Lernziele

Nach Lektüre dieses Beitrages…

  • kennen Sie die evidenzbasierten Algorithmen der medizinisch-technischen und sozial-interprofessionellen Zusammenarbeit in einem Schockraumteam,

  • sind Sie informiert über die baulichen, personellen, technischen und medizinischen Neuerungen bei der Behandlung schwerverletzter Patienten,

  • kennen Sie die besonderen Behandlungssituationen bei HIV-Infektion, Zeugen Jehovas und Gravidität.

Einleitung

Im Jahr 2011 belief sich die Zahl der polizeilich erfassten Straßenverkehrsunfälle in der Bundesrepublik Deutschland auf 2.361.457. Im Rahmen dieser Unfälle kam es zu insgesamt 306.266 Personenschäden; 3991 Menschen verloren dabei ihr Leben; dies war der erste Anstieg an Verkehrstoten seit 20 Jahren [1]. Neben Straßenverkehrsunfällen kommt es selbstverständlich auch durch andere Ursachen wie Abstürze aus größerer Höhe, bei Selbsttötungsabsichten, Gewalttaten etc. zu schweren, lebensbedrohlichen Mehrfachverletzungen [2, 3] Die genaue Zahl polytraumatisierter Patienten in Deutschland beruht auf Schätzungen bzw. Hochrechnungen und wird hier je nach Autor mit 32.000 bis 39.000 angegeben [4, 5]. Deutlich exaktere Zahlen sind in den kommenden Jahren durch die flächendeckende Implementierung des Netzwerkes „TraumaNetzwerk DGU® der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie“ und der damit verbundenen verpflichtenden Dokumentation aller in den Kliniken über den Schockraum aufgenommenen schwerverletzten Patienten zu erwarten. Hier wurden im Jahr 2011 in insgesamt 521 Kliniken die Daten von 24.227 schwerverletzten Patienten erfasst. Von den geschätzten ca. 900 Kliniken, die sich in Deutschland an der Versorgung schwerverletzter Patienten beteiligen, sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt bereits ca. 700 in regionalen Traumanetzwerken organisiert und über 600 auditiert bzw. zertifiziert.

Die Behandlung schwer- und schwerstverletzter Patienten stellt das behandelnde Team oft und wiederholt vor ungewohnte Herausforderungen, große Schwierigkeiten und/oder einmalige Situationen. Die Kombinationsvielfalt und Komplexität der möglichen Verletzungsmuster führt dazu, dass im Großen und Ganzen keine Schockraumversorgung der anderen gleicht. Umso wichtiger ist es daher, das situative Moment von dieser Komplexität zu befreien und einen im wahrsten Sinne des Wortes „Behandlungsraum“ zu schaffen, in dem alle Abläufe – medizinisch-technisch und auch sozial-interprofessionell – festen, bekannten Algorithmen folgen, um Hektik und Chaos zu vermeiden und damit negative Behandlungsergebnisse zu minimieren.

Zur Behandlung schwerverletzter Patienten sind in den letzten Jahren wichtige Publikationen – wie das Weißbuch Schwerverletztenversorgung und die S3-Leitlinie Polytrauma/Schwerverletztenbehandlung – erschienen [6, 7]. Darüber hinaus ist es – nicht zuletzt durch genannte Publikationen – zu einem massiven Anstieg der Teilnahme an den ATLS („advanced trauma life support“)-Kursen der DGU gekommen.

Die Neuerungen bei der Behandlung schwerverletzter Patienten – baulich, personell, technisch und medizinisch – sollen dabei in dem vorliegenden Artikel umfassend und strukturiert dargestellt werden. Besonderen Behandlungssituationen bei HIV-Infektion, Zeugen Jehovas und Gravidität wird ein eigener Abschnitt gewidmet.

Alarmierungskriterien

Das Schockraumbasisteam (Tab. 1) sollte bereits vor Eintreffen des Patienten im Schockraum anwesend sein. Hierdurch werden bereits zu Beginn der Behandlung Verzögerungen und Informationsdefizite vermieden. Clarke et al. [8] zeigten, dass bei Patienten, die den Schockraum mit intraabdominellen Blutungen im Volumenmangelschock erreichen, die Überlebenswahrscheinlichkeit um 1 % je 3 min Zeitverzögerung bis zur Laparotomie sinkt. Damit das Team rechtzeitig informiert werden kann, wurden Alarmierungskriterien ausgearbeitet (Tab. 2). Treffen ein oder mehrere dieser Kriterien zu, wird das Team – optimalerweise – über einen Sammelruf parallel aktiviert [9]. Alarmierungskriterien haben aber darüber hinaus auch den Zweck, jene Patienten frühzeitig zu identifizieren, welche einer initialen Diagnostik und Behandlung im Schockraum bedürfen. Dass anhand der Alarmierungskriterien ein Großteil der Patienten letztendlich „falsch“ eingestuft wird („overtriage“ ), ist notwendig, um die Zahl derer zu minimieren, die trotz ihrer Verletzungsschwere (zunächst) nicht als polytraumatisiert erkannt werden („undertriage“ ). Das American College of Surgeons Committee on Trauma (ACS COT) gibt die Raten für „undertriage“ mit 5–10 % und für die „overtriage“ mit 30–50 % an [10].

