Im Zuge des aktuellen Deutschen Chirurgenkongresses 2024 hat Die Chirurgie das Leitthema „Therapieindividualisierung in der onkologischen Chirurgie“ festgelegt. Diese Auswahl unterstreicht die steigende Relevanz eines umfassenden Verständnisses von Tumorerkrankungen auf molekularer Ebene sowie den wachsenden Zugang zu Informationen über individuelle Patientenaspekte. Die stetigen Fortschritte in der multimodalen Therapie und die Erweiterung des chirurgischen Repertoires bringen nicht nur neue Herausforderungen, sondern eröffnen auch vielfältige Möglichkeiten für eine maßgeschneiderte Behandlung jedes Patienten.

In dieser Artikelserie möchten wir fächerübergreifend einen relevanten Überblick darüber geben, was eine individualisierte Therapie in der Chirurgie bedeutet und welche vielfältigen Entscheidungsmöglichkeiten einem Chirurgen in der Therapieplanung heute und zukünftig zur Verfügung stehen.

Chirurgen stehen vielfältige Entscheidungsmöglichkeiten in der Therapieplanung zur Verfügung

Der Beitrag von Schmidt et al. behandelt gastroösophageale Tumoren als Beispiel für eine Tumorlokalisation im gastrointestinalen Bereich, wobei ähnliche Konzepte für andere Tumorarten wie hepatobiliäre Karzinome, Pankreaskarzinome und kolorektale Karzinome relevant sind. Der Artikel beleuchtet die Fortschritte in der chirurgischen Therapie, insbesondere bei lokal fortgeschrittenen Karzinomen, und betont die zunehmende Rolle individualisierter Entscheidungsfindungen in der optimalen Therapie. Hierbei wird auf die Integration künstlicher Intelligenz (KI) in Tumorboards zur Vorhersage optimaler Therapieschemata eingegangen. Zusätzlich werden alternative Behandlungskonzepte wie „active surveillance“ nach Radiochemotherapie sowie Herausforderungen bei der Behandlung von Adenokarzinomen des gastroösophagealen Übergangs Typ II (AEG II) diskutiert. Innovative Ansätze zur Risikoevaluation, einschließlich ischämischer Präkonditionierung des Magenschlauchs für vaskuläre Risikopatienten, werden vorgestellt.

Die Arbeit von Guba und Werner widmet sich dem Stellenwert der Lebertransplantation bei hepatozellulären Karzinomen, intrahepatischen und perihillären cholangiozellulären Karzinomen sowie nichtresektablen kolorektalen Lebermetastasen. Aufgrund der steigenden Wirksamkeit systemischer Therapien und einem besseren Verständnis der individuellen Tumorbiologie gewinnt die Lebertransplantation an breiterem potenziell kurativem Einsatz. Die Lebertransplantation bei nichtresektablen kolorektalen Lebermetastasen erlebt eine Renaissance, ist jedoch begrenzt durch einen allgemeinen Mangel an Spenderorganen.

Meißner und Kollegen erläutern den Einsatz der intraoperativen stimulierten Raman-Histologie (SRH) für eine personalisierte Hirntumorchirurgie. Diese laserbasierte, bildgebende Technik ermöglicht die hochauflösende mikroskopische Diagnostik unprozessierter frischer Gewebeproben ohne zusätzliche Kontrast- oder Färbemittel. SRH ermöglicht eine zeitoptimierte intraoperative Schnellschnittdiagnostik neuroonkologischer Tumoren und bietet in Verbindung mit KI eine objektive Analyse sowie die Identifizierung molekularpathologischer Risikoprofile. Die vielversprechende Rolle von SRH erstreckt sich über die Neurochirurgie hinaus und zeigt Potenzial für verschiedene chirurgische Disziplinen, was in der personalisierten Tumortherapie zukünftig eine entscheidende Rolle spielen könnte.

Individualisierte Tumorchirurgie im Kontext des nichtkleinzelligen Lungenkarzinoms (NSCLC) wird im Artikel von Winter und Kollegen diskutiert. Dabei betonen sie analog zum Artikel zur Ösophaguschirurgie die zunehmende Bedeutung minimal-invasiver Techniken und geben einen Ausblick auf roboterassistierte Bronchoskopie sowie den Einsatz von Augmented Reality und Virtual Reality in der Thoraxchirurgie. Die Integration der Immuntherapie in die Behandlung operabler NSCLC-Stadien liefert neue Impulse, und das bevorstehende Lungenkrebsscreening mittels Low-dose-Computertomographie (LDCT) in Deutschland wird voraussichtlich zu einer erhöhten Früherkennung führen.

Eidmann und Kollegen beschäftigen sich in ihrem Artikel mit der seltenen, aber klinisch bedeutenden Gruppe der primären malignen Knochentumoren und Weichgewebssarkome. Allgemeine Therapieprinzipien betonen die interdisziplinäre Abstimmung unter Berücksichtigung individueller Faktoren wie Tumorentität, Lokalisation und Metastasierung. Die chirurgische Therapie zielt auf eine R0-Resektion, wobei verschiedene Verfahren, darunter weite Resektion, Kompartmentresektion, Amputation und innovative Ansätze wie modulare Tumorendoprothesen oder patientenspezifische Implantate je nach Tumorcharakteristika und Defektgröße zum Einsatz kommen. Zudem wird auf vielversprechende Ansätze wie das Knochen-Tissue-Engineering eingegangen, und die Notwendigkeit eines individualisierten und interdisziplinären Therapieansatzes bei Sarkomen des Bewegungsapparats wird betont.

Zusammenfassend wird aus allen Beiträgen ersichtlich, dass der Einsatz neuer Operationsmethoden und die Unterstützung durch künstliche Intelligenz oder Assistenzsysteme die Behandlung der Patienten bereits beeinflusst haben und zukünftig komplexere individuelle Entscheidungen ermöglichen werden. Es liegt in unserer Verantwortung als Chirurgen, uns kontinuierlich mit diesen Neuerungen auseinanderzusetzen und sie einzusetzen, um die langfristige Optimierung der Patientenversorgung zu gewährleisten.

Univ.-Prof. Dr. Dr. Thomas Schmidt

Prof. Dr. Christiane J. Bruns