Die Chirurgie war seit jeher eine dynamische Fachdisziplin. Im Bemühen, Patienten eine bestmögliche Therapie in Bezug auf das Ergebnis und die mit der Operation einhergehenden Belastungen zukommen zu lassen, wurden über Jahre und Jahrzehnte immer wieder neue Operationsmethoden entwickelt. Die wenigsten haben dabei nach Durchführung prospektiv randomisierter Studien Eingang in die klinische Routine gefunden. Meist sind diese dem Erfindergeist und dem Ideenreichtum von Chirurgen entsprungen, die mit dem „traditionellen“ Operationsverfahren unzufrieden bzw. davon nicht überzeugt waren, und haben ohne große Umwege den Weg zum Patienten genommen. Ein Paradebeispiel dafür ist die laparoskopische Cholezystektomie. Die Überzeugungskraft dieses neuen Zugangs zur Entfernung der Gallenblase war so durchschlagend, dass niemand mehr auf Ergebnisse einer prospektiv, randomisierten Studie warten wollte. Die Vorteile schienen den Chirurgen weltweit auf der Hand zu liegen.

So manche neu eingeführte Operationstechnik ist geblieben, viele sind jedoch nach wenigen Jahren wieder aus dem Behandlungsspektrum verschwunden, weil sich deren Überlegenheit gegenüber althergebrachten Methoden doch nicht beweisen ließ bzw. sie wieder von anderen Techniken abgelöst wurden.

Neben dem Taten- und Forschungsdrang der Chirurgen waren, sind und werden auch in Zukunft technische Neuentwicklungen die wesentlichen Treiber von Innovationen sein. Man denke nur an die Einführung von Kunststoffnetzen für spannungsfreie, alloplastische Versorgungen in der Hernienchirurgie, die traditionelle Operationsverfahren wie die Operation nach Bassini und später auch das Shouldice-Verfahren oder auch die Fasziendoppelung nach Mayo beim Narbenbruch als Erfolg versprechende Behandlungsmethode weitestgehend verdrängten. Mit welcher Geschwindigkeit und Durchschlagskraft minimal-invasive Operationstechniken in den letzten 2 Jahrzehnten Raum griffen, hat alle Erwartungen übertroffen. Und mit der robotisch assistierten Chirurgie scheint bereits der nächste große Innovationsschritt an der Schwelle zur breiten klinischen Anwendung zu stehen.

Man geht davon aus, dass derzeit gerade einmal 20 % unseres täglichen klinischen Handelns nach den strengen Kriterien der evidenzbasierten Medizin wissenschaftlich abgesichert sind. Deshalb ist es die Verpflichtung eines jeden Chirurgen, in Kenntnis des Mangels an hochwertigen Studien, welche die gesamte Breite des Eingriffsspektrums in der Allgemein- und Viszeralchirurgie abdecken, durch Literaturstudium und Kongressbesuche zu versuchen den Stellenwert aktueller Operationsverfahren zu hinterfragen und „Neues“ kritisch mit dem „Althergebrachten“ zu vergleichen.

Der Anus und Analkanal mit dem Schließmuskelapparat zeichnen sich durch eine komplexe Topografie und Funktionalität aus, und ohne jemandem zu nahe treten zu wollen, darf man wohl feststellen, dass diese anatomische Region nicht „Jedermanns Land“ ist. Von der Behandlung tief sitzender Rektumkarzinome wissen wir, dass die Prognose und Lebensqualität des Patienten ganz wesentlich davon abhängen, ob der Chirurg beim Primäreingriff fachgerecht zu Werke geht. Es ist nun schon über 25 Jahre her, dass Prof. Gerhard Buess ein spezielles Operationsinstrumentarium entwickelt hat, um frühe Stadien von Rektumkarzinomen über einen transanalen Zugang im Sinne einer Vollwandresektion zu entfernen. Die Technik erfordert ein hohes Maß an Erfahrung sowohl in der Indikationsstellung als auch in der technischen Durchführung. Aufgrund der Komplexität und der doch sehr begrenzt für dieses Verfahren geeigneten Patienten hat eine flächendeckende Verbreitung in Deutschland nie stattgefunden. Es blieb einigen Spezialisten vorbehalten, transanale, mikrochirurgische Operationen durchzuführen. Mit der Einführung der endoskopischen Submukosadissektion durch die Gastroenterologen, dies aber wohlgemerkt auch nur in wenigen Zentren, kam das chirurgische Verfahren weiter unter Druck. Deshalb ist es an der Zeit, eine Bilanz zu ziehen, welchen Stellenwert der transanale chirurgische Zugang heute noch hat. Prof. Marco Sailer aus Hamburg hat diese Aufgabe dankenswerter Weise übernommen.

Die Technik der transanalen Chirurgie erfordert ein hohes Maß an Erfahrung

Rektumkarzinomchirurgie kann im engen und adipösen männlichen Becken von anterior, ob nun offen oder laparoskopisch, aufgrund eingeschränkter Übersichtlichkeit technisch außerordentlich anspruchsvoll sein. Deshalb wurde vor einigen Jahren von findigen Spezialisten die transanale TME (totale mesorektale Exzision) eingeführt – ein Verfahren, das minimal-invasive Elemente mit proktologischen Operationstechniken verbindet und heute und vermutlich auch in Zukunft nur in die Hand des sehr geübten Kolorektalchirurgen gehört. Die Erfahrungen für diesen innovativen Ansatz sind noch sehr begrenzt. Ziel ist, die Präparation auf der Endstrecke des Analkanals durch diesen posterioren, minimal-invasiven Zugang übersichtlich, hinreichend radikal und gleichzeitig funktionell konservativ, sprich mit weniger Störung der Blasen- und Sexualfunktion, zu gestalten. Aktuelle Publikationen geben Anlass zu der Sorge, dass diese Ziele nicht zwingend zu erreichen sind. Es wird wohl eine ausgesprochene Expertise des Chirurgen benötigt, um die erforderliche operative Qualität darzustellen. Prof. Felix Aigner aus Graz, der für sich in Anspruch nehmen kann, den Stellenwert dieser Technik in seiner Zeit an der Charité mit evaluiert zu haben, wird einen kritischen Blick auf den aktuellen Stand des Wissens werfen.

Traumatische Beckenbodenverletzungen mit Sphinkterbeteiligung begegnen dem Chirurgen als Folge eines Geburtstraumas oder seltener bedingt durch eine Pfählungsverletzung oder ein Hochrasanztrauma z. B. im Zusammenhang mit einem Motorradunfall. Die perianale Weichteilzerstörung und das Ausmaß der muskulären Beckenbodenverletzung sind meist ausgedehnt, und die anatomische Orientierung ist schwierig. Da es sich häufig um jüngere Patientinnen und Patienten handelt, steht der Funktionserhalt des Schließmuskels an oberster Stelle. Dieser ist nur zu erzielen, wenn es gelingt, eine anatomiegerechte Rekonstruktion vorzunehmen. Es dürfte Einigkeit darüber bestehen, dass über Indikation, Zeitpunkt und Technik der Operation mit Versorgung der Weichteile und Rekonstruktion des Sphinkterapparates nur erfahrenste Koloproktologen entscheiden können. Frau Kollegin Kim aus der Würzburger Klinik stellt in ihrem Beitrag das chirurgische Vorgehen dar.

Ich danke allen Autoren für ihre hochwertigen Beiträge, und bin mir sicher, dass der interessierte Chirurg daraus wichtige Handlungsanweisungen für sich bezüglich Indikation und Technik ableiten kann.

Prof. Dr. Matthias Anthuber