Tab. 1 Mitglieder des Schockraumbasisteams (in Abhängigkeit der Versorgungsstufe)
Tab. 2 Kriterien zur Aktivierung des Schockraumteams (wie in den S3-Leitlinien formuliert)

Schockraumteam

Entsprechend der Versorgungsstufe im TraumaNetzwerk DGU soll das Schockraumbasisteam aus 2 bis 4 Ärzten und 4 bis 5 Pflegekräften bestehen. Dabei muss die Hälfte der verantwortlichen unfallchirurgischen Ärzte mindestens ATLS-Kurs-Standard auf- und nachweisen [6]. Die Mitgliederzahl des erweiterten Schockraumteams – anwesend innerhalb von 20 min – variiert entsprechend zwischen 4 bis 11 bzw. 14 Ärzten und ist je nach Verletzungsschwere zu erweitern (Tab. 3). Diese große Zahl (mit)behandelnder Ärzte zeigt bereits die Notwendigkeit bestimmter Strukturen und Algorithmen sowie einer Autorität, welche diese überwacht, leitet und ordnet – den sog. Schockraumleader . Wem diese Aufgabe zuzusprechen sein sollte, wird nach wie vor politisch und auch wissenschaftlich sehr kontrovers diskutiert. Unstrittig scheint hingegen die Tatsache, dass durch die Einführung eines „Leaders“ Versorgungs- und Behandlungsabläufe verbessert werden können und das bessere Behandlungsergebnisse erzielt werden [11, 12] Die Schockraumleitung kann entweder einer Einzelperson (vertikale Struktur) übertragen werden oder interdisziplinär (horizontale Struktur) erfolgen. Dabei hat sich die horizontale Struktur , in der die Teammitglieder gleichgestellt miteinander agieren und kommunizieren, als die effektivere herausgestellt [13, 14]. Die Aufgaben, die dem oder den Leadern zufallen, sind dabei in erster Linie technisch-medizinischer sog. „technical skills“ (operative Erfahrung, manuelles Geschick, Organisation des Diagnostik- und Behandlungsablaufes – auch nach Beendigung der Schockraumphase) wie auch sozialer-kommunikativer Art, sog. „non-technical skills“ (Leitung, Integration und Koordination aller Teammitglieder, Durchsetzungsfähigkeit, Schaffung von Vertrauen in die Fähigkeiten). Darüber hinaus fällt es dem/den Leadern zu, nach der akuten Behandlungsphase Kontakt z. B. den Angehörigen und/oder der Polizei aufzunehmen. Einer Studie von Hjortdahl et al. [15] zufolge sind „technical and non-technical skills“ gleichermaßen wichtig und werden dementsprechend von den Teammitgliedern in hohem Maße von dem/den Schockraumleadern gefordert. In der S3-Leitlinie Polytrauma heißt es daher salomonisch …

… sollen idealerweise nach Absprache der „Beste“ bzw. die „Besten“ die Aufgabe des „Trauma-Leader“ bzw. der „interdisziplinären Führungsgruppe“ wahrnehmen. [7]

Tab. 3 Mitglieder des erweiterten Schockraumteams (in Abhängigkeit der Versorgungsstufe)

Bauliche und apparative Voraussetzungen

Auf bauliche und apparative Voraussetzungen soll hier nur der Vollständigkeit halber eingegangen werden. Für ausführliche Informationen und Beschreibungen verweisen wir auf die S3-Leitlinie bzw. das Weißbuch Schwerverletztenversorgung [5, 6]. Der Schockraum sollte eine Mindestgröße von 25 m2 – optimalerweise 50 m2 – aufweisen, damit entsprechend der Teamgröße ausreichend Arbeitsplatz für die Einzelpersonen besteht. In überregionalen Traumazentren muss die Möglichkeit zur gleichzeitigen Behandlung von mindestens 2 Schwerverletzten bestehen.

Für die zeitnahe Erkennung und Behandlung von Verletzungen einschließlich lebensbedrohlicher Körperhöhlenverletzungen muss im Schockraum entweder eine Bildgebung auf Basis von Ultraschall und Röntgen oder eines dort installierten Computertomographen (CT) vorgehalten werden. Hier ist von Autorenseite anzumerken, dass wenngleich das Multislice-CT (MSCT) aufgrund seiner Schnelligkeit und auch diagnostischen Sicherheit immer häufiger für die Initialdiagnostik im Schockraum gefordert wird, die Schockraumröntgendiagnostik des Beckens und Thorax und Sonographie des Abdomens (FAST) inkl. 4-Kammer-Blick nach wie vor als Standard gesehen werden kann. Zur Durchführung von Notfalleingriffen sollte sich in unmittelbarer Nachbarschaft zum Schockraum ein Notfalloperationssaal befinden, in dem alle notwendigen Geräte (Beatmungseinheit) und Siebe für unfall-, viszeral-, neuro- und thoraxchirurgische Noteingriffe separat vorgehalten werden.

ATLS

Das ATLS (“advanced trauma life support”)-Konzept versucht, eine Vereinheitlichung der Prioritäten aller Schwerverletzten vorzunehmen, um nach standardisierten Vorgehensweisen auch ohne apparative Diagnostik lebensbedrohliche Verletzungen zu erkennen und umgehend zu behandeln. Durch die Einfachheit und klare Struktur bietet dieses Konzept insbesondere Berufsanfängern eine gute Basis bei der Behandlung dieser oft komplexen Patienten.

Die Behandlung unterscheidet zwei Phasen, den „primary survey“ , bei dem alle unmittelbar lebensbedrohlichen Verletzungen und Zustände erkannt und umgehend behandelt werden sollen und den nachrangigen „secondary survey“ , bei dem dann alle weiteren auch nicht lebensbedrohlichen Verletzungen diagnostiziert werden sollen.

Primary Survey

Im Primary Survey soll der schwerverletzte Patient standardisiert nach einem festgelegten Schema untersucht werden, um lebensbedrohliche Verletzungen unmittelbar zu erkennen und sofort zu behandeln. Die Priorisierung erfolgt nach einem alphabetischen System von A bis E. Die Priorisierung ist für alle Patienten gleich, wobei alle Untersuchungen im großen Schockraumteam parallel erfolgen können. Im Folgenden sollen die einfachsten Grundsätze von ATLS skizziert werden.

