FormalPara Originalpublikation

Janovsky CC, Maciel RM, Camacho CP et al (2016) A prospective study showing an excellent response of patients with low-risk differentiated thyroid cancer who did not undergo radioiodine remnant ablation after total thyroidectomy. Eur Thyroid J 2016(5):44–49

FormalPara Hintergrund und Fragestellung.

Die in den zurückliegenden 2 Jahrzehnten in Asien, Amerika und Europa beobachtete Zunahme kleiner intrathyreoidaler, meist papillärer Schilddrüsenkarzinome (PTC) mit sehr niedrigem Rezidivrisiko hat in den letzten Jahren zu einem Umdenken in der Therapie dieser Karzinome geführt. Die potenziellen therapieassoziierten Risiken der totalen Thyreoidektomie (TT; Stimmlippenparese und insbesondere Hypoparathyreoidismus) und der postoperativen Radiojodablation (PORJA; Sialadenitis; Zweitmalignome) werden bei Niedrigrisiko („low risk“) -Schilddrüsenkarzinomen (LRTC) in ihrer Gesamtheit höher eingeschätzt als die karzinombedingten Risiken, sodass verschiedene Konzepte zur Reduktion des Behandlungsausmaßes diskutiert werden (Hemithyreoidektomie oder sogar alleinige Beobachtung; Dosisreduktion oder keine PORJA). Die vorliegende, erstmals prospektiv konzipierte Studie zur Frage der PORJA beim LRTC sollte klären, ob die Nichtdurchführung einer PORJA die Rezidivrate im Langzeitverlauf negativ beeinflusst.

FormalPara Material und Methoden.

Es handelt sich um eine prospektive kontrollierte, retrospektiv ausgewertete Analyse von 57 Patienten mit präoperativ punktionszytologisch nachgewiesenem LRTC, bei denen eine TT ohne Lymphknotendissektion und ohne PORJA durchgeführt wurde. Eine Kontrollgruppe existiert nicht. Die Nachbeobachtungszeit betrug 3 bis 7 Jahre. Alle Patienten wurden postoperativ (3, 6, 18, 24 Monate, dann jährlich) nachkontrolliert (Halssonographie; Thyreoglobulinbestimmung ohne und mit rekombinierter TSH-Stimulation; Radiojodscan mit 3–5 mCi 123 Jod 6 und 24 Monate postoperativ).

FormalPara Ergebnisse.

Insgesamt 24 Patienten (42 %) hatten ein PTC < 1 cm, 25 Patienten (44 %) 1–2 cm und 8 Patienten (14 %) ein PTC > 2 cm; 1 Patient hatte ein minimal-invasives follikuläres Karzinom (MIFTC); 21 Patienten (37 %) hatten multifokale Tumoren.

Bei keinem Patienten wurde ein strukturelles Rezidiv im Halsbereich nachgewiesen. Ohne Radiojodablation bzw. -therapie sank nach 24 Monaten postoperativ der stimulierte Thyreoglobulinspiegel im Vergleich zu 6 Monate postoperativ spontan von 2,89 ng/ml auf 0,86 ng/ml, der Radiojod-Uptake im Schilddrüsenbett von 1,82 % auf 0,72 %.

FormalPara Diskussion.

Die Studie hat zwar nicht unerhebliche Mängel (z. B. keine Kontrollgruppe; keine Angabe der mittleren Nachbeobachtungszeit; kleine Fallzahl mit maximal 7‑jähriger Nachkontrolle), sie zeigt jedoch, dass nicht nur bei papillären Mikrokarzinomen, sondern auch bei nichtmetastasiertem intrathyreoidalen PTC > 1 cm ohne PORJA eine suffiziente Tumornachsorge durchgeführt werden kann, und das Risiko eines strukturelle Rezidivs sehr gering ist, in der vorliegenden Studie lag es bei null.

FormalPara Fazit.

Die Studie wird aufgrund ihres prospektiven Designs international als Bestätigung des Trends zur Therapieminimierung beim LRTC gewertet. Die Limitationen der Studie und die noch immer nicht eindeutig geklärte, therapeutisch im Einzelfall gesichert anwendbare Definition des „Low-risik“-Karzinoms, das nach der neuen Klassifikation der American Thyroid Association auch PTC mit ≤5 Mikrolymphknotenmetastasen und MIFTC mit <4 Gefäßinvasionen einschließt, sprechen gegenwärtig noch gegen eine generelle Empfehlung zur Nichtdurchführung einer PORJA beim LRTC. Inwieweit im Einzelfall der Verzicht auf eine PORJA gerechtfertigt ist, sollte interdisziplinär entschieden werden.