Jede Form von onkologischer Therapie eines soliden Primärtumors hat sich an zwei Zielen zu orientieren: maximale Heilungschancen und Erhalt einer bestmöglichen Lebensqualität. In diesem Sinne kann „weniger mehr sein“. Weniger im Sinne des Zugangstraumas durch Anwendung minimalinvasiver Operationstechniken, wenngleich von den onkochirurgischen Prinzipien, wie sie für die offene Chirurgie validiert wurden, nicht abgewichen werden darf. Aus operativ-technischer Sicht, aber auch aufgrund des geringeren Lokal- und systemischen Rezidivrisikos bieten sich Frühkarzinome für die Weiterentwicklung minimalinvasiver Operationstechniken an.

Bei speziellen Befunden haben endoskopische Resektionstechniken Vorteile

Wenn es um die Behandlung von Frühstadien von Tumoren des oberen und unteren Verdauungstraktes geht, die unter Ausschöpfung aller diagnostischer Möglichkeiten zuverlässig als Mukosa- oder gerade einmal die obersten Schichten der Submukosa infiltrierende Tumoren klassifiziert werden können, so kann mit vertretbar niedrigen Risiken radikal operiert werden. Unter Umständen resultieren aber funktionelle Beeinträchtigungen bei der Nahrungsaufnahme bzw. der Verdauung, die vom Patienten als belastende Einschränkungen der Lebensqualität empfunden werden. Aus diesem Grund könnten endoskopische, limitierte Resektionstechniken in ganz speziellen Befundkonstellationen von Vorteil sein.

Der Megatrend in den vergangenen 20 Jahren in der Viszeralchirurgie war die zunehmende Abwendung von konventionellen offenen Operationsverfahren hin zu minimalinvasiven Operationstechniken, um bei gleicher Radikalität auch funktionell bessere Ergebnisse zu erzielen. Parallel dazu liefen Entwicklungen in der Gastroenterologie, die ähnliche Ziele verfolgten: Erkennung von Frühstadien von Malignomen mit vergleichbar niedrigem Risiko einer lymphogenen Metastasierung und Überführung der rein diagnostischen Endoskopie in eine minimal belastende therapeutische Endoskopie, im wahren Sinne von NOTES („natural orifice transluminal endoscopic surgery“). Diese kann, beim richtigen Patienten eingesetzt, eine offene oder minimalinvasive Operation mit Organteilentfernungen und gastrointestinaler Rekonstruktion und allen damit einhergehenden frühen und späteren Risiken gänzlich verzichtbar machen. Ein bestechender Ansatz! Gleichzeitig jedoch eine Herausforderung, die indikatorisch und vor allem technisch in Grenzbereiche vorstößt. Am Ende lässt sich dieses Konzept auf die für den Patienten essenzielle Frage herunterbrechen, ob es in der individuellen Situation angemessen sein kann, durch alleinige endoskopische Tumorabtragung Heilungschancen, wie sie durch eine Operation mit Tumorentfernung und Lymphadenektomie gegeben sind, zugunsten des tatsächlich kleinst möglichen Eingriffs preiszugeben.

Der kleinste Eingriff ist nicht immer der beste

Voraussetzungen, um überhaupt über vom bisherigen Standard so abweichende Konzepte nachdenken zu können, waren enorme Verbesserungen der bildgebenden Diagnostik, der Endoskopie und der Pathologie. Dadurch gelingt es heute viel besser als noch vor 10 Jahren, eine Tumorerkrankung im Gastrointestinaltrakt von Seiten der Ausdehnung des Primärtumors und des Metastasierungsrisikos zu charakterisieren. Dann schließlich braucht es ein vertrauensvolles Zusammenspiel von Spezialisten in den Fachrichtungen Viszeralchirurgie, Gastroenterologie und Pathologie, am besten auf der Basis einer prätherapeutischen interdisziplinären Tumorkonferenz, um entlang von Leitlinien für den Einzelfall zu gemeinsam getragenen Therapieentscheidungen zu kommen. Der kleinste Eingriff ist quo ad vitam nicht immer der beste, und für den interventionellen Endoskopiker ist gleichermaßen wie für den minimalinvasiven Chirurgen zu fordern, dass eine herausragende technische Expertise und Erfahrung gegeben sein müssen, um die unmittelbar prozedurenbedingten, aber auch Langzeitrisiken in einem vertretbaren Rahmen zu halten. Nur so kann es gelingen, den Anspruch auf Heilung mit der Forderung nach dem Erhalt eines Höchstmaßes an Lebensqualität zu verbinden.

Ich danke allen Kollegen, die sich als herausragende Spezialisten auf dem jeweiligen Gebiet als Autoren zur Verfügung gestellt haben und in differenzierter Sichtweise unter Berücksichtigung der aktuellen Literatur und unter Abwägung von Vor- und Nachteilen einen Blick in die Zukunft der Behandlung von Frühkarzinomen des Gastrointestinaltrakts werfen.

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Prof. Dr. Matthias Anthuber