Die Behandlung des Rektumkarzinoms hat sich in den vergangenen 15 Jahren weniger diagnostisch als vielmehr therapeutisch als besonders dynamisches Feld in der chirurgischen Onkologie präsentiert. Die Vielfalt der Fragestellungen und das Innovationstempo erlauben es nicht, alle derzeit in Diskussion befindlichen Fragen in einem Leitthema darzustellen. Aber so manche Neuentwicklungen, wie z. B. die transanale totale mesorektale Exzision (taTME), lokale Exzision oder auch „Watch-and-wait“-Strategien, wurden nicht lange zurückliegend in Der Chirurg bereits dargestellt.

Als klinisch aktiver kolorektaler Chirurg gewinnt man in den Tumorkonferenzen bei der Diskussion von Einzelfällen den Eindruck, dass wir noch ein Stück weit davon entfernt sind, unzweifelhaft festlegen zu können, welche Form der Therapie für den individuellen Patienten onkologisch und funktionell die besten Ergebnisse bringt. In die therapeutischen Überlegungen fließen interdisziplinäre Konzepte mit ein, wie die neoadjuvante Radiochemotherapie mit postoperativer adjuvanter Chemotherapie bei tiefsitzenden, lokal-fortgeschrittenen Rektumkarzinomen oder auch ganz aktuell die total neoadjuvante Radiochemotherapie, um die Wirksamkeit der lokalen und systemischen Tumorkontrolle noch zu verbessern, aber auch operativ-technische Überlegungen bezüglich des optimalen Zugangsweges, wobei der offene Zugang der Vergangenheit angehören dürfte, und aktuelle Fragen, die darum kreisen, ob man konventionell-laparoskopisch oder robotisch vorgehen sollte, in speziellen Situationen mit oder ohne taTME bzw. auch Strategien, welche die Langzeitmorbidität reduzieren und wie in diesem Zusammenhang die Lebensqualität verbessert werden kann. Mit diesen Diskussionspunkten soll sich das vorliegende Leitthema beschäftigen.

„Tailored medicine“ gewinnt an Bedeutung

So wird einmal mehr die Frage aufgeworfen, welche Patienten mit tiefsitzenden, lokal-fortgeschrittenen Karzinomen tatsächlich von einer präoperativen Kombinationsbehandlung von Chemo- und Strahlentherapie profitieren, um Überbehandlung und deren Auswirkungen auf die Lebensqualität im Einzelfall zu vermeiden. Aber auch die generelle Empfehlung für eine adjuvante Chemotherapie bei so vorbehandelten Patienten scheint alles andere als gesichert zu sein. Auch diesbezüglich erscheinen Ansätze der viel gepriesenen „tailored medicine“ an Bedeutung zu gewinnen.

Unzweifelhaft ist es in den letzten zwei Jahrzehnten ohne unangemessene Kompromisse in der onkologischen Radikalität gelungen, die Rate an kontinenzerhaltenden Operationen zu steigern. In spezialisierten Kliniken liegt die Exstirpationsrate mit Anlage eines dauerhaften Kolostomas unter 10 %. Verbunden damit waren jedoch Probleme, wie die Häufung der Rate an Anastomoseninsuffizienzen und die höhere Inzidenz an „low anterior resection syndrome“ (LARS). Die nicht abgeheilte Anastomoseninsuffizienz stellt in diesem Zusammenhang eine besondere Herausforderung dar und fordert dem Chirurgen, viel mehr aber noch dem Patienten ein hohes Maß an Geduld ab. Und dennoch verbleiben Fälle, die trotz geduldigem Abwartens und Ausschöpfung aller konservativen Maßnahmen eine blind-endende Fistel zurückbehalten. Was bleibt dann noch an therapeutischen Optionen unter Erhalt des Schließmuskels? Eine denkbar schwierige Frage!

Ein Kolostoma kann der letzte Ausweg bei schwerem LARS sein

Viele Patienten nach radikaler Rektumresektion entwickeln ein LARS, ein Zustand, der u. U. die Lebensqualität so stark beeinträchtigt, dass Patienten nach leidvollen Jahren eines Lebens „neben der Toilette“ um die Anlage eines dauerhaften Kolostomas bitten. Diesbezüglich gilt es, sich intensiv mit den auslösenden Faktoren und Therapieansätzen zu beschäftigen, um die Patienten in eine für sie subjektiv erträgliche Lebensqualität zurückzuführen. Auch diesbezüglich sind Geduld und Fachkompetenz gefragt.

Schließlich bewegt die Gemeinschaft der kolorektalen Chirurgen seit vielen Jahren die Frage, wie die nach unvermeidbarer Rektumexstirpation eines ultratiefsitzenden Tumors oder eines Tumors beim betagten Patienten mit schlechter Sphinkterfunktion die parastomale Hernie verhindert werden kann. In einem Patientengut, das durch zunehmendes Körpergewicht und Begleiterkrankungen wie chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) charakterisiert ist, stellt dies eine veritable Herausforderung dar. Darum muss man sich mit der Frage beschäftigen, ob nicht die prophylaktische Netzeinlage bei der Primäranlage des Stomas eine tragfähige Option wäre bzw. wenn es zur parastomalen oder gar perinealen Hernie nach extralevatorischer Exstirpation gekommen ist, wie diese technisch am besten versorgt werden können.

Ich bedanke mich herzlich bei den Kollegen Johannes Lauscher, Benno Mann, Peter Kienle, Sigmar Stelzner und Dirk Weyhe und ihren Koautor*innen, die mit ihren wertvollen Beiträgen das Leitthema „Update Rektumkarzinom“ gestaltet haben.

Prof. Dr. Matthias Anthuber