Ein Thema mit anhaltendem Streitwert ist die Einführung und Durchsetzung von Mindestmengen in der Patientenbehandlung. Das habe ich auch in der Gestaltung dieses Themenhefts intensiv festgestellt. Die Diskussion wird je nach Infrastruktur des jeweiligen Gesundheitswesens und dessen Finanzierung in den Ländern unterschiedlich geführt. Formal geht es um die Sicherung des besten Behandlungserfolgs und die Reduktion der Behandlungskosten. Am Ende ist die Durchsetzung von Mindestmengen eine Maßnahme der Strukturpolitik zur Zentralisierung des dezentralen Marktes mit Abbau von Überkapazitäten.

Einführung und Durchsetzung von Mindestmengen in der Patientenbehandlung werden kontrovers diskutiert

Wo wir derzeit in Deutschland stehen, was aktuelle Diskussionen sind und wie die einzelnen Standpunkte dazu sind, haben wir versucht in diesem Themenheft darzustellen.

Im ersten Beitrag gibt H. Schuster vom GKV(gesetzliche Krankenversicherung)-Spitzenverband eine Handlungsanleitung für die Planung der Leistungserbringung. Am Beispiel der Mindestmengen für die Pankreaschirurgie erklärt er einerseits die notwendige Steigerung und den entsprechenden Zeitraum bei der bevorstehenden Erhöhung für die sog. Bestandskrankenhäuser, und andererseits wird auch das Vorgehen für „Neueinsteiger“ bzw. „Wiedereinsteiger“ dargelegt.

Der zweite Beitrag von C.D. Heidecke et al. vom IQTIG (Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen) zeigt zunächst die gesetzlichen Grundlagen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat unter anderem die Aufgabe, Regelungen zur Qualitätssicherung im Krankenhaus zu treffen. In diesem Rahmen hat er 2005 die Mindestmengenvereinbarung beschlossen. Die Rechtsgrundlage für die Mindestmengenregelung durch das Bundessozialgericht wurde in mehreren Verfahren in den Jahren 2012 bis 2015 gefestigt. Hier sind sehr genaue fachliche und formale Anforderungen an die Beschlüsse des G‑BA formuliert, die der Gesetzgeber bereits mit dem Krankenhausstrukturgesetz in einer Präzisierung der Rechtsgrundlage für Mindestmengen aufgriff. Derzeit geltende Mengen werden dargelegt und deren Modus der Umsetzung, die jetzt „verschärft“ und transparent erfolgen soll, aufgezeigt. Am Beispiel der Mindestmenge für die Ösophaguschirurgie wird die aktuelle Festlegung erklärt und diese prognostisch aus Sicht des IQTIG diskutiert. Regularien, wie diese Verschärfung auf Ebene der Bundesländer umgesetzt wird, sind noch nicht klar. Fachgesellschaften können sich hier beim G‑BA zur Gestaltung der Umsetzung der Mindestmengenregelungen einbringen.

Die Sicht der Fachgesellschaft (der DGCh [Deutsche Gesellschaft für Chirurgie]) wird von H. Lang et al. vorgestellt. Es wird herausgestellt, dass in erster Linie die wissenschaftliche Evidenz als Handlungsmaxime im Vordergrund steht, aber auch Probleme in der Versorgungsrealität, Weiterbildung und Attraktivität des Berufsbildes werden dabei diskutiert. Dies wird auch hier im Besonderen an der Mindestmenge für die Eingriffe am Ösophagus erörtert. Hier entstehen natürlich Konfliktsituationen aus politischen Interessenlagen und Sachkompetenz. Mit der Umsetzung in Zusammenhang stehende ungeklärte Fragen werden exemplarisch aufgelistet. Der Vorschlag zur Entwicklung von Kooperationsverbünden wird erörtert. Negative Auswirkungen auf die Weiterbildungscurricula werden angesprochen. Auch sind Mindestmengenvorgaben bzw. die simulierten Standorte der Zukunft noch von der Krankenhausstrukturplanung entkoppelt. Weitere offene Fragen werden thematisiert.