Airway – Sicherung des Atemwegs

Hierunter fallen Maßnahmen wie Einbringen eines Guedel-Tubus , endotracheale Intubation oder – wenn dies technisch nicht möglich ist – die Koniotomie . Indikationen sind z. B. Bewusstseinstrübung (GCS < 9) oder schwere, stark blutende Verletzungen im Bereich des Gesichtsschädels. Bei bestimmten Verletzungen (z. B.: Rauchgasinhalation, Verbrennungen) kann es erforderlich und vorausschauend sein, die Atemwege prophylaktisch zu sichern.

Breathing – Sicherung der (Be-)Atmung

Bei Traumapatienten sollten 12 Thoraxverletzungen aktiv gesucht und ausgeschlossen werden:

  • Verlegungen der oberen Atemwege (Trachea/Kehlkopf/Bronchien),

  • Spannungspneumothorax,

  • offener Pneumothorax,

  • instabiler Thorax,

  • massiver Hämatothorax und

  • Herzbeuteltamponade

können unbehandelt jeweils in Minuten zum Tod führen („deadly six“ ).

Kleinere Verletzungen von Trachea/Kehlkopf/Bronchen, einfacher Hämato- oder Pneumothorax, Lungenkontusion, Contusio cordis, traumatische Zwerchfellruptur oder traumatische gedeckte Aortenruptur können mit zeitlicher Latenz lebensbedrohlich werden und sollten ebenfalls aktiv ausgeschlossen oder deren klinischer Verlauf engmaschig kontrolliert werden. Die meisten B-Probleme können durch einfache chirurgische Maßnahmen behandelt werden (Thoraxdrainage, Perikardpunktion, Perkardiozentese). In einigen, jedoch selteneren Fällen kann eine Thorakotomie im Schockraum erforderlich sein, um eine schwerwiegende Verletzung schnell und adäquat zu adressieren (s. Notfalleingriffe).

Circulation – Stoppen einer Blutung

Als Merksatz für die häufigsten Lokalisationen der Blutungen gilt: „Blood on the floor and four more“ (externe Blutung, Thorax, Abdomen, Becken/Retroperitoneum, Frakturen großer Röhrenknochen). Externe Blutungen sollten mittels Druckverband gestoppt werden. Tourniquets sind unseres Erachtens als Ultima Ratio ebenfalls erlaubt. Massive Blutungen in Thorax und Abdomen sollten bei instabilen Patienten durch eine fokussierte Ultraschalluntersuchung (FAST, „focused assessment with sonography for trauma“) erkannt werden. Liegen kreislaufwirksame, nicht stillbare Blutungen im Thorax und/oder Abdomen vor, ist eine Notfallthorakotomie und/oder Laparotomie – ggf. noch im Schockraum – durchzuführen (s. Notfalleingriffe/Damage Control). Eine einfache Form der Behandlung blutender Beckenverletzungen ist die Anlage/Verwendung einer Beckenschlinge , eines Pelvic-Binders oder eines Lakens, das auf Höhe des Trochanter major um das Becken geschlungen, angezogen und z. B. mit einem Kabelbinder fixiert wird. Sind diese Maßnahmen nicht wirksam, ist ggf. ein chirurgisches Vorgehen mit retroperitonealem Packing vorzunehmen. Wichtigstes Ziel der Behandlung des hämorrhagischen Schocks ist es, die Blutung zu stoppen. Interdisziplinäre Absprachen und Algorithmen sind für die Behandlung schwerverletzter Patienten zu fordern. Beispielhaft sei hier die angiographische Blutstillung aktiver Blutungen im Becken durch die interventionellen Radiologen genannt. Gleichzeitig ist eine differenzierte Substitution von Blut- und Gerinnungsfaktoren (s. Gerinnungsmanagement) durchzuführen und eine Auskühlung des Patienten zu vermeiden (Wärmedecken, warme Infusionen etc.)

Disability – neurologischer Status

Parallel zu den Untersuchungen A, B, C erfolgt eine orientierende neurologische Untersuchung, die neben der Erfassung des Bewusstseins anhand der Glasgow Coma Scale auch Größe und Form der Pupillen sowie Pupillomotorik beinhaltet.

Exposure/Environment – Entkleiden des Patienten

Hierunter ist der sog. Body-Check mit chirurgischer Untersuchung, Erfassung der Begleitumstände und das Erwärmen des Patienten (s. oben) zu verstehen.

Lebensrettende Notfalleingriffe/Damage Control

Polytraumatisierte Patienten haben oftmals schwere Verletzungen der verschiedenen Körperregionen, die mit einem massiven Blutverlust einhergehen können. Aus eigenen Berechnungen von Daten des TraumaRegister DGU wissen wir, dass Patienten mit Massivtransfusionen in hohem Maße thorakale und/oder abdominelle und/oder pelvine Blutungen haben. Um diese lebensbedrohlichen Blutungen schnell und effektiv kontrollieren zu können, müssen Gerinnungstherapie und operatives Vorgehen aggressiv, schnell und effizient sein und den Patienten optimalerweise nur minimal belasten. Diesen Forderungen wird durch das Konzept des „damage control“ entsprochen – einem prioritätenorientierten Therapieschema mit 4 Phasen:

  1. 1.

    präklinische bzw. frühklinische Phase („ground zero recognition phase“),

  2. 2.

    Phase der Erstoperation,

  3. 3.

    Phase der Stabilisierung,

  4. 4.

    Phase der geplanten Reoperation.

Dabei werden in der ersten Phase alle lebensrettenden Operationen durchgeführt. Alle zeitaufwendigen Operationen werden auf ein (unverzichtbares) Minimum reduziert und erst nach Stabilisierung des Patienten auf der Intensivstation in den ersten Tagen nach Trauma in einem Folgeeingriff ggf. definitiv durchgeführt.

Indikationen zum Damage Control sind u. a. [16]:

  • Blutverlust von über 10 EKs (Erythrozytenkonzentraten),

  • ISS (Injury Severity Score) >35,

  • Hypotension länger als 1 h oder eine Hypothermie < 35 °C,

  • zeitaufwendige Intervention bei persistierendem Schock,

  • Koagulopathie mit einer PTT („partial thromboplastin time“) > 60 s,

  • Azidose mit einem pH von < 7,2,

  • lebensbedrohliche extraabdominelle Verletzung(en).

