Eine signifikante Erhöhung der Bedrohungslage, insbesondere durch terroristische Anschläge, ist uns aus den jüngsten Ereignissen in Deutschland und den europäischen Nachbarländern allgegenwärtig.

In diesem Zusammenhang müssen wir uns bei der Patientenversorgung mit Verletzungsmustern und Traumaentitäten auseinandersetzen, welche glücklicherweise über Jahrzehnte in Mitteleuropa nicht mehr präsent waren. Penetrierende sowie thermomechanische Kombinationsverletzungen sind charakteristisch für Terroranschläge und stellen insbesondere mit den Situationen des „Massenanfalls von Verletzten“ (MANV) und bei Großschadensereignissen eine enorme fachliche, logistische und psychische Herausforderung dar.

Vor genau 10 Jahren wurde in Der Chirurg zuletzt ein Übersichtsbeitrag mit dem Titel „Terrorismus – eine neue Dimension des Polytraumas“ aus dem Bundeswehrzentralkrankenhaus veröffentlicht. Diesem Themenkomplex gebührt aktuell eine besondere Aufmerksamkeit und es bedarf einer umfassenden Aktualisierung.

Spätestens seit den Anschlägen vom 13.11.2015 in Paris sind Situationen und Verletzungsmuster, welche wir bislang aus Kriegs- und Krisengebieten kannten, in europäischen Großstädten angekommen. Durch Bombenexplosionen mit „BLAST“- und Schrapnell-Verletzungen sowie direktem Beschuss mit Sturmgewehren wurden 129 Menschen unmittelbar getötet, mehr als 300 wurden verletzt.

Solche MANV-Szenarien erfordern häufig in der Initialphase die Abkehr von der Individualmedizin mit einer unmittelbaren operativen Totalversorgung der Opfer („early total care“) hin zur „damage control surgery“ (DCS), um die Chancen des Gesamtüberlebens möglichst vieler Opfer zu erhöhen.

Die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) hat mit ihrer Chirurgischen Arbeitsgemeinschaft Militär und Notfallchirurgie (CAMIN) in den letzten Jahren den Weiterbildungsbedarf in Deutschland erkannt und bietet bereits seit 2014 einen zweitägigen Operationsworkshop als Kursformat sowie zusätzlich seit Januar 2016 ein Seminar zum Thema der allgemein- und viszeralchirurgischen Versorgungsstrategien beim Terroranschlagtrauma an.

Für das vorliegende Schwerpunktheft ist es uns für die Zusammenstellung der Beiträge gelungen, ausgewiesene Experten aus den chirurgischen Fachgesellschaften (DGAV, Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie [DGU] und Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin [DGG]) zu gewinnen. Der Fokus wird insbesondere auf die differenzierten strategischen Entscheidungen und therapeutischen Verfahren gerichtet. Die folgenden Übersichtsbeiträge haben die Zielsetzung, die wichtigsten Hintergrundinformationen zu den geschilderten Verletzungsentitäten und -mustern sowie chirurgisch taktische Strategien mit praktischen Handlungsempfehlungen zusammenzufassen.

C. Güsgen et al. definieren den Begriff des „Terroranschlagtraumas“ als eigene Entität des Polytraums und bieten eine Aktualisierung der Datenlage seit der letzten Veröffentlichung vor 10 Jahren. Die Besonderheiten der Verletzungsmuster und die daraus folgenden Konsequenzen für die initiale notfallmedizinische und chirurgische Versorgung werden abgeleitet.

A. Franke et al. als Vertreter der Arbeitsgemeinschaft Einsatz‑, Katastrophen- und Taktische Chirurgie (EKTC) der DGU geben eine umfassende Übersicht zur prä- und innerklinischen Organisation bei MANV-Situationen. Die besonderen Herausforderungen der Entscheidungsfindung und Ressourcenverteilung mit Hilfen zur Priorisierung und den Besonderheiten im Zusammenhang mit einem terroristischen Anschlag werden beleuchtet.

Danach folgen drei organspezifische Beiträge mit Handlungsempfehlungen für die chirurgische Praxis in solchen Ausnahmesituationen:

G. Stavrou et al. zeigen eine kurze Übersicht der aktuellen Datenlage zu Verletzungen der parenchymatösen Oberbauchorgane und erläutern die Damage-control-Prinzipien an Leber, Pankreas und Milz aus der Perspektive einer spezialisierten hepatobiliären Chirurgie.

J. Lock et al. fassen die verfügbaren Daten zu komplexen Darmverletzungen zusammen. Daraus werden aktuelle Therapiestrategien abgeleitet und bewertet.

Abschließend setzen sich B. Friemert et al. mit Versorgungsstrategien beim MANV aus unfall- und gefäßchirurgischer Sichtweise auseinander. Sie stellen ein differenziertes Versorgungskonzept für die muskuloskeletalen Verletzungen in Kombination mit den wichtigsten Maßnahmen aus der Gefäßtraumatologie vor.

Wir hoffen mit der Zusammenstellung dieser Beiträge den Wissensstand der Chirurgen, auch in der Flächenversorgung, zu erhöhen, um damit einen Beitrag zur Verbesserung der Handlungssicherheit in MANV-Situationen zu leisten.

figure a

Prof. Dr. Robert Schwab

figure b

Prof. Dr. Christoph T. Germer