicht nur medizinische Laien erstaunt, dass ein malignes Melanom auch in der Mundhöhle auftreten kann. Zum sorgfältigen Melanomscreening gehört daher immer auch eine Inspektion der gut ausgeleuchteten Mundhöhle. Differenzialdiagnostisch sind benigne lokale und systemische Pigmentierungen der Mundschleimhaut abzugrenzen. Wie auch am äußeren Integument spielt die histopathologische Untersuchung hierbei eine herausragende Rolle. Wegen der besonderen Verhältnisse der Mundhöhle steht der Dermatologe dabei häufig vor der Frage, ob er die Biopsie selbst durchführen oder den Patienten an einen Gesichts- und Kieferchirurgen oder einen HNO-Arzt überweisen sollte.

Im letzten Beitrag diese Themenheftes geht es um eine Krankheitsgruppe, die in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen hat. Seit der Jahrtausendwende beobachtet man in Europa, aber auch in Nordamerika und anderen Regionen eine Renaissance der sexuell übertragbaren Infektionen (STI). Treten deren Symptome (Ulzera, Lymphadenopathie, Ausfluss, Papillome u. a.) im genitoanalen Bereich auf, entsteht relativ rasch der Verdacht auf eine STI. Werden die ersten STI-Symptome jedoch im Mundhöhlen- oder Lippenbereich manifest, erschließen sich Verdachtsdiagnose und erregerspezifische Diagnostik erst durch die Kenntnis der speziellen Manifestationen und der daraus resultierenden sorgfältigen Sexualanamnese (orogenitoanale Sexualpraktiken?). Die Diagnostik ist durch die physiologische Vielfalt der oralen Flora und durch z. T. asymptomatische Infektionen (Gonorrhö, Chlamydien) erschwert. Die Therapie unterscheidet sich nur in wenigen Fällen von der Therapie genitoanaler oder systemischer STI-Manifestationen und sollte besonders unter dem Gesichtspunkt von Resistenzentwicklungen und der Unterbrechung von Infektionsketten leitliniengerecht erfolgen.

Wenn Sie sich von einem Patienten nicht nur die Zunge herausstrecken lassen, sondern auch sorgfältig daneben, dahinter und darunter nachsehen, hat dieses Themenheft seinen Zweck erfüllt.

Ihre

Helmut Schöfer

Helmut Hintner