Die folgenden Operationen des Damage Control Surgery sollten vom Schockraumteam beherrscht werden:

Mediane Laparotomie zur Inspektion des gesamten Abdomens

Blutungen können durch Crush-Splenektomie, 4-Quadranten-Packing oder auch intestinale Segmentresektionen beherrscht werden. Es werden keine Anastomosierungen durchgeführt, Dünndarmsegmente ggf. nur mit dem Stapler abgesetzt und im Rahmen des „second look“ definitiv versorgt. Die Splenektomie hat in der Traumasituation bei Schwerstverletzten ihren festen Platz. Lediglich bei ausschließlichen Milzverletzungen und kleinen Einrissen kann ggf. ein Erhaltungsversuch unternommen werden. Ausgeprägte hepatische Blutungen können oft mittels Pringle-Manöver kontrolliert werden; nicht kontrollierbare Lebervenenverletzungen sollten gepackt werden. Resektionen der Leber verbieten sich – bis auf wenige Ausnahmen – in der Traumasituation.

Um die Gefahr eines abdominellen Kompartments zu reduzieren, sollte das Abdomen nur provisorisch mit Okklusivverband oder VAC („vacuum assisted closure“) verschlossen werden, [17]. Besteht die Notwendigkeit zu einem Second Look sollte dieser nach spätestens 48–72 h erfolgen [18].

Indikation für eine Laparotomie stellt die hämodynamische Instabilität mit Nachweis freier abdomineller Flüssigkeit in der Ultraschalluntersuchung (FAST) – nach Ausschluss anderer behebbarer Ursachen – dar.

Thorakotomie bei relevanten thorakalen Blutungen oder kardialen Verletzungen

Prinzipiell sind die thorakalen Notfalleingriffe nur in einem kurzen Zeitfenster wirksam und müssen oftmals sehr zeitnah durch eine definitive Versorgung abgelöst werden sollten. Die Thorakotomie erfolgt anterolateral im 5. Interkostalraum (ICR) und kann bis auf die Gegenseite erweitert werden (sog. „clamshell“) und/oder mit einer Sternotomie kombiniert werden. Über diesen Zugang lässt sich die Aorta erreichen und abklemmen, um lebensbedrohliche thorakale und/oder abdominelle Blutungen zu reduzieren/stoppen.

Nicht beherrschbare Blutungen aus den Hilusgefäßen können ggf. durch den sog. Hilus-Twist kontrolliert werden [19]. Nach Durchtrennung des Lig. pulmonale inferius, lässt sich dabei der jeweilige Lungenflügel um 180° um seine Querachse drehen, wodurch es zu einer Verdrillung (Twist) der Hilusgefäße kommt. Funktionell entspricht dies einer Hemipulmektomie, die sich auch meist im (direkten) Verlauf anschließt. Ebenfalls über diesen Zugang können kardiale Verletzungen erreicht, eine Perikardtamponade entlastet oder eine offene Herzdruckmassage durchgeführt werden. Am Herzen ist bei penetrierenden Verletzungen eine temporäre Blutstillung mittels Foley-Katheter oder durch Einbringen von Hautklammern in das Myokard einen Versuch wert [20].

Die Indikationen zur Thorakotomie sind noch immer größtenteils inkonklusiv. Einigkeit besteht lediglich darin, bei stumpfem Thoraxtrauma und Herz-Kreislauf-Stillstand bereits am Unfallort keine Thorakotomie mehr unter Reanimationsbedingungen im Schockraum durchzuführen [7]. Anders verhält es sich bei penetrierenden Traumen oder bei Verlust der Lebenszeichen kurz vor oder bei Ankunft in der Klinik, da die Überlebenschancen hier höher sind. Die Thoraxwand kann jederzeit temporär als „skin-only“ oder Klebeverschluss mit z. B. Okklusivverbände oder z. B. Opsite-Folie verschlossen werden – speziell wenn ein Second Look oder ein erneuter Eingriff in den Thorax notwendig sind.

Beckenkompression/Stabilisierung mit Beckengurten

Tuchschlingen oder Fixateur externe bzw. eine Beckenzwinge können zur Kontrolle relevanter Blutverluste angelegt werden. Kommt es hierdurch trotzdem zu keiner hämodynamischen Stabilisierung des Patienten und besteht weiterhin Transfusionspflichtigkeit muss ggf. ein retroperitoneales Packing erfolgen [21]. Notfallembolisationen funktionieren nur bei nachgewiesenen arteriellen Blutungen und sind nur bei hämodynamisch stabilen Patienten möglich.

Damage Control Orthopedics

Im Gegensatz zum Damage Control Surgery (s. oben) wird das Vorgehen nach dem sog. Damage Control Orthopedics (DCO) noch uneinheitlich bewertet. Der Begriff Damage Control Orthopedics wurde 2000 von Scalea et al. [22] etabliert und umfasst die notfallmäßige – nur präliminär stabilisierende – Versorgung von Knochen- und/oder Weichteilverletzungen bei instabilen Patienten, um die definitive Versorgung zu einem späteren Zeitpunkt vorzunehmen, wenn sich die physiologischen Parameter des Patienten wieder stabilisiert haben. Der antizipierte Vorteil eines solchen Vorgehens liegt in der Verkürzung der primären Phase zwischen Schockraum und Intensivstation und in der Reduktion postoperativer Komplikationen (Multiorganversagen, ARDS [„acute respiratory distress syndrome“]) und damit auch der Mortalität [23, 24].

