Liebe Kolleginnen und Kollegen,

der Deutsche Chirurgenkongress 2022 (DCK 2022), zu dem dieses Heft erscheinen wird, steht unter dem Motto „Identität bewahren – Wissen mehren – Wandel gestalten“. Diese Trias erscheint heute aktueller denn je, zeigt uns die COVID(„Coronavirus disease“)-Pandemie doch, wie wichtig unsere Erfahrungen und unser Wissensschatz sind, aber auch, dass es unerlässlich ist, nach neuen Erkenntnissen zu streben, diese anzunehmen und im klinischen Alltag umzusetzen.

Die Chirurgie steht, mehr noch als andere medizinische Disziplinen, vor großen, teilweise auch unwägbaren Herausforderungen. Neue sozioökonomische Rahmenbedingungen, der technische Fortschritt und wissenschaftliche Ergebnisse fördern und fordern eine Veränderung des chirurgischen Alltags und der Chirurgie.

Dabei gilt es jedoch auch heute, 150 Jahre nach der Gründung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH), an den traditionellen Werten unseres chirurgischen Handelns festzuhalten und sie zu bewahren. Seit jeher ist ein besonders enges Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient essenziell. Der Patient und seine Individualität stehen im Mittelpunkt des chirurgischen Denkens und Handelns. Dieses Leitbild auch zukünftigen Generationen von Chirurginnen und Chirurgen mit auf den Weg zu geben, ist eine elementare Aufgabe der Nachwuchsförderung.

Die wichtigsten aktuellen Handlungsfelder der Chirurgie sind daher momentan der Fortschritt durch Innovation und Digitalisierung, das zunehmende Spannungsfeld zwischen Humanität und Ökonomisierung, die Nachwuchsakquise und -förderung sowie eine gelebte Interdisziplinarität zum Wohle unserer Patienten.

Chirurginnen und Chirurgen müssen eine aktive Rolle bei der Entwicklung neuer Technologien einnehmen

Der rasante technische Fortschritt und die digitale Revolution haben die Chirurgie längst in allen Bereichen erfasst. Ein Operationssaal ohne hochentwickelte technische Systeme ist kaum noch denkbar. Beispiele hierfür sind u. a. die minimal-invasive Chirurgie und Robotik, die moderne intraoperative Bildgebung und 3‑D-Darstellung von Gefäßen mithilfe augmentierter oder virtueller Realität oder auch Navigationssysteme zur genauen Lokalisation von Tumoren. Diese Technologien ermöglichen ein immer schonenderes, da präziseres chirurgisches Vorgehen. Allerdings gehen die Entwicklung und der klinischen Einsatz dieser neuen Technologien auch mit neuen ethischen, legalen und sozialen Aspekten einher. Diese Thematik wird durch die Einführung von Elementen der künstlichen Intelligenz (KI) noch komplexer, insbesondere durch die sog. „dynamische“ KI, da es sich hierbei um „lernende Medizinprodukte“ handelt, die sich im praktischen Einsatz „weiterentwickeln“. Dieser kontinuierliche dynamische Prozess führt in vielen Fällen zu einer mangelnden Transparenz und bedingt somit einen negativen Einfluss auf die Technologieakzeptanz. Daher ist es essenziell, dass die Anwender, letztlich wir Chirurginnen und Chirurgen, eine aktive Rolle bei der Entwicklung und klinischen Implementierung einnehmen müssen.

Mit diesen Entwicklungen, Fortschritten und Problembereichen beschäftigen sich zwei der Leitartikel. Der Beitrag von Wagner et al. widmet sich den aktuellen technischen Innovationen in der Chirurgie und gibt einen Ausblick in die Zukunft, während Wilhelm et al. die ethischen, legalen und sozialen Implikationen (ELSI) bei der Anwendung KI-gestützter Technologien in der Chirurgie darlegen.

Die Rolle der Chirurgie in der multidisziplinären, personalisierten onkologischen Therapie wird im Beitrag von Conradi und Ghadimi näher beleuchtet. Personalisierte Tumortherapie, ein auf den individuellen Patienten abgestimmtes Konzept zur Behandlung einer onkologischen Erkrankung bei gleichzeitiger Berücksichtigung der individuellen Prognose, Lebensqualität und Erwartungshaltung stellt hohe Anforderungen an multidisziplinäre Teams in der Onkologie, innerhalb welcher den Chirurginnen und Chirurgen eine Schlüsselfunktion zukommt.

Die Erhaltung der Gesundheit muss die Maxime der chirurgischen Tätigkeit sein

Diesen Herausforderungen muss sich die moderne Chirurgie auch vor dem Hintergrund eines immer stärker werdenden ökonomischen Drucks stellen. Dabei bleibt die Gesundheit das höchste Gut des Menschen, ihrer Erhaltung ist oberste Priorität einzuräumen! Dies muss die Maxime unserer chirurgischen Tätigkeit sein. Die zunehmende Ökonomisierung in der Medizin wirft jedoch die Frage auf, inwieweit dieser Anspruch und die Grundsätze des ärztlichen Handelns mit wirtschaftlichen Aspekten und Restriktionen zur Ausgabensenkung und Ressourceneinsparung in Einklang zu bringen sind. Der Beitrag von Nagel et al. greift diese Thematik auf und analysiert die medizinische Versorgung und speziell die Rolle der Chirurgie im facettenreichen Spannungsfeld „Humanität-Ethik-Ökonomie“.

Komplettiert wird das Kongressheft durch Denkanstöße der „Jungen Chirurgie“ (Huber et al.) zur Nachwuchsakquise und einer modernen Nachwuchsförderung, eine der wichtigsten aktuellen Aufgaben der Chirurgie überhaupt.

Ich hoffe, dass die gewählten Themen Ihr Interesse wecken und auch für bereichernde Diskussionen auf unserem 139. DCK sorgen werden.

Abschließend möchte ich allen Autoren für die Bereitschaft, Beiträge für dieses Kongressheft zu erstellen, danken und wünsche allen Lesern viel Freude beim Lesen der Artikel.

Ihr Prof. Dr. Hauke Lang

Präsident DGCH 2021/2022