FormalPara Originalpublikation

Ullmann TM, Gray KD, Stefanova D et al (2019) The 2015 American Thyroid Association guidelines are associated with an increasing rate of hemithyroidectomy for thyroid cancer. Surgery 166:349–355

FormalPara Hintergrund.

Die starke Zunahme der papillären Niedrigrisikokarzinome in fast allen Ländern der westlichen Welt und Asien hat in Verbindung mit umfangreichen Outcomestudien und der Präzisierung der morphologischen Entitäten zu einer Differenzierung auch des therapeutischen Konzepts dieser Karzinome geführt. Die 2016 publizierten Leitlinien der American Thyroid Association (ATA) hat dieser Entwicklung Rechnung getragen und für intrathyreoidale papilläre Karzinome mit 1–4 cm Durchmesser die Option zur Durchführung einer Hemithyreoidektomie (HT) anstelle der totalen Thyreoidektomie (TT) mit der Vermeidung einer Übertherapie bei gleichzeitig nicht eingeschränktem Outcome, jedoch geringerem Komplikationsrisiko begründet. Die vorliegende Untersuchung hatte das Ziel, zu prüfen, ob die neuen Leitlinienempfehlungen Einfluss auf die HT-Raten gehabt hatten.

FormalPara Material und Methoden.

Ausgewertet wurde das Datenmaterial der nationalen Qualitätssicherung der USA (NSQIP) der Jahre 2009 bis 2017. Eingeschlossen wurden nur Patienten, die von Allgemein- und HNO-Chirurgen mit formalem Thyreoidektomietraining operiert wurden, ausgeschlossen Patienten, bei denen eine laterale Halsdissektion erforderlich war. Verglichen wurden die HT- und TT-Raten vor (B) und nach (A) Publikation der neuen Leitlinien.

FormalPara Ergebnisse.

Insgesamt 35.291 Patienten wurden eingeschlossen, davon 23.721 in der B‑Gruppe, 11.570 in der A‑Gruppe. Die wichtigsten Ergebnisse der Studie waren folgende:

  • Die Anzahl der im NSQIP-System dokumentierten Operationen nahm von 2009 bis 2017 kontinuierlich zu, im gleichen Zeitraum die von Allgemeinchirurgen durchgeführten Operationen von 71 auf 59 % ab.

  • Der prozentuale Anteil der HT änderte sich in den Jahren vor Publikation der ATA-Leitlinien in den USA kaum, danach kam es zu einem signifikanten Anstieg von zuvor 17,3 % auf dann 22,0 %; der Quartalsanstieg der HT-Raten nach Publikation der Leitlinien betrug das 10-Fache verglichen mit den Raten zuvor; die HT-Raten nahmen bei Allgemeinchirurgen signifikant mehr zu als bei HNO-Chirurgen.

  • Multivariat waren eine niedrigere ASA-Klasse und ein HNO-Chirurg als Operateur unabhängige Prädiktoren für die Durchführung einer HT.

  • Die Komplettierungsraten lagen kaum verändert bei 7,9 % bzw. 8,3 % in Gruppe B bzw. A.

Kommentar

Die Untersuchung zeigt erstmals sehr deutlich sowohl bei Allgemein- als auch HNO-Chirurgen den Einfluss der 2016 publizierten ATA-Leitlinien auf das Resektionsausmaß bei papillären Niedrigrisikokarzinomen. Inwieweit die neue Leitlinie die Patientenpräferenz für die Operateurswahl aus dem allgemeinchirurgischen bzw. HNO-chirurgischen Fachgebiet beeinflusst hat, wurde durch die Studie nicht untersucht, jedoch ist bemerkenswert, dass der Anteil der HNO-chirurgisch durchgeführten Operationen im Untersuchungszeitraum signifikant zunahm, auch wenn die Zunahme der HT-Raten bei den Allgemeinchirurgen mit Publikation der neuen Leitlinien stärker als bei den HNO-Chirurgen war. Quantitativ ist in den USA die totale Thyreoidektomie mit ca. 80 % bei papillären Niedrigrisikokarzinomen noch immer „standard of care“, in praxi gewinnt die Hemithyreoidektomie als therapeutische Option jedoch an Bedeutung. Weitere Studien müssen zeigen, welche Zusatzkriterien zusätzlich zur Größe des Primärtumors das Resektionsausmaß bestimmen sollten.