Bezogen auf die zu versorgenden knöchernen Verletzungen bedeutet dies, dass Schaftfrakturen von z. B. Humerus, Tibia und Femur sowie Ellenbogen-, Knie- und Sprunggelenksfrakturen primär mit Fixateur externe – unseres Erachtens aber auch ebenso gut mittels Gipsschiene o. Ä. – versorgt werden sollten. Frakturen z. B. des Unterarms, Handgelenkes oder des Fußes können gleichfalls auf einer Schiene ruhiggestellt werden. Weichteilverletzungen werden débridiert und anschließend temporär gedeckt (Vakuumversiegelung oder Kunsthaut).

Auf das Vorgehen bei Beckenringfrakturen wurde bereits im Abschnitt Damage Control Surgery eingegangen.

Es sei hier abermals darauf hingewiesen, dass flankierend zu allen operativen Eingriffen – insbesondere in den geschilderten Notfallsituationen – eine aggressive, standardisierte Therapie mit Blut- und Gerinnungsprodukten erfolgen muss. Verschiedene Arbeiten konnten nachweisen, dass sich sowohl die Mortalität als auch die Transfusionsmenge durch festgelegte, in der Klinik vorgehaltene Transfusionsprotokolle reduzieren lässt [25, 26].

Gerinnungsmanagement

Die S3-Leitlinien erkennen die traumainduzierte Koagulopathie (TIK) als eigenständiges Krankheitsbild an, welches deutliche Einflüsse auf das Überleben der Patienten hat. Aus diesem Grund gilt als Schlüsselempfehlung (GoR A), dass die Gerinnungsdiagnostik und Therapie im Schockraum unmittelbar begonnen werden soll. Die Koagulopathie beim Polytrauma wurde anfänglich als sekundäre Verbrauchskoagulopathie verstanden und, durch Hypothermie und Azidose verstärkt, als letale Trias beschrieben. Aktuell wird die traumainduzierte Koagulopathie als eigenständiges, primäres Krankheitsbild angesehen. Ursächlich für dieses Krankheitsbild sind die schockbedingte Hypoperfusion und Hyperfibrinolyse . Eine TIK liegt bei ca. 30 % der Polytraumapatienten bereits im Schockraum vor und muss von der disseminierten intravasalen Koagulopathie, die in der Frühphase des Traumas nicht vorliegt, differenziert werden.

Die Massenblutung ist als Blutverlust von ≥ 100 % des Blutvolumens innerhalb von 24 h, ≥ 50 % innerhalb von 3 h, von 150 ml/min oder 1,5 ml/kg KG/min über 20 min definiert.

Neben der klinischen Beobachtung, dass Blutungen nicht zeitgerecht zum Stilstand kommen, ist die Wertung der Laborparameter schwierig, zumal die Ergebnisse zeitversetzt vorliegen und immer einen Zustand in der Vergangenheit beschreiben. Die vom Notarzt abgenommenen Blutproben sollten verworfen werden, da sie den behandelnden Arzt in falsche Sicherheit wiegen können. Quick (Prothrombinzeit/INR) und die partielle Thromboplastinzeit messen nur die Zeit bis zum Beginn einer Thrombusbildung, geben aber keine Auskunft über Stärke und Qualität des Thrombus. Des Weiteren werden die Messwerte unter standardisierten Parametern (37°, gepuffert, Kalziumüberschuss) im Labor gemessen, die aber die Realität des Schwerverletzten mit Hypothermie, Azidose, Hypokalziämie und Anämie nicht widerspiegeln. Ein weiterer Nachteil dieser beiden Gerinnungswerte ist außerdem, dass sie nicht im Schockraum erhoben werden können und die Ergebnisse häufig erst 45 min nach Abnahme vorliegen.

Eine Alternative hierzu stellt die Rotationsthrombelastographie (ROTEM) dar. Mit diesem Testverfahren kann neben der Zeit bis zum Einsetzen der Gerinnung, die Geschwindigkeit der Gerinnselbildung, die Stärke und auch die Qualität des Thrombus ermittelt werden. Das Verfahren kann im Schockraum durchgeführt werden. Die Ergebnisse dieser Untersuchung liegen dann wesentlich schneller vor als bei den herkömmlichen globalen Gerinnungstests.

Damage Control Resuscitation

Die Schlüsselempfehlungen beinhalten, dass bei Patienten, die aktiv bluten, bis zur chirurgischen Blutstillung eine permissive Hypotension (mittlerer arterieller Druck ~ 65 mmHG, systolischer arterieller Druck ~ 90 mmHg) angestrebt werden soll. Als Kontraindikation für dieses Konzept gilt das Schädel-Hirn-Trauma. Weitere Schlüsselempfehlungen sind der Ausgleich der Azidose (pH ≤ 7,2), die Vermeidung bzw. Therapie der Hypokalziämie (< 0,9 mmol/l) und Hypothermie (< 34 °C).

Bei Patienten, die die Kriterien der Massivblutung erfüllen, sollte ein spezifisches Massentransfusionsprotokoll für den Schockraum etabliert und durchgeführt werden. Bei einem aktiv blutenden Patienten kann die Indikation zur Transfusion bei Hämoglobinwerten < 10 g/dl bzw. 6,2 mmol/l gestellt werden. Das Massentransfusionsprotokoll sollte bei Gabe von FFP („fresh frozen plasma“) ein Verhältnis zu EKs von 1:2 bis 1:1 vorsehen. Die Transfusion von Thrombozytenkonzentraten wird bei Thrombozytenzahlen < 100.000/µl empfohlen. Bei Plättchenfunktionsstörung kann die Therapie mit Antifibrinolytika oder Desmopressin (DDAVP) erwogen werden. Fibrinogen sollte bei Werten < 1,5 g/l substituiert werden. Bei schweren Blutungen kann die „Blindgabe“ von Faktor XIII, der für die Quervernetzung des Fibrins erforderlich ist, in einer Dosierung von 15–20 IE/kg KG erwogen werden. Da Kalzium ein wichtiger Kofaktor ist, ist darauf zu achten, dass keine Hypokalziämie vorliegt. Die Substitution von rekombinantem aktiviertem Faktor VII (rFVIIa ) wurde in einzelnen Kasuistiken durchgeführt, ist aber an einige wichtige Voraussetzungen gebunden (Fibrinogen ≥ 1 g/dl, Hb ≥ 7 g/dl, Thrombozytenzahl > 100.000/µl, Ionisiertes Kalzium ≥ 0,9 mmol/l, Körperkerntemperatur > 34 °C, pH-Wert > 7,2 sowie Ausschluss einer Hyperfibrinolyse und eines Heparineffektes). Die Gabe von Antithrombin (AT) bei anhaltender massiver Blutung wird nicht mehr empfohlen. Nur bei sicher diagnostizierter disseminierter intravasaler Koagulopathie (DIC) mit nachgewiesenem ATIII-Mangel stellt dies eine Indikation zum „off-label use“ dar.