C. Krautz und R. Grützmann erörtern den Standpunkt des universitären Versorgers. Sie geben dabei zu Mindestmengen prinzipielle Analysen der eigenen Arbeitsgruppe wieder. Die positiven Folgen einer durch Mindestmengen ausgelösten Zentralisierung werden diskutiert. Dabei ist z. B. … nicht von der Hand zu weisen, dass Kliniken mit niedrigen Fallzahlen in der Regel nicht an klinischen Studien teilnehmen bzw. selbst Studien durchführen und … Lehre und Weiterbildung bei höheren Fallzahlen effektiver gestaltet werden können. Denn je höher die Fallzahlen, desto höher ist die Chance, in der Weiterbildung einen Eingriff tatsächlich selbst und in ausreichender Anzahl ausführen zu dürfen. Letztendlich muss mit der Zentralisierung der Krankenversorgung in bestimmten Bereichen auch die Weiterbildungsordnung entsprechend angepasst werden. Sie heben hervor, dass gesundheitspolitische Voraussetzungen geschaffen werden müssen, die es Unikliniken ermöglichen, Mindestmengen zu erfüllen.

N. Nüssler et al. präsentieren den Standpunkt des Maximalversorgers. Sie stellen in einer Musterrechnung ebenfalls am Beispiel der Eingriffe am Ösophagus des eigenen Hauses zunächst vor, dass der damit verbundene Erlösverlust in den meisten Kliniken ohne relevante negative wirtschaftliche Auswirkungen bleiben dürfte. Für die betroffenen Kliniken wird aber der Verlust komplexer Operationen im Wettbewerb um qualifiziertes ärztliches Personal nachteilig sein. Kritisch sehen sie, dass sich die Behandlungsqualität nicht alleine auf der Basis von Fallzahlen erkennen lässt, und fordern den Nachweis von Prozess‑, Struktur- und Ergebnisqualität.

S. Benz diskutiert die Sicht des Spezialisten am kleineren Haus und erörtert zu den Mindestmengen den Qualitätsaspekt und den Struktureffekt. Er zeigt, dass die Struktur dabei entscheidend sein wird. Nicht berücksichtigt in der derzeitigen Diskussion ist der positive Effekt, den komplexe Operationen gegenseitig aufeinander ausüben (Bystander-Effekt). Dies eröffnet eine völlig neue Betrachtungs- und Gestaltungsmöglichkeit für die viszeralchirurgische Versorgungsstruktur. Seiner Meinung folgend, werden mit den Regelungen sich … isolierte OrganchirurgInnen in sehr wenigen, sehr großen Zentren entwickeln. Daraus ergibt sich die Frage, wer sich noch um das Management unklarer abdomineller Befunde kümmern kann. Weiter ist ein bisher wenig berücksichtigter Aspekt die Sequenz der Einführung der Mindestmengen mit einem paradoxen Dezentralisierungseffekt für die noch nicht mindestmengenbewährten Leistungen. Anforderungen der aktuellen Weiterbildungsordnung vor dem Hintergrund der vorgesehenen Regelungen sind seiner Meinung nach unrealistisch. Er schlägt ein anderes Modell der Restrukturierung der Kliniken vor in Gruppen von Operationen mit vergleichbarer Komplexität. Diesen Gruppen wird jeweils eine übergeordnete Mindestmenge zugewiesen. Für jede Gruppe werden zudem spezifische Strukturvorgaben gefordert.

Ein Fazit aus diesen sehr interessanten Erörterungen ist für den klinisch tätigen Chirurgen derzeit schwer zu ziehen. Sicher führt die Durchsetzung der Mindestmengenregelung zu einer Umstrukturierung der viszeralchirurgischen Kliniken. Ob man die gesetzten Ziele erfüllen kann, bleibt derzeit offen. Sicher sollten wir uns mit dem G‑BA in eine Diskussion begeben, die den Patienten und den Chirurgen dient.

Ich wünsche allen Lesern eine interessante Zeit beim Lesen der aus meiner Sicht gelungenen Beiträge.

Prof. Dr. Utz Settmacher