Besondere Situationen

HIV/AIDS, HBV, HCV

Deutschland liegt mit einer HIV/AIDS-Rate bei Erwachsenen von 0,1 % an 122. Stelle weltweit (zum Vergleich: Vereinigte Staaten 0,6 %, Platz 64; Kanada 0,3 %, Platz 84; Spanien, Schweiz und Frankreich 0,4 %, Platz 73, 74 u. 76; [27]). Aufgrund der verbesserten antiretroviralen medikamentösen Behandlung mit einer Verlängerung der Überlebenszeit muss in der Zukunft mit einer Zunahme dieser Erkrankung bei (nicht nur) traumatologischen Patienten gerechnet werden. Untersuchungen und Berechnungen zufolge liegt das Infektionsrisiko nach einer Stich- oder Schnittverletzung bei 0,3 % [28, 29].

Das Risiko einer Infektion im Schockraum ist dabei aus verschiedenen Gründen als höher anzunehmen. Zum einen kommt es aufgrund der Verletzungsschwere im Einzelfall zum Kontakt mit wesentlich größeren Blutmengen (Notthorakotomie/Laparotomie z. B) und hierdurch auch zu einem gesteigerten Übertragungsrisiko. Andererseits besteht eine erhöhte Verletzungsgefahr , da viele Eingriffe simultan und damit ungeordneter als im Operationssaal ablaufen. Darüber hinaus handelt es sich bei dem Patientengut mitunter um ein quasi Risikopatientengut, mit bekanntermaßen erhöhter Prävalenz von humanem Immundefizienzvirus (HIV), Hepatitis-B- (HBV), Hepatitis-C-Virus (HCV) und Hepatitis [30]. Speziell bei penetrierenden Verletzungen fanden Seamon et al. [31] bei 9,4 % der im Schockraum behandelten Patienten eine Infektion mit HIV, HBV oder HCV; mit 7,6 % war die Rate der HCV-Infektionen deutlich höher als die mit HBV (2,1 %) oder HIV (1,2 %). 75 % der positiv getesteten Patienten wussten zuvor nichts von ihrer Infektion.

Da die Kenntnis einer Infektion zum Zeitpunkt der Aufnahme und Behandlung im Schockraum eine Ausnahme darstellt, sollten folgende Vorgehensweisen besonders beachtet werden:

  • alle Teammitglieder sollten die notwendigen Immunisierungen erhalten (haben),

  • es sollten prinzipiell 2 Paar Handschuhe, bei invasiven Eingriffen auch Schutzbrillen getragen werden,

  • ggf. Schnelltestung auf HIV noch im Schockraum,

  • Durchführung einer Postexpositionsprophylaxe bei Kontamination mit infiziertem Blut.

Transfusion bei Zeugen Jehovas

Bei weltweit ca. 7 Mio. Zeugen Jehovas gehören in der Bundesrepublik ca. 160.000 bis 170.000 Personen dieser Glaubensgemeinschaft an. Die Notwendigkeit einer lebensrettenden Bluttransfusion bei Religionsgruppen (z. B. Zeugen Jehovas, Evangelische Glaubensbrüder), deren Glaube eben dieses verbietet, stellt das gesamte Schockraumteam vor ein großes Problem. Vereinfacht ausgedrückt kommt es zu einer Rechtsgüter- bzw. Pflichtenkollision – Schutz der Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie das Recht auf Selbstbestimmung vs. das Rechtsgut Leben/ Schutz des Lebens . Eine sehr detaillierte Aufarbeitung dieses Themas findet sich z. B. bei Ulsenheimer [32] sowie Schelling und Lipptreu [33]. Für das Vorgehen im Schockraum lassen sich zunächst folgende Algorithmen formulierenFootnote 1.

  1. 1.

    Für die Notsituation gilt, dass der Arzt die Behandlung übernehmen muss (allg. Rechtspflicht zur Hilfeleistung, § 323c, Strafgesetzbuch [StGB]).

  2. 2.

    Bei nicht bewusstlosen, voll geschäftsfähigen Patienten ist die Verweigerung einer (lebensrettenden) Bluttransfusion verbindlich. Der Arzt hat sich allerdings um die Zustimmung zur Transfusion zu bemühen.

  3. 3.

    Bei bewusstlosen, im Augenblick nicht geschäftsfähigen Patienten, aber vorliegender Patientenverfügung (§ 1901a, Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]) ist der vom Patienten bestimmte Betreuer/Vorsorgebevollmächtigte hinzuzuziehen. Er kann die Patientenverfügung durchsetzen, aber ihr auch widersprechen.

  4. 4.

    Bei bewusstlosen, im Augenblick nicht geschäftsfähigen Patienten ohne Vorliegen einer Patientenverfügung muss

    1. a)

      ein (vorläufiger) Betreuer eingesetzt werden (hierfür ist oftmals allerdings keine Zeit) oder

    2. b)

      der Arzt/das Schockraumteam (ggf. in Rücksprache mit z. B. Angehörigen) nach dem mutmaßlichen Willen des Patienten entscheiden. Die getroffene Entscheidung und die ihr zugrunde liegenden Gründe sollten auf jeden Fall dokumentiert werden.

  5. 5.

    Bei nicht bewusstlosen, nicht volljährigen Patienten ist – wenn von diesen die Bedeutung und Tragweite ausreichend beurteilt werden kann – wie bei Erwachsenen zu verfahren. Im Zweifel sollte hier aber von der fehlenden Einsichts- und Urteilsfähigkeit ausgegangen werden. Der elterliche Wunsch bzw. die Forderung der Unterlassung einer Transfusion sind für den Arzt nicht maßgeblich (Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. II, Grundgesetz [GG]).

  6. 6.

    Bei bewusstlosen, nicht volljährigen Patienten muss

    1. a)

      die Einwilligung der Eltern zur ärztlichen Behandlung (hier: Transfusion) eingeholt werden. Verweigern die Eltern dies, muss

      1. 1.

        das Familiengericht eingeschaltet werden (wenn es die Zeit zulässt) oder

      2. 2.

        der Arzt seinem Heilauftrag nachkommen und die lebensrettende Transfusion – gegen den Willen der Eltern – vornehmen (Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Art. II, GG)

Aus dem Gesagten ergeben sich mehrere Probleme und Konsequenzen, die optimalerweise bereits im Vorfeld Beachtung gefunden haben sollten:

  • In jedem Krankenhaus sollten zur Behandlung der genannten Glaubensgemeinschaften Behandlungsalgorithmen vorliegen.

  • Ärzte, die aus welchen Gründen auch immer diese Algorithmen nicht umsetzen wollen/können, sollten – soweit dieses realisierbar ist – nach Möglichkeit nicht an der Behandlung teilnehmen.

  • Es sollte eine Person geben, die auch de jure die Verantwortung trägt, wenn es später zu zivil- oder strafrechtlichen Klagen kommt (s. auch Schockraumleader).

Neben den genannten juristischen bzw. religiösen Schwierigkeiten stehen dem Schockraumteam aber auch einige medizinische Behandlungsoptionen (außerhalb der Fremdbluttransfusion) zur Verfügung:

  • maschinelle Autotransfusion, unter der Voraussetzung, dass das Schlauchsystem und der Auffangbeutel ein geschlossenes System bilden (allerdings akzeptieren nicht alle Zeugen Jehovas dies),

  • frühzeitige, kalkulierte Gerinnungstherapie direkt zu Beginn der Behandlung im Schockraum mit Fibrinogen (2–4 g), PPSB, (1500–2000 I.E.), Tranexamsäure (1 g) und bei stärkeren Blutungen auch die Gabe von rFVIIa (90 µg/kg KG),

  • Steigerung der Anämietoleranz durch

    • Normovolämie,

    • suffiziente Muskelrelaxierung (zur Reduktion des O2-Bedarfs),

    • Steuerung der Narkosetiefe,

    • adäquate Beatmung (hyperoxisch mit FiO2 1,0).

Gravidität bei Polytrauma

Trauma bei Schwangeren ist die führende, schwangerschaftsunabhängige Todesursache bei der Mutter und beim Fetus [34]. Diese Daten zeigen, wie wichtig eine adäquate Diagnostik und Behandlung der schwangeren Patientin im Schockraum ist. Die Furcht vor Schäden des ungeborenen Kindes durch ionisierende Strahlen darf nicht dazu verleiten, die gebotene und notwendige Diagnostik nicht durchzuführen. Dabei stellen nicht unbedingt die akut lebensbedrohlich verletzten, schwangeren Patienten ein Problem dar. Bei diesen ist oftmals nur durch eine zügige Diagnostik und ggf. operative Eingriffe (im Schockraum) das Leben der Mutter zu retten. Flüssigkeitssubstitution und Transfusion von Blut- und Gerinnungsprodukten stehen hier an 1. Stelle, da auch der uterine Blutfluss ausschließlich durch den mütterlichen Blutdruck bestimmt wird, entgegenwirkende Autoregulationsmechanismen der uterinen Gefäße bei Hypotension bestehen nicht. Ein größeres Problem stellen vielmehr die Patientinnen dar, bei denen eine Abwägung von Für und Wider – insbesondere der radiologischen Diagnostik – erfolgen könnte. Um in diesen Situationen die wesentlichen Abläufe nicht unnötig zu verzögern, sollten auch Algorithmen für die Behandlung Schwangerer existieren:

Medizinisch indizierte radiologische Diagnostik mit ionisierenden Strahlen sollte – auch bei vorliegender Schwangerschaft – durchgeführt werden. Bei einer schwer verletzten Schwangeren ist die CT das diagnostische Verfahren der Wahl; die effektive Dosis für den Fetus ist dabei mit 0,1 mSv z. B. bei einem Schädel-CT und 0,3 mSv bei einem Thorax-CT gering [2]. Es ist immer zu prüfen, ob diese Diagnostik durch MRT oder Sonographie zu ersetzen ist; Cave: MRT im 1. Trimenon zurückhaltend einsetzen; gadoliniumhaltiges Kontrastmittel in der MRT-Untersuchung vermeiden (Risiko-Nutzen-Abwägung), da dieses in den fetalen Kreislauf gelangt.

Bei jeder Frau im gebärfähigen Alter sollte direkt im Schockraum ein ß-HCG-Schnelltest vorgenommen werden. Bei wachen, ansprechbaren und kardiopulmonal stabilen Patientinnen ist zu prüfen, ob bis zum Eintreffen des Ergebnisses mit der weiteren radiologischen Diagnostik gewartet werden kann. Ab der 24. SSW sollte ein Kaiserschnitt zur Rettung des Fetus erwogen werden, wenn die Mutter im Schockraum verstirbt; optimalerweise innerhalb von 4 min., maximal 20 min. nach irreversiblen Herz-Kreislauf-Stillstand der Mutter.

Wenn medizinisch vertretbar, sollte die Patientin in Linksseitenlage (V.-cava-Kompression!) liegen.

(Klein-)Kinder

Auch (Klein-)Kinder sind hinsichtlich der durchzuführenden Schockraumdiagnostik zu behandeln wie erwachsene Patienten. Zur konventionellen Röntgendiagnostik im Schockraum gehört daher auch beim Kind die Thorax- und Beckenaufnahme – die bei kleinen Kindern auch auf einer einzelnen Platte erfolgen kann. Beim schwerverletzten Kind ist die CT-Diagnostik der Goldstandard. Hier ist darauf zu achten, dass an den Geräten spezielle alters- und gewichtsadaptierte Programme angewendet werden und Maßnahmen zur Dosisreduktion, wie z. B. Untersuchung bei niedrigerer Röhrenspannung (80–100 kV), zum Einsatz kommen.

TraumaNetzwerk DGU®

Um die bundesweite Implementierung, Anpassung und Einhaltung der in diesem Artikel genannten Voraussetzungen zur Schwerverletztenbehandlung zu gewährleisten, wurde von der DGU das Projekt TraumaNetzwerk DGU initiiert [35, 36]. Darin arbeiten alle teilnehmenden Kliniken nach festgelegten Standards, um eine flächendeckende, qualitativ gleichwertige Versorgung zu bieten. Entsprechend der Versorgungsstufe des einzelnen Krankenhauses kann eine Einstufung als lokales, regionales oder überregionales Traumazentrum erfolgen, wobei die jeweils notwendigerweise vorzuhaltende Ausstattung und Organisation durch externe Prüfer sichergestellt wird.

Durch die Vernetzung und Kooperation einzelner Traumazentren entstanden so bis zum heutigen Zeitpunkt insgesamt 37 zertifizierte, regionale Traumanetzwerke mit 510 teilnehmenden Kliniken. Eine Organisation weiterer ca. 200 Traumazentren in Traumanetzwerken wird für das Jahr 2013 erwartet. Ob und inwieweit hierdurch ein weiterer entscheidender Schritt in der Versorgung Schwerverletzter gemacht wurde, wird sich erst in den kommenden Jahren zeigen. Aufgrund der verpflichtenden Teilnahme aller Traumazentren am TraumaRegister DGU konnten bislang die Daten von ca. 100.000 Patienten gesammelt werden [38]. Diese werden in regelmäßigen Abständen analysiert und den Kliniken zur Qualitätskontrolle mitgeteilt.

Fazit

Das Weißbuch „Schwerverletztenversorgung“ der DGU und die kürzlich erschienenen S3-Leitlinie bieten evidenzbasierte Vorgaben für die strukturellen, apparativen, organisatorischen und personellen Voraussetzungen zur Versorgung Schwerverletzter. Die Durchsetzung dieser Vorgaben und Strukturen erfolgt heutzutage überwiegend in TraumaNetzwerken der DGU (Tab. 3).

CME-Fragebogen

Das Damage-Control-Konzept gliedert sich in 4 Phasen. Welche zählt nicht dazu?

Präklinische bzw. frühklinische Phase („ground zero recognition phase“)

Phase der Erstdiagnostik

Phase der Erstoperation

Phase der Stabilisierung

Phase der geplanten Reoperation

Indikationen zum Damage Control sind u. a. :

Blutverlust von über 4 EKs

Hypertension

Hyperthermie > 37 °C

Koagulopathie

Lange Primärrettungszeit

Second-Look-Operationen am Abdomen sollten stattfinden nach:

6–12 h

12–18 h

18–24 h

24–36 h

48–72 h

Das Schockraumbasisteam besteht aus:

Chirurg, Neurochirurg, Pflegekraft, MTRA

Unfallchirurg, Neurochirurg, Pflegekraft, MTRA

Chirurg, Neurochirurg, Radiologe, Pflegekraft, MTRA

Chirurg, Anästhesist, Radiologe, Neurochirurg, Pflegekraft, MTRA

Je nach Versorgungsstufe aus unterschiedlichen Mitgliedern

Schockraumalarmierungskriterien sind u. a.:

Systol. Blutdruck unter 100 mmHg

Fußgängersturz

Amputation eines Fingers

AIS ≤ 4

Tod eines Insassen

Eine Sectio im Schockraum kann ab welcher SSW erwogen werden?

22. SSW

23. SSW

24. SSW

25. SSW

26. SSW

Bei schweren Blutungen kann/können folgende Produkte ex juvantibus verabreicht werden:

Fibrinogen

Antithrombin

Desmopressin

PPSB

Protamin

Bei Patienten der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas…

muss in der Notsituation der Arzt die Behandlung nicht übernehmen.

ist bei nicht bewusstlosen, voll geschäftsfähigen Patienten die Verweigerung einer (lebensrettenden) Bluttransfusion verbindlich.

muss bei bewusstlosen, nicht volljährigen Patienten das Sozialamt eingeschaltet werden.

muss bei bewusstlosen, nicht volljährigen Patienten der Arzt dem Willen der Eltern nachkommen.

darf keine Gerinnungstherapie durchgeführt werden.

Zu den „deadly six“ zählt nicht:

Herzbeuteltamponade

Spannungspneumothorax

Traumatische gedeckte Aortenruptur

Instabiler Thorax

Offener Pneumothorax

Welche Aussage zu den Modalitäten und der Organisation des Schockraummanagements ist falsch ?

Das erweiterte Schockraumteam sollte innerhalb von 20 min anwesend sein.

Die Schockraumleitung kann z. B. interdiszipilnär erfolgen.

Regionale Traumazentren müssen mindestens 2 Schwerverletzte gleichzeitig behandeln können.

Die Teilnahme am TraumaNetzwerk DGU ist freiwillig.

Das TraumaRegister DGU ist ein Instrument der Qualitätskontrolle.